Humanzentriert oder technikzentriert? Das ist hier die Frage!22 | 01 | 24

Geschäftsprozessmanagement

Geschäftsprozessmanagement ist ein probates Werkzeug, um Unternehmen zu führen und hinsichtlich Effektivität und Effizienz zu trimmen – diese Erkenntnis setzt sich immer mehr durch. Die erwartete Wirkung bleibt in vielen Unternehmen aber aus. Warum? Fast immer liegt das an der mangelnden Akzeptanz der Belegschaft. Und an einer Prozessmodellierung, die nicht zum Adressaten passt.

Die zentrale Frage im Prozessmanagement

Die zentrale Frage im Prozessmanagement, die leider viel zu oft vergessen wird: Wer ist der Adressat der Prozessmodelle, Mensch oder Maschine? Viele Unternehmen wollen ihre Prozesse demokratisieren und ihre Mitarbeitenden an der Ausgestaltung der Prozessdokumentation beteiligen, um wertvolles Wissen für alle nutzbar zu machen, mehr Akzeptanz für Vorgaben zu schaffen und die Prozessverantwortung dort zu halten, wo sie hingehört: in den Fachbereichen.

Mit einer technikzentrierten Modellierung – typischerweise vollständig in BPMN 2.0 („Business Process Model and Notation“), dem aktuellen Standard zur Geschäftsprozessmodellierung – ist dieses Vorhaben allerdings zum Scheitern verurteilt. Denn bei einer technikzentrierten Lösung haben die Mitarbeitenden oft gar keine Möglichkeit, die Inhalte mitzugestalten. Oder aber sie ist so umständlich, dass niemand sie nutzt. Vollständiges BPMN 2.0 ist in der Praxis nicht kollaborationsfähig, sondern von einzelnen Modellierern abhängig. Die Folge: Das Prozessmodell kann als diskrete Planungsdatei, jedoch nicht als kontinuierliches Kollaborationswerkzeug dienen.

Der umgekehrte Fall: Für das Ziel, Prozesse zu automatisieren, wird ein humanzentriertes Prozessmodell eingeführt. Aufgrund der stark vereinfachten, unvollständigen und einfach lesbaren Notation, zum Beispiel auch mit Bildern und Videos, lassen sich die Prozesse dann nur mit größerem Aufwand in eine Workflow Engine überführen – die IT-Abteilung muss die Prozesse also noch einmal fast komplett neu modellieren, um sie automatisieren zu können.

Berufsbild Prozessmanager

Wir leben in einer Zeit geprägt von Digitalisierung und Schnelllebigkeit. Umso wichtiger ist es, dass Unternehmen anpassungsfähig sind und auf veränderte Marktbedingungen eingehen können. Eine kontinuierliche Analyse und Optimierung von bestehenden Geschäftsprozessen ist sowohl für die Kosteneffizienz und Wirtschaftlichkeit, aber auch für die Kundenzufriedenheit von zentraler Bedeutung. Prozessmanager sind also gefragte Arbeitskräfte mit guten Zukunftsaussichten.
Antworten auf die wichtigsten Fragen finden Sie in unserem Berufsbild zum Prozessmanager:

  • Welche Aufgaben betreuen Prozessmanager?
  • Wie werde ich Prozessmanager?
  • Welche Weiterbildungsmöglichkeiten gibt es?
  • Was verdient ein Prozessmanager?
  • Welche Rollen gibt es im Prozessmanagement?

Zum Berufsbild Prozessmanager »

BPMN für Fokus auf Technik, einfache Darstellungen für Fokus auf den Menschen

Sind Prozessautomatisierung und Fehlerfreiheit das erklärte Unternehmensziel, bietet sich BPMN in einem entsprechend optimierten Tool zur Prozessmodellierung an. Ein vollständiges BMPN 2.0-Modell liest jedoch niemand freiwillig – das Modell ist viel zu verzweigt, die verwendeten Symbole zu erklärungsbedürftig. Es muss also ein ausgebildeter Modellierer her, der das Prozessmanagement mehr oder weniger als Einzelkämpfer übernimmt. Durch die fehlende Interaktion mit dem Modell findet beim technikzentrierten Prozessmanagement keine Rückkopplung aus dem Arbeitsalltag statt.

Sind die adressatengerechte Kommunikation des Prozesswissens, eine starke Identifikation mit den Inhalten sowie eine hohe Systemvitalität das erklärte Unternehmensziel? Dann bietet es sich an, Prozesse tabellarisch oder mithilfe eines extrem vereinfachten BPMN-Modells in einem entsprechend optimierten Tool zu modellieren. Eine Ausbildung ist dafür nicht notwendig, jeder kann sich an der Prozessmodellierung beteiligen. Durch Einfachheit und persönlichen Nutzen findet eine permanente Rückkopplung des Wissens und der Erfahrungen aus dem Alltag ins Modell statt.

BPMN und Demokratisierung funktioniert nicht – Tabelle und Automatisierung auch nicht

In einer idealen Welt ließen sich beide Methoden einfach miteinander vereinen. Aber gerade, weil das nicht so einfach geht, scheitern ja so viele Unternehmen an einem erfolgreichen Prozessmanagement.

Denn auf der einen Seite ist BPMN als Einwegmodell zu komplex für die breite Masse, darum zentral gesteuert und dadurch träge, wenig akzeptiert und selten auf aktuellem Stand. Das Ergebnis ist ein statisches Modell für algorithmisierbare Prozesse.

Auf der anderen Seite ist der humanzentrierte Ansatz kaum mit der Prozessautomatisierung vereinbar, denn das Modell ist dafür zu unvollständig und – aus Sicht einer Workflow Engine – fehlerhaft. Es kann zwar als Basis für das BPMN-Modell dienen, ist ab diesem Zeitpunkt dann aber wieder ein Einwegmodell.

Für Prozessmanagement begeistern: das Kano-Modell

Spätestens jetzt ist klar, dass Unternehmen für erfolgreiches Prozessmanagement eine klare Entscheidung für den human- oder den technikzentrierten Ansatz treffen müssen. Diejenigen, die den Menschen in den Fokus stellen möchten, stehen oft aber vor einer weiteren Herausforderung: Wie schaffe ich die nötige Akzeptanz und Begeisterung für das Thema Prozessmanagement? Welche Faktoren dabei eine Rolle spielen, lässt sich anhand des Kano-Modells veranschaulichen.

Ursprünglich beschreibt das Kano-Modell den Einfluss bestimmter Produktmerkmale auf die Kundenzufriedenheit. Übertragen auf das Prozessmanagement wird das Produkt zum Managementsystem und der Kunde zum Mitarbeitenden im Unternehmen. Entsprechend ist auf der X-Achse die Intensität der Basis-, Leistungs- und Begeisterungsmerkmale zu sehen, auf der Y-Achse die Mitarbeiterzufriedenheit und damit -motivation.

Kano-Modell

Abb. 1: Das Kano-Modell für Kundenzufriedenheit lässt sich einfach auf den Einfluss des Prozessmanagements auf die Mitarbeiterzufriedenheit übertragen (© Modell Aachen GmbH)

Für ein nachhaltig erfolgreiches, humanzentriertes Prozessmanagement sind drei Faktoren ausschlaggebend:

  1. Basismerkmale: Compliance und Zertifikate
    Klar, im Prozessmanagement geht es immer auch um Compliance, bestandene Audits und Zertifikate. Allerdings ist der motivatorische Effekt von Zertifikaten sehr gering. Die Selbstwirksamkeit der Mitarbeitenden geht gegen Null, Lob ist selten – im Idealfall bekomme ich immerhin keinen Tadel.
  2. Leistungsmerkmale: Effektivität und Effizienz der Prozesse
    Von einer Effizienzsteigerung profitiert in erster Linie das Unternehmen, der einzelne Mitarbeitende profitiert nur bis zu einem gewissen Grad von reibungsärmeren Abläufen. Der Zusammenhang zwischen Unternehmenserfolg und einzelnem Teammitglied ist meist so gering, dass dieser nur wenig Begeisterung für das Thema Prozessmanagement in der Belegschaft hervorruft.
  3. Begeisterungsmerkmale: persönlicher Nutzen
    Wer persönlich vom Prozessmanagement profitiert, ist besonders motiviert und akzeptiert die Vorgaben im Unternehmen. Dieser persönliche Nutzen kann beispielsweise in einer aktiven Beteiligung an der Prozessmodellierung und damit Selbstwirksamkeit bestehen oder aber auch in persönlicher Entlastung im Arbeitsalltag durch prozessorientiertes Wissensmanagement geschehen.

Die Kombination aus Einfachheit, Partizipation sowie der Anreicherung der Prozesse mit alltagsrelevantem Wissen ist der entscheidende Schlüssel für die breite Akzeptanz von Prozessmanagement. Denn darin liegt ein starker wahrgenommener persönlicher Nutzen. Gleichzeitig muss das Prozessmanagement selbstverständlich die Leistungs- und Basismerkmale erfüllen.

Die zentrale Frage bleibt

Zu Beginn ist und bleibt aber immer die zentrale Frage: human- oder technikzentriert? Für erfolgreiches Prozessmanagement ist es essenziell, adressatengerecht für die Zielgruppe zu modellieren: Wählen Sie vollständiges BPMN 2.0 zur Automatisierung und extrem einfache Darstellungsformen für Kollaboration. Mischformen funktionieren nicht.

 

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Über den Autor: Carsten Behrens

Nach seinem Ingenieursstudium an der Ruhr-Universität Bochum und seiner Arbeit im strategischen Management bei der BMW AG promovierte Dr. Carsten Behrens im Themenfeld Qualitätsmanagement an der RWTH Aachen. Dort entwickelte er gemeinsam mit Prof. Robert Schmitt das Prinzip Interaktiver Managementsysteme und gründete 2009 die Modell Aachen GmbH. Als deren Geschäftsführer begleitete er bereits über 800 Unternehmen erfolgreich bei der Einführung eines Interaktiven Managementsystems. In der DGQ engagiert er sich als Leiter des Fachkreises Organisationsentwicklung, als Delegierter sowie im Rahmen der Regionalkreisaktivitäten.

Ein Kommentar bei “Humanzentriert oder technikzentriert? Das ist hier die Frage!”

  1. Hallo Herr Dr. Behrens, nett Sie auch hier (neben LinkedIn) zu sehen! Wir hatten schon das Vergnügen zum Thema IMS auf LinkedIn.

    Umso mehr freue ich mich auf diesen Beitrag! Das Thema der Motivation mit dem Kano Modell zu vergleichen, auf die einfache Idee bin ich nicht gekommen, aber Sie sprechen das aus worüber ich auch immer plädiere.

    Mitarbeiter „mitzunehmen“ ist einfacher gesagt als getan. Erfordert meiner Meinung nach viel Aufwand aber auch davon hängt der Erfolg eines Projektes maßgeblich ab.

    Aktuell bin ich glücklich mich mit der eingeschränkten BPMN Symbolik auseinandersetzten zu dürfen. Eben die menschliche Schiene bei der Prozessmodellierung im Fokus zu haben.
    Mit der eindeutig definierten Auswahl von Symbolen aus BPMN 2.0, denn auch hier ist wichtig die MA/Key-User „mitzunehmen“ schon an.

    Der maschinelle Fokus ist auch sehr wichtig! Eben auch in Bezug auf die KI standardisierte und eindeutige Symbole (wenn auch die Anzahl dadurch eine größere ist) haben zu müssen und sich damit auszukennen. Oder eben die Automatisierung der Prozessaufnahme und Optimierung.

    Aus dem Grund bin ich froh der gleichen Ansicht wie sie zu sein und zeigt mir die eingeschlagene Richtung bestätigt zu bekommen.

    Viele Grüße
    Markus Hohneder

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