Statistik-Normen für alle Managementbereiche14 | 07 | 17
Das Must-have der Statistik-Normen!
Im Rahmen von DGQ-Lehrgängen taucht immer wieder die Frage auf: „Welche Statistik-Normen muss ich denn kennen oder haben?“
Die Frage ist nicht trivial zu beantworten, da heute jeder, der von sich behaupten will, sachbezogene oder datengestützte Entscheidungen zu treffen, auf Methoden der Statistik angewiesen ist. Und diese unterscheiden sich erheblich je nachdem, in welchem Managementbereich man tätig ist.
In diesem Beitrag möchte ich Ihnen die wichtigsten Statistik-Normen vorstellen, die Sie für Ihren Bereich kennen sollten. Diese können Sie sich auch als Infografik downloaden.
Statistik für alle Managementbereiche
Wenn Sie in einem Unternehmen mit zertifiziertem Managementsystem tätig sind, dann liefert Ihnen der Literaturanhang der ISO 9001 einen ersten Hinweis: ISO/TR 10017 gibt als Leitfaden für die Anwendung statistischer Verfahren einen Überblick über die universell nützlichen Methoden. Für den detaillierteren Überblick empfehle ich Ihnen als Folgelektüre ISO/TR 18532 Leitfaden für die Anwendung statistischer Verfahren auf die Qualität und die industrielle Normung – leider ist dieser nur auf Englisch verfügbar. Auf Deutsch hilft Ihnen die Normenfamilie DIN 53804 weiter, in der der Umgang mit verschiedenen Merkmalsarten behandelt wird.
Messmanagement
Wenn Sie datengestützte Entscheidungen treffen wollen, müssen Sie sich zunächst um die Validität der Daten kümmern. Den Rahmen dazu bildet in den meisten Unternehmen ein Messmanagementsystem nach DIN EN ISO 10012. Für die die Beantwortung der Frage nach den wichtigsten Statistiknormen gilt eine Unterteilung nach drei Zielgruppen.
- Sie müssen Ihrem Kunden die Konformität der Produkte mit den Anforderungen nachweisen: Dabei hilft Ihnen die Normenreihe DIN EN ISO 14253. In den verschiedenen Teilen geht es beispielsweise um Entscheidungsregeln für den Nachweis der Konformität und eine praktikable Anleitung zur Schätzung der Messunsicherheit. Für die Beurteilung der Fähigkeit von Mess-Systemen und Messprozessen ist darüber hinaus die Kenntnis der ISO 22514-7 hilfreich.
- Sie müssen eine branchentypische Genauigkeit Ihrer Messverfahren nachweisen: Dann hilft Ihnen die Normenfamilie DIN ISO 5725 zur Genauigkeit (Richtigkeit und Präzision) von Messverfahren und Messergebnissen, die Sie dazu befähigt Ringversuche im Verbund mit anderen Betreibern gleichartiger Messtechnik durchzuführen.
- Sie müssen als Laborbetreiber oder Messmittelhersteller die Messunsicherheit quantifizieren: Dann hilft Ihnen der als GUM bekannte Leitfaden zur Angabe der Unsicherheit beim Messen, der als ISO Guide 98-3 oder JCGM 100 verfügbar ist. Der Gemeinsame Ausschuss für Leitfäden in der Metrologie JCGM ist gerade dabei den GUM zu einer großen Normenfamilie JCGM 100 bis JCGM 111 zu erweitern, um Anwender auch in schwierigen Fällen der Messunsicherheitsberechnung zu unterstützen.
Kennzahlmanagement
Aus validen Daten können valide Kennzahlen abgeleitet werden. Übergreifende Normen zum Kennzahlmanagement sind noch Mangelware. Eine gute Orientierung zu betriebswirtschaftlichen Kennzahlen (KPI, Key Performance Indicators) für den Einsatz und die Anwendung im prozessnah operierenden Fertigungsmanagement liefert das VDMA Einheitsblatt 66412-1.
Lieferantenmanagement
DIN ISO 2859-1 zur AQL-Stichprobenprüfung ist die meistverkaufte Statistiknorm in Deutschland, weshalb die Beurteilung der Lieferqualität von Los-Serien anhand der annehmbaren Qualitätsgrenzlage weit verbreitet ist. Weniger bekannt ist, dass die ISO-2859er- und ISO-28590er-Normen inzwischen zu einem Normenwerk weiterentwickelt wurden und werden, mit dem sich ganz unterschiedliche Prioritäten im Lieferantenmanagement intelligent modellieren lassen: Nennenswert sind hier zum Beispiel der Schutz des Kunden vor schlechten Einzellosen (ISO 2859-2), die Erfahrung mit dem Lieferanten aufgrund vergangener Lieferungen (ISO 2859-3), die Begrenzung des Durchschlupfs (ISO 28593), die Unzulässigkeit fehlerhafter Teile in Stichproben (ISO 28594) oder der geregelte Prüfverzicht (ISO 2859-3). Für Stichproben anhand messbarer Merkmalswerte ist die Normenreihe ISO 3951 unverzichtbar. Besonders interessant für komplexe Bauteile, bei denen viele relevante Qualitätsmerkmale zu einem gemeinsamen Annahmekriterium verbunden werden können, ist die multivariate Prüfung nach ISO 3951-2.
Prozessmanagement
Dass es nicht besonders kostengünstig ist, Qualität durch 100-%-Prüfungen sicherzustellen, hat sich inzwischen herumgesprochen. Deshalb werden heute allenthalben beherrschte und fähige Prozesse gefordert. Um Prozesse so zu beherrschen, dass die Ergebnisse vorhersagbar sind und nicht nur erlitten werden, werden Regelkarten eingesetzt. Die Normenfamilie ISO 7870 bietet von den altbekannten Shewhart- und Annahmekarten für Stichproben-Kennwerte über Cusum- und EWMA-Karten für die Einzelwerterfassung bis bin zu Regelkarten für Kleinserien und Auftragsfertigung geeignete Werkzeuge für unterschiedlichste Prozesse. Für den Wahrscheinlichkeitsnachweis, dass ein Prozess fehlerfrei gelaufen ist, sind die Normen der ISO-22514-Familie Statistische Methoden im Prozessmanagement – Fähigkeit und Leistung empfehlenswert. Diverse Facetten der Maschinen- und Prozessfähigkeit werden darin behandelt. DIN ISO 22514-1 und -2 sind bereits auf Deutsch verfügbar.
Projektmanagement
Projektmanagement befasst sich hauptsächlich mit Entwicklungs- und Verbesserungsprojekten. Für erstere sind die Normenfamilien ISO 16336 zur Anwendung von statistischen und verwandten Methoden für neue Technologie und für den Produktentwicklungsprozess sowie ISO 16355 für robustes Parameterdesign mit Versuchsmethodik nach Taguchi hilfreich. Für Verbesserungsprojekte nach der Six-Sigma-Methode ist ISO 13053 Quantitative Verfahren zur Prozessverbesserung nennenswert. Zur Erreichung eines Prozessoptimums liefern zentral zusammengesetzte Versuchspläne beste Ergebnisse bei minimalem Versuchsaufwand – siehe ISO/TR 13195 Ausgewählte Darstellungen zur Antwort-Flächen-Methode
Zuverlässigkeitsmanagement
Zuverlässigkeit ist Qualität auf Zeit. Die Langlebigkeit von Produkten ist deshalb nicht nur ein wesentlicher Erfolgsfaktor, sondern erheblicher Aspekt von Produktsicherheit. Auch wenn Sie kein Zuverlässigkeitsmanagementsystem nach DIN EN 60300-1 im Hause einsetzten, gibt es für Sie diverse nützliche Statistik-Normen zur Zuverlässigkeit. In DIN EN 61703 geht es um die statistische Modellierung der Zuverlässigkeit, auch wenn der Titel Mathematische Ausdrücke für Begriffe der Funktionsfähigkeit, Verfügbarkeit, Instandhaltbarkeit und Instandhaltungsbereitschaft dies nicht auf den ersten Blick verrät. Techniken für die Analyse der Zuverlässigkeit sind Gegenstand von DIN EN 61078. Für die statistische Auswertung von Zuverlässigkeits- und Lebensdauerdaten ist DIN EN 61649 zur Weibull-Analyse unmittelbar nützlich – egal, ob Sie sich um die Mindesthaltbarkeit von Joghurt oder die mittlere Lebensdauer von Getrieben kümmern. Im Bereich der Elektrotechnik und Elektronik gelten besondere Regeln zur statistischen Prüfung der Zuverlässigkeit. DIN EN 61124 Prüfpläne für konstante Ausfallrate und konstante Ausfalldichte sei hier nur als Beispiel genannt.
Fazit: Statistische Methoden gehören zu jedem Managementbereich
Statistische Methoden sind aus keinem Managementbereich wegzudenken, der auf datengestützten Entscheidungen basiert. Der hier gegebene Überblick erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Allgemeingültigkeit der Priorisierung. Deshalb ist es Aufgabe jedes Managers sich über die allgemein anerkannten Regelwerke und den Stand der Technik selbst zu informieren. Hilfreich sind hierfür beispielsweise die Netzauftritte von DIN und ISO.
Übrigens: Normen fallen nicht vom Himmel, sie werden mit Expertise und Idealismus erarbeitet. Wenn Sie Normenarbeit nützlich finden, teilhaben und sich einbringen wollen, können Sie dies tun, z. B. im Arbeitsausschuss AA 02 Angewandte Statistik des DIN-Normenausschusses Qualitätsmanagement, Statistik und Zertifizierungsgrundlagen (NQSZ). Die nächste Sitzung des AA 02 findet am 24./25. Oktober 2017 beim DIN in Berlin statt.