Update Agilität – neue Blickwinkel auf agiles Qualitätsmanagement19 | 03 | 19

Der DGQ-Brennpunkt: Agiles Qualitätsmanagement am letzten Dienstag mit mehr als 60 Teilnehmerinnen und Teilnehmern hat das Bild von Agilität und agilem QM deutlich geschärft. Seit Beginn meiner intensiven Beschäftigung mit dem Thema im Jahr 2015 musste auch ich mein Verständnis weiterentwickeln und mich von ursprünglich vertretenen und veröffentlichten Positionen zugunsten neuer wieder lösen.

Ich will die wichtigsten Positionen und Thesen einmal auf aktuellem Stand zusammenfassen. Und löse damit auch ein Versprechen aus dem Brennpunkt ein: eine Plattform zu schaffen, die den Teilnehmern die Möglichkeit bietet, ihre gute Diskussion weiterzuführen und zu vertiefen. Der öffentliche DGQ-Blog soll diese Plattform sein und hat den Vorteil, dass sich nun auch weitere Kolleginnen und Kollegen in die Diskussion einbringen können.

Sieben Thesen zur Agilität von Organisationen

  1. Agilität ist ein geeignetes Konzept, die Überlebensfähigkeit der Organisation zu stärken.

Die strategische Frage, auf die Agilität eine Antwort sein kann, lautet: Wie gehen wir besser mit Unvorhersehbarkeit und Unplanbarkeit um? Der fundamentale Paradigmenwechsel dabei ist der von der Planbarkeit und a priori Beherrschbarkeit zur variantenreichen Lösungsevolution, zum experimentell-tastenden Vorgehen und zur schnellen Entscheidungsrevision.

  1. Agilität ist nicht neu.

Schon seit jeher gibt es Agilität. Weder sie selbst noch der Begriff ist neu. Bisher haben Begriffe wie Flexibilität und Anpassungsfähigkeit für unsere Diskussion allerdings ausgereicht. Dass wir einen neuen und zusätzlichen Begriff verwenden, hängt einerseits damit zusammen, dass mehr Unternehmen unter einem viel größeren Anpassungsdruck stehen als zuvor. Hinzu kommt auch, dass wir relevantes altes Wissen nicht ernst genug nehmen und immer wieder neue Managementmoden suchen. So entsteht der aktuelle Hype um Agilität.

  1. Agilität ist nicht die einzige Antwort auf die Frage, wie wir in der VUKA-Welt bestehen.

Es wird sicherlich weitere Antworten auf diese Frage geben, nach denen wir suchen müssen. Organisatorische Resilienz kann z.B. eine weitere Antwort sein. Vielleicht ist Agilität auch ein Teilaspekt von Resilienz, die weitere Lösungsansätze wie Robustheit und Redundanz umfasst.

  1. Wir müssen uns nicht von nicht-agil zu agil entwickeln. Wir müssen besser agil werden.

Es geht nicht darum, überhaupt agil zu werden, sondern handwerklich besser agil zu werden – und noch höhere Agilitätsgrade zu erreichen. Das ist notwendig, weil wir eine nie dagewesene Innovationsdynamik haben, für die unsere bisherige Flexibilität nicht immer ausreicht. Es gab nie zuvor in der Menschheitsgeschichte so viele, darunter zahlreiche disruptive, und sich weltweit so schnell verbreitende Innovationen.

  1. Verordnete Agilität kann bereits gelebte Agilität zerstören.

Agilität wird meistens mit mehr Selbststeuerung und -organisation verbunden. Es gibt aber bereits eine gelebte, oft verborgen gehaltene und deshalb meist übersehene Selbstorganisation. In unseren überformalisierten Organisationen haben Mitarbeiter ihre Spielräume dafür genutzt, ungeeignete Regeln zu umgehen und so die dadurch verursachten Dysfunktionalitäten und Paradoxien zu entschärfen und die Organisation leistungsfähig und lieferfähig zu halten. Nur wenn wir diese Ressource und Kompetenz anerkennen und nutzen und erst dann, wenn wir die Überformalisierung zurückfahren, können wir besser agil werden. Verordnete Agilität ist paradox und kann schädlich sein und versagen.

  1. Organisationen brauchen unterschiedliche Agilitätsgrade.

Nicht jede Organisation benötig den gleich hohen Grad an Agilität und auch innerhalb der Organisation gibt es Bereiche, die viel und die wenig Agilität brauchen und vertragen. Wenn Agilität in unserer Organisation für bestimmte Aufgaben ein probates Mittel ist, müssen wir sie genau dafür aktivieren und nicht über die ganze Organisation stülpen. Wir müssen Organisationsbereiche mit hohen gebrauchten und gewollten Agilitätsgraden mit denen mit zurecht niedrigeren Agilitätsgraden versöhnen und verzahnen.

  1. Unternehmensweite Agilisierungskonzepte sind hochriskant.

Eine signifikante Agilisierung der Organisation erfordert tiefgehende Interventionen, verändert ihre Führungskonzepte, Prozesse und Kultur. Das ist hochriskant, weil es vieles oder alles auf den Kopf stellt. Und es ist für die meisten Führungskräfte und Mitarbeiter eine Reise ins Unbekannte. Die Organisation benötigt erfahrene Organisationsentwickler, Führungskräfte, die sich selbst neu erfinden können und auch die Irrungen und Wirrungen der Transformation aushalten. Lieber keine Agilisierungsinitiative starten, als eine halbherzige und inkonsequente. Lieber in einzelnen Bereichen experimentieren als überall gleichzeitig. Lieber viele schnelle kleine Schritte als einen riesengroßen.

Agiles Qualitätsmanagement

Und nun zum Qualitätsmanagement, das ja weder Auslöser der Agilisierungswelle war noch als eines ihrer Treiber gilt.

  • Es ist nicht Aufgabe der Qualitätsmanager, die Organisation zu agilisieren – aber wenn die Organisation mehr Agilität will, muss auch der Bereich Qualitätsmanagement diesen Weg aktiv mitgehen.
  • Agilisierung erfordert professionelle Organisationsentwicklung. Der Bereich Qualitätsmanagement muss dafür seine organisationentwickelnden Maßnahmen mit denen aller anderen internen und externen Organisationsentwickler verzahnen. Agilisierung darf nicht ohne das Qualitätsmanagement stattfinden.
  • Auch wenn die Organisation nicht agiler werden will, kann der Bereich Qualitätsmanagement selbst durch agile Vorgehensweisen wirksamer und leistungsfähiger werden.

Besser agil sein lernt man beim gelebten Agilerwerden im Alltag. Deshalb propagiert die DGQ für das Qualitätsmanagement eine Alltagsagilisierung. Die Impulsgeber des DGQ-Brennpunkts zeigten, wie es geht und worauf es dabei ankommt. Guido Nilgen, Leiter QM im Miele Werk Euskirchen praktiziert aus Scrum entlehnte Techniken in seiner Abteilung. Olaf Wolter von Siemens zeigt, wie sich das Qualitätsmanagement im Konzern gerade neu erfindet, um im agileren Unternehmen mithalten zu können. Wilhelm Floer, Leiter QM-Audit bei Vorwerk, hat agile Prinzipien ins interne Audit getragen (siehe DGQ-Blogbeitrag „Anders auditieren“). Wilhelm Griga, ebenfalls Siemens, schlägt die Brücke des agilen QM zur Digitalisierung. Das Qualitätsmanagement kann diesbezüglich einen wertvollen Beitrag leisten, in dem es alte und neue Praktiken der Datenvernetzung, Datenverarbeitung und der Prozessdigitalisierung nutzt und die Transformation aktiv begleitet. Nicht zuletzt hat Patricia Adam mit ihren praxisnahen Forschungsarbeiten grundlegende Definitionen und damit Klarheit geschaffen. Vor allem hat sie die Zertifizierbarkeit agiler Prozesse aufgezeigt (siehe DGQ-Whitepaper „System(at)isch agil“ und QZ Artikel „Ziemlich beste Freunde – Agilität und ISO 9001“ in der Januarausgabe 2019).

Welche Meinung verteten Sie?

Wie stehen Sie zu den Themen Agilität und agiles Qualitätsmanagement? Welche Erfahrungen haben Sie gemacht? Welche Fragen und Anregungen haben Sie? Diskutieren Sie mit ich freue mich auf einen spannenden Austauscht mit Ihnen!

Über den Autor: Benedikt Sommerhoff

Benedikt Sommerhoff leitet bei der DGQ das Themenfeld Qualität & Innovation. Er beobachtet, analysiert und interpretiert die Paradigmenwechsel und Trends in Gesellschaft und Wirtschaft sowie ihre Wirkungen auf das Qualitätsmanagement. Seine zahlreichen Impulse in Form von Publikationen und inspirierenden Vorträgen geben Orientierung in Zeiten des Wandels. Sie ermutigen zur Neukonzeption des Qualitätsmanagements und der Qualitätssicherung. Gemeinsam mit Expertinnen und Experten des DGQ-Netzwerks aus Praxis und Wissenschaft arbeitet Sommerhoff in Think Tanks und Pionierprojekten an der Entwicklung, Pilotierung und Vermittlung innovativer Konzepte und Methoden.

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