Der größte gemeinsame Nenner!7 | 04 | 25
Die Bundestagswahl ist vorüber, nun wird verhandelt. Das Ergebnis bringt drei Parteien in eine Koalition, die ihre gemeinsamen Vorstellungen mit einem Vertrag besiegeln werden. Das Grundgesetz wurde eigens geändert, um deren Pläne möglich zu machen. Das damit verbundene riesige Schuldenpaket ist für die Lösung epochaler Aufgaben gedacht. Anhaltspunkte dafür, was geplant ist, bieten ein Sondierungspapier, das bereits am 8. März 2025 veröffentlicht wurde, sowie das am 26. März veröffentlichte Papier mit den Verhandlungsergebnissen der Arbeitsgruppe 6 für Pflege und Gesundheit der zukünftigen Koalitionäre.
Unsicherheit auch nach der Sondierung
Das Sondierungspapier der zukünftigen Koalitionäre gibt in Bezug auf die Pflege wenig her. Das Wort Pflege taucht insgesamt zwar fünfmal auf, aber nur einmal im Zusammenhang mit einer Umgestaltung, Zitat: „Wir wollen eine große Pflegereform auf den Weg bringen.“ Wie diese aussehen soll und ob die wertvollen Impulse der Vorgängerregierung aufgenommen werden, ob es über Finanzierungsfragen hinaus auch um die Inhalte von Pflege in Deutschland gehen wird, bleibt völlig offen. Noch schwerer ist der Begriff „Qualität“ aufzufinden, der auf elf Seiten gar nicht vorkommt.
Im Ergebnisbericht der Koalitions-AG zu Pflege und Gesundheit sind die Aussagen zur Pflege nur ein wenig ausführlicher. Die angekündigte große Pflegereform will man von einer Expert:innen-Gruppe erarbeiten lassen. Die wenigen etwas konkreteren Punkte betreffen vor allem die Finanzen und den Bürokratieabbau sowie das Stimmrecht für die Pflege im Gemeinsamen Bundesausschuss.
Die Reaktionen aus der Branche kamen prompt und reichen von verhalten positiv bis hin zu Enttäuschung, weil die pflegebezogenen Komponenten des Koalitionspapiers sehr allgemein formuliert sind. Zudem soll nun nochmals ein Expert:innenverfahren angestrengt werden, obwohl bereits viele Vorschläge seit langem auf dem Tisch liegen.
Klärung von DGQ-Mitgliedern
Die Verunsicherung ist groß. Für die DGQ war das der Anlass, um von ihren Mitgliedern im Rahmen des regelmäßigen Pflege-Online-Treffpunkt zu erfahren, wo sie die Herausforderungen sehen. Gefragt wurden die DGQ-Mitglieder auch nach ihren Wüschen an die künftige Regierung aus Pflege- und Qualitätssicht. Die Mitglieder vertreten unterschiedliche Pflege- Sektoren, aber eine politisch neutrale Perspektive, um die wichtigsten und dringendsten Themen zur Pflege in Deutschland zusammenzustellen. Es sind viele.
Langer Wunschzettel an die neue Regierung
Die Wünsche der DGQ-Mitglieder aus der Pflege an eine künftige Regierung reichen von operativen Themen wie der verbindlichen Anbindung aller Player an die Gematik über die Neuaufstellung der staatlichen Qualitätssicherung bis zu einem grundlegenden Strukturwandel, der auch die Finanzierung einbezieht. Dabei liegt der Fokus naturgemäß auf dem Bereich Qualität.
Die Qualität in der Pflege hat aus Sicht von DGQ-Mitgliedern auch etwas damit zu tun, nach welchem Menschenbild die gesellschaftspolitischen Weichen in der Beziehungsdisziplin Pflege gestellt werden. Wertschätzung und Anerkennung von Leistungen gehören dazu und sollten das politische Handeln leiten. Das betrifft alle Gruppen, die am Pflegeprozess beteiligt sind und für gute Pflegeergebnisse sorgen, also beruflich Pflegende wie Laien und selbstverständlich die Pflegeempfangenden.
Werteorientierte Langzeitstrategie
Qualität ist nach der ISO-Definition der Grad, in dem ein Satz inhärenter Merkmale Anforderungen erfüllt. Letztere werden im sozialrechtlichen Dreieck sowohl von den Kostenträgern als auch von den „End“-Kund:innen bestimmt. Deren Rolle ist aus Sicht von Mitgliedern im Sinne der Mitbestimmung zu stärken und darüber hinaus sind Eigeninitiative und die Aktivierung von Ressourcen der Pflegeempfangenden zu fördern.
Damit sollten sich auch die Rollen des Qualitätsmanagements (QM) wie auch der Qualitätssicherung (QS) ändern. Die im Pflegebereich derzeitig gängige Perspektive, QM als bloße Fehlervermeidung und QS als staatlich verordnete Kontrollinstanz zu sehen, ist zu überwinden. An ihre Stelle tritt eine Qualitätsorientierung im eigentlichen Sinne unter Beteiligung der Kund:innen mit dem Ziel des kontinuierlichen Verbesserungsprozesses.
Dazu bedarf es einer langfristigen politischen Strategie, die gut fachlich begründet ist. Sie sollte nach dem Willen von DGQ-Mitgliedern grundsätzlich die aktivierende Pflege fördern. Darin sind auch die Stärkung der Fachlichkeit und das Empowerment der Branche insgesamt eingeschlossen. Auch die nachhaltige Digitalisierung und Technisierung müssen bei einer Reform berücksichtigt werden, bei der es zudem um Generationengerechtigkeit gehen sollte. Davon ist der Pflegealltag nach Ansicht von Mitgliedern momentan noch weit entfernt.
Eine Zukunft mit Qualitäts-Rendite
Die zukünftige Bundesregierung wird aller Voraussicht nach schwarz-rot. Grundlegende Pläne sind aber – trotz Ankündigung einer großen Reform – von den drei sogenannten bürgerlichen Parteien für die Pflege nicht zu erwarten.
Die Vielfalt der Punkte, die von den Mitgliedern der DGQ aus der Pflegepraxis für ein künftiges Regierungshandeln genannt werden, machen deutlich, dass tatsächlich großer Reformbedarf besteht. Das Thema Pflegefinanzierung steht dabei zwar im Raum, hat aber bei weitem nicht die Wichtigkeit, wie es in den Wahlprogrammen der Parteien und im Koalitionspapier klingt. Viel größer wiegen die vorgelagerten Punkte mit Fragen nach einer ganzheitlichen politischen Zukunftsstrategie für die Pflege. Die sollte neben der technisch-digitalen Entwicklung, evidenzbasiertem Handeln und der Wertschätzung aller am Pflegeprozess beteiligter Menschen vor allem auch die Perspektive der schutzbedürftigen Kund:innen berücksichtigen. Denn sie sind der Gradmesser für die Qualität der Pflege und ihre Gesundheit für die Güte der in unserem Land erbrachten Pflegeleistungen. Die Rendite einer gelungenen Pflegepolitik sollte sich als Qualität der Pflege auszahlen.
Über den Autor: Holger Dudel
