Das QM und die Kontrolle9 | 01 | 25

2003 übersetzte ich für die EFQM zusammen mit Walter Ludwig das damals erneuerte EFQM Excellence Modell ins Deutsche. Wir übersetzten „Core Governance Process“ mit „Kern-Kontrollprozess“, wissend, dass das Kritik auslösen könnte. Und der Widerspruch kam schnell und heftig. Dabei ging es nicht darum, dass diese Übersetzung in der Sache falsch sei, sondern dass wir das „verbotene Wort“ Kontrolle benutzten. Doch genau dabei geht es bei Governance, dass persönlich haftende Mitglieder der obersten Leitung ein Mindestmaß an Kontrolle in der eigenen Organisation ausüben müssen. Dazu sind sie übrigens gesetzlich verpflichtet.

Bloß nicht Kontrolle sagen

Dabei wusste ich genau, dass ich mit der Begriffsverwendung einen Stachel setzte, hatte man mir doch zuvor in der Qualitätssicherung eingeschärft, das Wort Kontrolle strikt zu vermeiden. Statistical Process Control, zu Beginn meiner beruflichen Tätigkeit noch ein das Qualitätsmanagement prägendes Thema, dürfe man nicht mit Statistischer Prozesskontrolle übersetzen, es müsse Prozessregelung heißen. Außerdem habe sich das (damals) moderne QM über die frühere Qualitätskontrolle hinaus zum ganzheitlichen QM, zum Total Quality Management weiterentwickelt, an dem sich alle freiwillig beteiligen und das auf Vertrauen setzt.

Ohne Kontrolle keine Governance und kein Managementsystem

So wie es keine Governance ohne Kontrolle gibt, kann es kein (Qualitäts-)Managementsystem geben, dass nicht auch klärt, wo und wie welches Maß an Kontrolle erforderlich ist. Das Auditieren dient der Kontrolle der Wirksamkeit des QM-Systems und der Erfüllung von Anforderungen. Warum wurden Wort und Konzept Kontrolle im Qualitätsmanagement also zum roten Tuch? Ich denke, weil Kontrolle Reaktanz auslöst und das QM oft ohnehin schon viele Reizpunkte setzt und seine Verantwortlichen weitere vermeiden wollen. Ich denke, weil das Missverständnis herrscht, man könne entweder vertrauen oder kontrollieren, und dann lieber auf den Ausbau des Vertrauens setzen will.

Vertrauen und Kontrolle sind keine alternativen Pole. Die Pole sind Vertrauen und Misstrauen sowie Kontrolle und Laissez-Faire, das unkontrollierte „Machenlassen“. „Vertrauen oder Kontrolle?“ ist also gar die nicht relevante Frage, „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!“ nicht das allgemeingültige Motto in einem Unternehmen, für ein Qualitätsmanagementsystem.

Zwei Schlussfolgerungen habe ich für mich zum Thema Kontrolle gezogen:

Das richtige Maß an Kontrolle
Produktqualität erzeugen und die systemische Qualitätsfähigkeit der Organisation herzustellen benötigen neben anderen Konzepten wie Prävention oder Kontinuierlicher Verbesserungen auch das der Kontrolle. Wichtig ist, zu klären, wo welche Art und welches Maß an Kontrolle erforderlich sind.

Keine Schönfärberei
Wo Kontrolle stattfinden muss, ist das auch deutlich zu benennen. Das Qualitätsmanagement muss klar in seiner Sprache und seinen Konzepten sein. Der Versuch, um des lieben Frieden Willens reaktanzauslösende oder gar lästige Facetten des QM sprachlich zu kaschieren, misslingt nicht nur, er verstärkt sogar den Unmut der Adressaten.

Über den Autor: Benedikt Sommerhoff

Benedikt Sommerhoff leitet bei der DGQ das Themenfeld Qualität & Innovation. Er beobachtet, analysiert und interpretiert die Paradigmenwechsel und Trends in Gesellschaft und Wirtschaft sowie ihre Wirkungen auf das Qualitätsmanagement. Seine zahlreichen Impulse in Form von Publikationen und inspirierenden Vorträgen geben Orientierung in Zeiten des Wandels. Sie ermutigen zur Neukonzeption des Qualitätsmanagements und der Qualitätssicherung. Gemeinsam mit Expertinnen und Experten des DGQ-Netzwerks aus Praxis und Wissenschaft arbeitet Sommerhoff in Think Tanks und Pionierprojekten an der Entwicklung, Pilotierung und Vermittlung innovativer Konzepte und Methoden.