Augmented Intelligence: Welche neuen Skills die Technologie im Qualitätsmanagement einfordert25 | 01 | 23

Neue Anforderungen an Qualitätsmanager:innen

Bereits seit mehreren Jahren findet ein Wandel der Rollenanforderungen an den Qualitätsmanager statt: In einer zunehmend komplexer werdenden Welt hat sich auch die Bandbreite der Aufgaben eines Qualitätsmanagers deutlich geweitet. Aus dieser Entwicklung ergeben sich gleichermaßen Chancen und Herausforderungen für die Profession:

Chancen

Schauen wir zum Beispiel auf Künstliche Neuronale Netze (KNN). KNN ahmen das menschlichen Nervensystems nach und können so komplexe Daten verarbeiten: Damit heben sie sie sich stark von programmierter Software, maschinellem Lernen und sogar Deep Learning ab. Für QM und QS bedeutet der Einsatz einer solchen Technologie etwa Unterstützung bei der Detektion und sogar Vorhersage von Anomalien: Etwa bei Prozessen oder in der Produktion. Die KI „denkt“ quasi für die Qualitätsmanager:in mit und meldet potenzielle Fehler. Der Qualitätsbeauftragte kann sich dann darauf fokussieren, basierend auf den Rückmeldungen der KI Entscheidungen zu treffen und bei Bedarf strategisch und steuernd in den Gesamtprozess einzugreifen.

Herausforderungen

Durch die zunehmende Entwicklung und den vermehrten Einsatz von KI, sehen sich Qualitätsbeauftrage nun weiteren Anforderungen an ihren Beruf gegenüber: Plötzlich müssen KI-Systeme auditiert, Datenarchitekturen beurteilt und die Implementierung und Etablierung der neuen Technologie im Workflow geprüft werden.

Dazu braucht es ein grundlegendes Know-how rund um künstliche Intelligenz. Sachverständige Qualitätssichernde schlüpfen in die Rolle des Vermittlers: Sie wissen um die Fähigkeiten und das sich ständig weiterentwickelnde Potenzial von Künstlicher Intelligenz und können die Systeme für die vorgesehenen Einsatzzwecke beurteilen.

 

Der Impact des Skillshifts auf Organisationsebene

Unsere Erfahrung hat uns gelehrt: Es macht wenig Sinn, punktuell 1-2 „KI Beauftragte“ im Unternehmen zu schulen und dann zu hoffen, dass sich das KI Knowhow und Mindset von selbst im Unternehmen verbreiten.

KI-Wissensvermittlung: Top-Down und dann in die Breite

Vielmehr muss das Wissen und das KI-positive Mindset die gesamte Organisationsstruktur durchdringen: Im Idealfall von oben nach unten und in die Breite. Von der Führungskraft, bis zum Mitarbeitenden. Bis das gesamte Unternehmen die gewinnbringende Zusammenarbeit mit KI lebt.

Zunächst sollten also Qualitätsmanager:innen und Führungskräfte zumindest über ein Basisverständnis rund um KI verfügen. Denn weder eine Führungskraft noch Qualitätsbeauftragte können ein Projekt rund um KI betreuen und die Mitarbeitenden mitreißen, wenn ihnen das erforderliche Grundwissen fehlt. Denn auch das hat uns die Erfahrung gelehrt: Wenn nur 30 Prozent des Führungsteams Widerstände gegen KI verspürt, ist der Erfolg des Projektes bereits bedroht.

Einsatz weit über das Produkt hinaus

Schon seit mehreren Jahren hat sich das Qualitätsmanagement von einer rein produktbezogenen Disziplin zu einer Instanz entwickelt, die auf das gesamte Unternehmen einwirkt und qualitätsbezogene Tätigkeiten weit über den Produktbereich hinaus steuert: Diese Veränderung des Berufsbildes verstärkt sich in unserer Praxiserfahrung durch den Einsatz von KI immer stärker. Bei der Durchführung von KI-Projekten sind die Kompetenzen von Qualitätsbeauftragten zunehmend in der Organisationsentwicklung und bei der strategischen Managementberatung rund um den Einsatz künstlicher Intelligenz gefragt.

Kommunikative Vermittler

Und noch mehr Veränderungen kommen auf QMler zu: Es kommt zu einer stärkeren Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Abteilungen und Fachbereichen, da die Ergebnisse von KI-Analysen und die Entscheidungen, die aufgrund der Ergebnisse getroffen werden, oft von mehreren Abteilungen abgesegnet werden müssen. Auch hier kommen Qualitätsbeauftrage als kommunikative Mittler zwischen den unterschiedlichen Parteien zum Einsatz.

 

Neuer Gradmesser für Qualität: Augmentierte Intelligenz

Neben neuen Skills, die Qualitätsmanager:innen in der Arbeit mit KI benötigen, entsteht auch ein neuer Gradmesser für Qualität. Kurzum, eine KI darf nicht im ewigen Teststatus versacken. Ja, ein Pilotieren ist sinnvoll, um einen „Proof of Concept“ darzulegen und zu beweisen, dass die KI eine Lösung zu einem bestehenden Problem liefert.

Doch dann geht die Arbeit erst los…
… denn dann muss eine KI im Tagesgeschäft implementiert und etabliert werden. Konkret: Sie muss von den Mitarbeitenden auch tatsächlich gewinnbringend genutzt werden. Womit wir beim Konzept der „Augmentierten Intelligenz“ angelangt wären. Unserer Meinung nach ist Augmentierte Intelligenz der zukunftsträchtige Weg, KI zu betrachten und auf ihre Qualität hin zu beurteilen.

 

Augmentierter Intelligenz: Kooperation und Co-Kreation

Augmentierte Intelligenz beruht auf künstlicher Intelligenz (KI): KI bezieht sich auf die Fähigkeit von Computersystemen in Form von neuronalen Netzen, menschenähnliche Denk- und Problemlösungsfähigkeiten nachzuahmen. Dabei agiert die KI weitestgehend eigenständig. Sozusagen in ihrem eigenen Silo.

Im Gegensatz dazu unterstützt die Augmentierte Intelligenz den Menschen bei der Entscheidungsfindung. Bei augmentierter Intelligenz vereinen sich Mensch und Maschine in perfekter Synthese zu einem neuen, höheren Ganzen, indem sie einander perfekt ergänzen: Die künstliche Intelligenz unterstützt hier lediglich die Entscheidungsfindung des Menschen, anstatt sie zu ersetzen. Sie liefert dem Menschen relevante Informationen und Empfehlungen, die er bei der Entscheidungsfindung berücksichtigen kann.

Am effektivsten ist ein Unternehmen, wenn Mensch und Maschine auf diese Weise gewinnbringend zusammenarbeiten: Wenn Mensch und Maschine in perfekter Synthese kooperieren und co-kreieren, dann geschieht eine exponentielle Steigerung der Qualität und Unternehmensleistung. Die Qualitätsmanagerin der Zukunft muss also um diese Symbiose wissen, um das volle Potenzial des Prozesses zu sichern.

 

Neuer Qualitätsstandard: Güte der Mensch-Maschinen-Interaktion

Somit wird der Benchmark bei der Beurteilung der Qualität von augmentierter Intelligenz nicht allein durch den Funktionsumfang des KI-Systems selbst bestimmt, sondern dadurch gesetzt wie gewinnbringend Mensch und Maschine miteinander interagieren. Für die Anforderungen an das Qualitätsmanagement bedeutet dies, den Fokus noch weiter in Richtung Mensch zu verschieben.

Sie als Qualitätsmanager:in müssen zum Beispiel beurteilen können, ob die Anwender:innen die KI etwa insgeheim boykottieren. Im Vordergrund steht die Frage: Wie erfolgreich nutzen die Mitarbeitenden das Tool? Im Zweifelsfalle benötigen Sie die Fähigkeit, auch solche Menschen zu überzeugen, die ihren Arbeitsplatz durch eine KI bedroht sehen.

Maßgeblich für die Qualitätssicherung einer KI ist also nicht nur die Auditierung von Datenarchitektur, eingesetztem KI-Typ und KI Trainingsmethode alleine, sondern auch die Begutachtung der Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine. Gütekriterium ist damit der Faktor der Synthese zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz.

 

Kompetenzen, die KI von Qualitätsmanager:innen fordert

Um erfolgreich in diesem Bereich tätig zu sein, benötigen Qualitätsmanagerinnen und -manager entsprechende Fähigkeiten für die folgenden Tätigkeiten und Themen:

Hardskills

  • Grundqualifizierung bezüglich KI
    Wissen und Mindset rund um künstliche Intelligenz, Machine Learning und Data Science
  • Verständnis für augmentierte Arbeitsweise
    Grundverständnis für das gewinnbringende Zusammenarbeiten von Mensch und Maschine
  • Vertieftes Prozessmanagement Know-how
    Ganzheitliches Verständnis für Prozesse
  • Agile Arbeitsweise
    um eine KI abteilungsübergreifend im Unternehmen auf Qualität hin sicher zu können

Softskills

  • Führungs- und Managementfähigkeiten
    sind notwendig, um bei Themen wie Organisationsentwicklung und Unternehmensstrategie eine aktive Rolle zu spielen
  • Hohe Veränderungsbereitschaft und Innovationsfähigkeit
    ermöglicht Qualitätsmanagerinnen und -managern, andere kreativ zu beraten und zu unterstützen
  • Kommunikationskompetenz
    sozialer Kompetenz, sowie Überzeugungsfähigkeit, um mit den Anwendenden und dem Management aktiv in den Dialog zu treten bei Skepsis oder Ängsten gegenüber dem Einsatz von KI
  • Change-Management Skills
    um Mitarbeitenden und Schnittstellen effektiv in Zeiten der hohen Veränderungsgeschwindigkeit zu begleiten und zusammenzuführen und Veränderungsprozesse aktiv anzustßen und steuern

Fazit

Mit dem boomenden Einsatz von KI-Systemen entstehen neue Anforderungsprofile und Gütemaßstäbe für Qualitätsmanager:innen.

KI-Projekte scheitern häufig an der Implementierung und Etablierung im täglichen Doing. Neuer Maßstab zur Beurteilung der Qualität von KI-Systemen ist der Synthesefaktor: Die gewinnbringende Zusammenarbeit von Menschen und künstlicher Intelligenz. Dies ist der neue Gradmesser für die Qualität beim Einsatz von Augmented Intelligence.

Aus unserer Sicht ist ein grundlegender Sachverstand rund um KI unverzichtbar und gehört zu den zukünftigen Kompetenzen der QM- und QS-Berufe. Darüber hinaus fungieren Qualitätsmanager:innen bei KI-Projekten zunehmend als Vermittler, Kommunikatoren und strategische Berater:innen auf Organisationsebene. Obwohl die Anforderungen an das QM steigen, gibt es auch gute Nachrichten: Denn die Bedeutung der Rolle der Qualitätssachverständigen dürfte mit zunehmender Einführung von KI-Systemen weiter steigen.

In dem Sinne dürfen wir gespannt in die Zukunft blicken und beobachten wie die Synthese zwischen QM und KI neue Potenziale erschließt.

Über den Autor: Philipp Papadopoulos

Philipp Papadopoulos gründete 2016 die Unternehmensberatung Pegalion und begleitet Unternehmen in digitalen Transformationsprozessen: Maßgeschneiderte Lösungen aus einer Hand und die KI-Befähigung von Mitarbeitenden sind sein Erfolgsrezept. Mit Mut zur Innovation, Weitsicht und Pragmatismus stellt er sicher, dass die PS der KI auch auf die Straße kommen.

Ein Kommentar bei “Augmented Intelligence: Welche neuen Skills die Technologie im Qualitätsmanagement einfordert”

  1. 39d2d650e9a914fc51c27b268a8d247b Paul Kübler sagt:

    In vielen Punkten stimme ich dem Beitrag zu. Ich finde es allerdings sehr wichtig, dass das nicht pauschal auf jede Organisation übertragen werden kann. Die Aufgaben müssen natürlich zielgerichtet vergeben werden. Aber die passende QM-Rolle ist extrem individuell und hängt vom Reifegrad der Organisation ab. Im Vorfeld müssen also die notwendigen Rahmenbedingungen gelegt werden. Sonst könnte man meinen, dass ein Skill Shift quasi im Hauruck-Verfahren möglich sei. Ich bin der Überzeugung, dass als Startpunkt eine ganzheitliche & abgestimmte Strategie vorliegen muss.

    Sollte QM als Organisationsentwicklung bereits nachhaltig etabliert sein, sind Mindset und die genannten Kompetenzen bereits in die DNA übergegangen. Dann müssen „nur noch“ die notwendigen KI-Grundkenntnissen aufgebaut werden. Das wird schon komplex genug, ob der genannten Herausforderungen.

    Wenn allerdings ein bisher ganz andere Aufgaben übernommen hat, dann sind mindestens zwei dicke Bretter zu bohren:
    1) Change der Organisation bzgl. Kultur und Mindset
    2) Change der QMler zum kommunikativen Vermittler

    Dafür hat der DGQ Fachkreis „QM und Organisationsentwicklung“ übrigens einige Lösungsansätze entwickelt. Stöbert gerne mal im DGQ Blog z.B. nach 1) Whitepaper: Als Qualitätsmanager die Organisation entwickeln oder 2) Self Assessment: Wie viel Q-Leader steckt in Ihnen?

    Viele Grüße
    Paul Kübler

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