Agiles Arbeiten: wo passt es – wo nicht?2 | 08 | 23

Agile Methoden, Scrum, Post-It, Agilität

Immer häufiger hört man in Unternehmen den Ruf nach Agilität. Die zahlreichen Vorteile sprechen für sich. Agilität ist inzwischen ein viel diskutiertes Thema. Doch bevor Unternehmen auf den Zug aufspringen, sollten sie eine entscheidende Frage beantworten: Macht es für uns überhaupt Sinn, agile Methoden einzuführen? Wer diese Frage unbeachtet lässt, wird schnell auf Probleme stoßen.

Agile Methoden sind sehr hilfreich, aber keine Wunderwaffe und nicht zwingend immer die beste Wahl.

Umfeldanalyse: Welche Rahmenbedingungen liegen vor?

Bevor Verantwortliche sich also damit beschäftigen, welche agilen Methoden zu ihrem Unternehmen passen, sollten sie sich eingehend mit den Herausforderungen und der Komplexität auseinandersetzen, mit denen sie in Projekten und im Unternehmen konfrontiert sind.

Diese Analyse bildet die Basis für die Entscheidung, ob sich agile Methoden eignen oder nicht. Denn die Art der Herausforderungen bestimmt die am besten geeignete Arbeitsweise.

Das Cynefin Framework bietet hierfür ein wertvolles Tool. Unternehmen sollten also vor dem Start einer Einführung von agilen Methoden eine umfassende Umfeldanalyse durchführen.

Was ist das Cynefin Framework?

Das Cynefin Framework stellt ein äußerst effektives Hilfetool dar, um die Herausforderungen des Lebens zu bewältigen. Es besteht aus fünf Feldern, die jeweils eine bestimmte Art von Herausforderung beschreiben.

Das Cynefin Framework ist somit ein wertvolles Instrument, um sich in den unterschiedlichsten Situationen zurechtzufinden. Es bietet klare Orientierungshilfen und unterstützt dabei, die richtigen Entscheidungen zu treffen – sei es bei einfachen oder komplexen Herausforderungen.

 

Cynefin Framework

Eigene Darstellung des Cynefin Framework

Einfache Herausforderungen

Bei einfachen Herausforderungen besteht ein klarer Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung. Somit ist es relativ einfach, die Herausforderung zu erkennen und zu bewerten. Eine passende Reaktion kann schnell erfolgen, da es eine klare, richtige Antwort gibt. Bewährte Lösungsansätze aus der Vergangenheit können hierbei wiederholt werden.

Komplizierte Herausforderungen

Auch bei komplizierten Herausforderungen gibt es einen Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung. Dieser ist jedoch nur mit speziellem Fachwissen oder Expertise erkennbar. Durch eine fundierte Analyse können geeignete Lösungsansätze entwickelt werden. Allerdings gibt es hierbei nicht nur eine einzige richtige Antwort, sondern verschiedene Wege, das Problem zu lösen. Eine sorgfältige Abwägung der verschiedenen Möglichkeiten ist hierbei unerlässlich.

Komplexe Herausforderungen

In komplexen Situationen ist es schwierig, Ursache und Wirkung eindeutig zu identifizieren. Wenn man jedoch vorgeht wie bei einfachen oder komplizierten Aufgaben, indem man ein Ziel festlegt und daraufhin handelt, kann man nicht sicher sein, dass das gewünschte Ergebnis erreicht wird. Stattdessen kann es zu unerwarteten Ergebnissen führen, die erst im Nachhinein erkennbar sind. Aus diesem Grund ist es am besten, in komplexen Situationen agil zu sein und zu experimentieren, um zu sehen, was funktioniert und was nicht. Das ermöglicht darauf zu reagieren und Anpassungen vorzunehmen, um eine bessere Lösung zu finden.

Chaos

In chaotischen Herausforderungen hingegen gibt es keine eindeutige Verbindung zwischen Ursache und Wirkung, weder im Vorfeld noch im Nachgang. In solchen Situationen ist die einzige Möglichkeit, zu handeln und dann auf die Ergebnisse zu reagieren.

Unordnung

Das fünfte Feld beschreibt Zustände der Unordnung, in denen es entweder keine bekannten Herausforderungen gibt oder zu wenig Informationen, um sie einem der vorherigen Felder zuzuordnen.

Wo bieten agile Methoden einen Mehrwert?

Agiles Arbeiten, das auf Inspektion, Anpassung und Transparenz basiert, ist eine optimale Methode, um komplexe Herausforderungen zu bewältigen. Organisationen, die flexibler gegenüber Kunden und veränderten Marktbedingungen sein wollen, profitieren von den schlanken Prozessen, schnellen Iterationszyklen und den kurzfristigen Zielen agiler Methoden.

Bei der Bewältigung komplexer Herausforderungen stoßen herkömmliche Managementstile und -systeme schnell an ihre Grenzen. Das zeigt sich schon daran, dass Pläne oft schon am zweiten Tag über den Haufen geworfen werden müssen, weil sich unvorhergesehene Aspekte ergeben. In solchen Situationen wird ein Unternehmen durch ein starres Vorgehen unnötig ausgebremst. Deutlich effektiver ist es, auf agile Methoden zu setzen, die sich zyklisch anpassen und flexibel auf Veränderungen reagieren können. Wenn eine Analyse zeigt, dass komplexe Probleme bewältigt werden müssen, ist die Einführung agiler Methoden daher in der Regel eine sinnvolle Entscheidung für Unternehmen oder Teams.

Agile Methoden zur Lösung einfacher, komplizierter und chaotischer Herausforderungen

Wenn die Analyse zeigt, dass die Aufgaben oder Projekte eines Unternehmens eher einfach oder kompliziert sind, dann sind agile Methoden in der Regel nicht erforderlich. Ein gutes Beispiel für eine einfache Herausforderung ist die Sachbearbeitung, bei der die Aufgabe bekannt und gut beherrschbar ist. Auch bei komplizierten Herausforderungen, wie dem Bau von Flugzeugen, ist das grundlegende Wissen vorhanden und muss nur an die spezifischen Typen angepasst werden. Obwohl agile Aspekte bei einfachen und komplizierten Herausforderungen durchaus hilfreich sein können, ist eine vollständige Umstellung nicht notwendig.

Im Gegensatz dazu sind chaotische Herausforderungen unvorhersehbar und erfordern eine flexible Vorgehensweise. Da die Situation nicht vorhergesehen werden kann, ist es sinnvoll, etwas auszuprobieren und aus den Erfahrungen zu lernen. In diesem Fall sind agile Methoden von unschätzbarem Wert, um schnell und effektiv auf Veränderungen zu reagieren.

Agiles Arbeiten und flache Hierarchien sind nur was für Start-ups? Ganz im Gegenteil – längst setzen große Automobilbauer oder Firmen wie Siemens und Miele auf agile Arbeitsweisen. Es muss auch nicht immer der große Rundumschlag sein. Es lassen sich auch einzelne Methoden aus der agilen Arbeitsweise in den Alltag übernehmen. Hier bietet sich das Kanbanboard an, entweder für Einzelpersonen oder für ein Team.

Wenn agil, dann immer von Kopf bis Fuß?

Das Ziel besteht darin, eine Arbeitsweise zu schaffen, in der alle Mitarbeiter auf Augenhöhe zusammenarbeiten können, ohne dass agile und nicht-agile Methoden einander behindern. Deshalb ist es wichtig, dass das Unternehmen nicht nur prüft, ob agile Methoden passend sind, sondern auch, wo und in welchem Kontext sie am besten eingesetzt werden sollten.

Die agilen Arbeitsmethoden sind weniger hilfreich, wenn Marktanforderungen und Kundenbedürfnisse von Beginn an deutlich festgelegt sind. Bei einem scharf definierten Ziel mit konkretem Ressourceneinsatz und dem Bedarf hoher Planungssicherheit sind klare Abläufe und Rollenzuteilungen sinnvoller.

Agilität ist mehr als nur Methode

Agiles Arbeiten bedeutet nicht lediglich die Anwendung agiler Methoden, sondern auch die Einhaltung agiler Werte und Prinzipien. Agile Methoden ergeben dann am meisten Sinn, wenn sie bewusst Teil von übergeordneten Werten und Prinzipien sind, also in der Unternehmenskultur verankert werden.

Es ist wichtig zu wissen, wer direkt betroffen ist und welche Stakeholder es gibt. Ebenso bedeutend sind die Rahmenbedingungen und Werte, mit denen zusammengearbeitet wird. Sind diese mit den agilen Werten und Prinzipien kompatibel oder gibt es noch einen großen Unterschied? Diese Beurteilung können die Teams selbst vornehmen oder einen externen Coach hinzuziehen. Zudem ist es entscheidend zu hinterfragen, ob die agilen Werte und Prinzipien überhaupt erstrebenswert sind.

Je größer die Distanz zum Ziel, desto länger ist der Weg und umso mehr Veränderungen sind notwendig. Das ist nicht per se negativ, aber sollte bewusst sein.

Fazit: Agile Methoden sind zukunftsweisend, aber kein Selbstzweck. Ein Unternehmen muss sich selbst genau kennen, um zu entscheiden, ob agile Methoden einen sinnvollen Mehrwert bringen können und welche agile Methode am besten passt.

 

Weiterbildungsangebote rund um Agiles Arbeiten

Sie wollen für sich mehr über die agilen Arbeitsweisen erfahren – dann schauen Sie gerne bei der DGQ-PraxisWerkstatt: Agiles Arbeiten – ein Einblick in Methoden und Vorgehensweisen vorbei. Anhand praktischer Übungen lernen Sie agile Methoden kennen, können diese selbst erproben und den Nutzen für Ihren Arbeitsalltag abschätzen. Erleben Sie Agilität und die Kernelemente agiler Methoden praxisnah und kompakt. Erfahren Sie, wo und warum der Einsatz dieser Methoden einen Mehrwert für Ihre tägliche Arbeit bedeuten kann.  Jetzt anmelden »

Die DGQ-PraxisWerkstatt: Agiles Qualitätsmanagement zeigt Ihnen, wie Sie als Qualitätsmanager agile Methoden zur Verbesserung der Reaktions- und Leistungsfähigkeit des Qualitätsmanagements einsetzen. Dazu bedarf es ein eingehendes Verständnis agiler Prinzipien und der Kenntnis, die richtigen agilen Methoden und Werkzeuge zur Zielerreichung auszuwählen. Sie verstehen aus Sicht von Qualitätsverantwortlichen das Thema Agilität und die Kernelemente agiler Methoden. Jetzt anmelden »

Über die Autorin: Martina Schmid

Martina Schmid ist seit über 20 Jahren Expertin zur Stärkung individueller Veränderungskompetenzen. Ihre Stärke ist es unter anderem, Potenziale zu erkennen, zu nutzen und zu optimieren. Sie zeichnet eine ausgeprägte Wahrnehmungs- und Reflexionsfähigkeit aus, die Sie besonders zur erfolgreichen Lösungsorientierung einsetzt. Sie unterstützt als Trainerin der DGQ Weiterbildung Seminare im Bereich Agilität.

2 Kommentare bei “Agiles Arbeiten: wo passt es – wo nicht?”

  1. d6f738e3362c41d441b427bce880944b Kristin Daleiden sagt:

    Vielen Dank für den ausgewogenen Beitrag zur Agilität. Natürlich ist agiles Agieren unter den heutigen Bedingungen (VUCA) wichtig und die „agilen Methoden“ sind sehr hilfreich. Aber Agilität ist gar nicht so neu, wie es manchmal dargestellt wird. Schon immer waren Unternehmen erfolgreich, die offen waren für Neues und Kreativität. Das ist auch schon Prinzip im Lean Management (Kreativität der Mitarbeitenden einbeziehen) und Arbeiten mit dem PDCA kann hochdynamisch sein.
    Tatsächlich gefordert ist „Ambidextrie“, also situatives Agieren. Kein „entweder-oder“, sondern „sowohl-als auch“.

  2. 6e13d6580507905d6ead352361aee121 Sandra Paul sagt:

    Schöne Zusammenfassung des Cynefin. Ich arbeite auch so gerne damit. Und ich würde den fünften Bereich der Unordnung noch anders interpretieren. Es ist eine Art Unordnung im Kopf. Ein Unbewusstsein, dass es die vier Domänen überhaupt gibt und dass alle ihre Berechtigung und ihre Handlungsmuster haben. Das Cynefin ist eine situative Verortung und in der MItte befinde ich mich in einer Art Höhle. Dort im Unbewussten handele ich entsprechend meiner Prägung:
    Der QM tut so, als wäre alles simpel oder kompliziert und erstellt Standards mit oder ohne Experten. Der Wissenschaftler analysiert alles tut so als wäre alles kompliziert. Der Agile LIebhaber experimentiert in Feedbackschleifen und lässt alles beim Gehen entstehen. Und der Macher macht und trifft Entscheidungen alleine. als wären wir nur im chaotischen Bereich unterwegs. Wir brauchen alles und das Bewusstsein darüber, dass es alle Domänen gibt und wir brauchen adequate Entscheidungen über die entsprechenden Handlungsstrukturen.

    Meine persönliche Visualisierung dazu sende ich gerne auf Anfrage.

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