Wider den Drehtür-Effekt – DGQ-Projekt geht Bruchstelle im Pflege-Entlassungsmanagement an30 | 05 | 23

Rollstuhl, Entlassmanagement, Entlassungsmanagement

Die Überleitung von Menschen in Pflegesettings birgt große Risiken. Häufig fehlen Informationen für eine lückenlose Weiterversorgung. Zudem herrscht bundesweit ein Flickenteppich an Überleitungsinstrumenten. Dies hat unmittelbare Auswirkungen auf die Qualität in der Pflege. Die DGQ arbeitet an einem Entlassungs-Tool, das die Bedarfe bei der pflegerischen Überleitung hinreichend berücksichtigt.

Das kann jedem Menschen oder einem seiner Angehörigen passieren: Ein Notfall, Krankenhauseinlieferung und eine Operation. Ist die akute Phase überstanden, folgt häufig eine Weiterbehandlung in einer medizinischen Rehabilitationseinrichtung. Dafür werden Informationen aus dem Krankenhaus benötigt. Die liefert der sogenannte „Überleitungs-Prozess“. Das ist das Kerngeschäft des Entlassungsmanagements und sein Gelingen ein Indikator für die Qualität der Gesundheitsversorgung.

Wer eine solche Entlassung schon einmal erlebt hat, weiß, dass die Übergabe von Daten und Informationen zwischen Einrichtungen so ihre Tücken hat. Eine lückenhafte Informationsweitergabe birgt Risiken und führt in der übernehmenden Einrichtung regelmäßig zu dem, was im „Expertenstandard Entlassungsmanagement in der Pflege“ eindrücklich beschrieben ist, Zitat: „Verschlechterung der gesundheitlichen Situation, erhöhtes Leid, Ressourcenverbrauch“. Die Versorgung bricht zusammen. Es droht die Wiedereinweisung, man spricht vom „Drehtür-Effekt“.

Entlassung mit Pflegebedarf

Die Überleitung ist in der Gesundheitsbranche allgegenwärtig. Sie findet überall dort statt, wo Menschen von einem Versorgungsort an einen anderen überwiesen, überführt oder für die Weiterbehandlung entlassen werden. Das kann innerhalb einer Klinik von einer Abteilung in eine andere sein, vom Krankenhaus in die Reha oder von einer Behinderten- oder Pflegeeinrichtung in eine Klinik und umgekehrt.

Wichtig ist die zeitnahe und vollständige Weitergabe der für eine lückenlose Versorgung erforderlichen Informationen. Für medizinische Daten ist das selbstverständlich. Aber auch alle anderen Disziplinen müssen wissen, welche Bedürfnisse und Bedarfe sich aus einer Übernahme ergeben. Ganz besonders gilt das, wenn Menschen mit Pflegebedarf von einer Gesundheitseinrichtung in eine andere überführt werden. Sie sind oft abhängig von ununterbrochener Unterstützung und hilflos, wenn pflegerische Leistungen nicht im erforderlichen Umfang erbracht werden.

Informationsgefälle der Disziplinen…

Im Entlassungsmanagement, insbesondere bei der Überleitung zwischen Einrichtungen der Klinik und der Langzeitpflege, gibt es in Deutschland Defizite, die oft zu Versorgungsbrüchen führen. Ein Grund dafür ist der Flickenteppich der Überleitungsinstrumente. Die sind beinahe so zahlreich wie es Gesundheitseinrichtungen gibt. Jedes Krankenhaus, manchmal sogar verschiedene Abteilungen derselben Klinik, haben dafür ihren eigenen Standard. Dieser richtet sich regelmäßig nach den Gegebenheiten der übergebenden Einrichtung, berücksichtigt aber selten die Erfordernisse bei der Übernahme.

Meist liegen nur die medizinischen Daten bei der Übergabe einigermaßen vollständig vor. Sie sind für die weiterführende ärztliche Versorgung erforderlich. Aber wenn eine pflegebedürftige Person nach einer Krankenhaus-Behandlung in das Pflegeheim zurückkehrt, werden vor allem pflegerische Informationen benötigt: Müssen Wunden versorgt werden, gibt es erhöhten Bedarf für die Mobilisierung, haben sich die Ernährung oder Trinkgewohnheiten verändert? Es kann nach Klinikaufenthalten auch zu Veränderungen im Verhalten oder des seelischen Zustands kommen. Das erfordert ein Mehr an Betreuung und besondere Aufmerksamkeit der dafür geschulten Pflegefachkräfte. Entsprechend müssen in der aufnehmenden Einrichtung Ressourcen geplant und Dienstpläne angepasst werden. Dafür müssen die erforderlichen Informationen vorliegen.

…führt zu Risiken und unerwünschten Nebenwirkungen

Hier liegt ein weiteres Dilemma. Klinik-Entlassungen finden häufig vor Wochenenden statt. Ist der Patient dann im Heim oder zuhause angekommen und sind die Daten für die Weiterversorgung unzureichend oder lückenhaft, so gibt es keine Möglichkeit, kurzfristig am Wochenende an die notwendigen Informationen zu gelangen. Da die landläufig eingesetzten Überleitungsinstrumente sowieso selten aus der Pflegeperspektive verfasst sind, kommt es so sehr oft zu Versorgungsproblemen. Ist der Pflegebedarf hoch, müssten dafür kurzfristig entsprechende Ressourcen in der übernehmenden Einrichtung bereitgestellt werden. Fehlen die Informationen und das Personal, kann das dazu führen, dass sich der Zustand einer zu pflegenden Person so verschlechtert, dass sie zurück überwiesen wird.

Der Faktor Zeit und fehlende Pflegefachlichkeit sind also die größten Hürden bei der Überleitung von Menschen zwischen Gesundheitseinrichtungen, wenn ein Bedarf an pflegerischer Versorgung besteht.

So viel wie möglich, so wenig wie nötig

Mitglieder der DGQ haben ein Instrument entwickelt, das eine Lösung für die pflegerischen Überleitungssorgen bringt. Es liegt im Entwurf vor und besteht aus drei Teilen:

  1. Der Überleitungsbogen passt ausgedruckt auf eine Seite und enthält alle Informationen, die für die allgemeine kurzfristige pflegerische Ressourcenplanung erforderlich sind. Er basiert auf dem sogenannten pflegerischen Begutachtungs-Instrument (BI), das auch für die Einschätzung des Pflegebedarfs durch den Medizinischen Dienst eingesetzt wird. Es stellt sozusagen die Basis für die Leistungserbringung in der Langzeitpflege dar. Die Inhalte haben alle einen Pflegebezug und nutzen eine Sprache, die über alle Pflegesektoren, ob Klinik, Heim, Reha oder Hospiz, verstanden wird. Der Bogen beinhaltet 64 Pflegephänomene. Davon werden lediglich diejenigen ausgefüllt, bei denen sich eine Veränderung gegenüber der Auf- oder Übernahme ergibt. Es geht darum, alle pflegerelevanten Informationen abzubilden, die für die Ressourcenplanung in der Übernahme-Einrichtung erforderlich sind – nicht mehr, aber eben auch nicht weniger.
  2. Um sicher zu stellen, dass die in dem Überleitungsbogen erfassten Informationen von allen am Prozess beteiligten Personen in derselben Weise verstanden und eingeschätzt werden, gibt es einen Erläuterungstext. Dieser stellt den zweiten Teil des Überleitungs-Instruments dar.
  3. Und schließlich fehlen häufig pflegerische Basis-Daten zu den Menschen, die von einer Institution in eine andere entlassen werden. Das sogenannte Stammdatenblatt beinhaltet alle für eine pflegerische Versorgung erforderlichen Daten, zum Beispiel zu Hilfsmitteln wie Brille oder Hörgerät, das Vorliegen von Vollmachten oder ob Ausweispapiere vorhanden und mitgegeben werden.

Das Instrument soll nun in einem Pilotprojekt getestet werden. Fragen, die bei dem Vorhaben geklärt werden, sind die Verständlichkeit, eventueller Schulungsbedarf und eine vorläufige Einschätzung, ob das Instrument tatsächlich zu einer Verbesserung der Versorgungsqualität führt.

Der Test-Zyklus wird Szenarien umfassen, bei denen Heimbewohner in die Klinik eingewiesen werden und anschließend zurückkehren sowie direkte Heim-Überleitungen aus dem Krankenhaus. Vor allem Letztere bereiten übernehmenden Pflegeeinrichtungen regelmäßig große Schwierigkeiten, weil pflegebezogene Daten nicht aus der Vergangenheit vorliegen und die Einschätzungen aus Krankenhäusern aus den oben genannten Gründen mangelhaft sind.

Wichtig dabei ist: Es handelt sich um ein Instrument, mit dem die allgemeine pflegerische Versorgung im Falle der Überleitung zwischen Gesundheitseinrichtungen sichergestellt werden soll. Der Überleitungsbogen stellt keinen Ersatz für den Arztbrief dar, der jede medizinische Überleitung begleitet. Auch besondere Bedarfslagen wie die Wundversorgung oder Ernährungshinweise werden gewöhnlich in gesonderten Übergabe-Formularen geliefert.

Perspektivwechsel für mehr Qualität

Die Qualität der Daten und der rechtzeitige Eingang bei der übernehmenden Einrichtung sind die entscheidenden Faktoren für das Gelingen von Überleitungen im Gesundheitswesen. Lückenhafte Informationen und Versäumnisse bei der Einbeziehung aller am Versorgungsprozess beteiligten Disziplinen führen zu Gesundheitsrisiken für die betroffenen Menschen.
Dafür ist ein Perspektivwechsel erforderlich. Die Entlassung muss einerseits aus der Sicht der übernehmenden Einrichtung erfolgen und darüber hinaus deren spezifische fachliche Bedarfe berücksichtigen. Bisher sicherte das Entlassmanagement meist nur die Qualität der Versorgung bis zur Einrichtungs-Schwelle und konzentrierte sich auf die lückenlose medizinische Daten-Übermittlung. Auch hier führt eine integrierte Sicht, welche die Anforderungen der verschiedenen beteiligten Parteien berücksichtigt, zu einem Mehr an Qualität.

Um die regelmäßigen Defizite im pflegerischen Versorgungsprozess bei Entlassungen anzugehen, haben Expert:innen der DGQ ein einfaches Instrument entwickelt. Der Feldtest wird nun beginnen und nach dessen Auswertung und erfolgreicher Anwendung kann das abschließend bearbeitete Überleitungs-Instrument in die regelmäßige Praxis überführt werden, wo es dann hoffentlich weniger Brüche in der Versorgung gibt und der Drehtür-Effekt eingedämmt wird.

Den DGQ-Überleitungsbogen finden Sie auf der DGQ-Website zum Download »

Über den Autor: Holger Dudel

Holger Dudel ist Fachreferent Pflege der DGQ. Er ist gelernter Krankenpfleger und studierter Pflegepädagoge und Pflegewissenschaftler. Er hat zuvor Leitungsfunktionen bei privaten, kommunalen und freigemeinnützigen Trägern der Langzeitpflege auf Bundesebene innegehabt. Qualität im Sozialwesen bedeutet für ihn, dass neben objektiver Evidenz auch das „Subjektive“, Haltung und Beziehung ihren Platz haben.

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