QM und QS im Wandel: Kollektive Qualitätssicherung des Liefernetzes22 | 09 | 20

Unter vier Augen sprechen Kolleginnen und Kollegen aus dem Qualitätsmanagement Tacheles: Es läuft so einiges schief in der Lieferkette. Da vertuschen wir Fehler, verschweigen oder beschönigen Probleme und machen so manches X für ein U vor. Wer darin eingebunden ist, hat extreme Bauchschmerzen. Den eigenen Ansprüchen genügt das nicht. Doch für so manches Zulieferunternehmen geht es hier ums Überleben. Denn die großen Kunden bestrafen Qualitätsehrlichkeit teilweise unerbittlich mit Strafen, Regressen und Auftragsentzug.

Die ernüchternde Realität widerspricht dabei dem Geist aller gültigen Qualitätssicherungsvereinbarungen, Qualitätsversprechen, Qualitätsmanagementnormen und
-branchenstandards. Es gibt eine total stimmige Papierwelt, in der bezüglich Qualität alles gut geregelt ist. Und es gibt die Welt der realen Projekte und Prozesse, in der die Abweichung und die Ausnahme die Regeln sind.

An der Spitze stehen oft große Konzerne, die selbst unter Markt-, Shareholder-, Disruptions- und oft genug unter Existenzdruck stehen. Top-Down geben sie ihre Anforderungen an die Lieferketten weiter. Sie induzieren dabei Widersprüchlichkeiten und Zielkonflikte. Zu enge Termin-, Preis- und Kostenvorgaben, Nachverhandlungen von Verträgen zu Ungunsten der Lieferanten etc. Sie versuchen nach Möglichkeit, Lieferanten an Kosten zu beteiligen oder Kosten an sie weiterzureichen. Konzerne sind gegenüber den oft kleinen, mittelständischen Lieferanten in der Machtposition, asymmetrische Verträge auszuhandeln, die Risiken überproportional stark den Lieferanten zuweisen.

Dabei hat niemand, nicht einmal die großen Kunden, einen Überblick über die Gesamtqualitätslage. Es gibt immer nur Ausschnitte vom Gesamtbild. So manche Reklamation und so mancher Rückruf könnte vermieden werden, aber mangelndes Vertrauen und mangelnde Qualitätsehrlichkeit verhindern dies. Genauso wie die unzureichende Digitalisierung, die eben nicht alle Daten eines Liefernetzes zusammenbringt. Technisch wäre sie möglich, für Verbraucher und Märkte sowie für die Hersteller, Anbieter und Lieferanten sehr nützlich: eine datengestützte, kollektive Qualitätssicherung des Liefernetzes.

Soweit und so kurz sei ein tiefsitzendes Qualitätsproblem einmal in aller Offenheit benannt. Wie sehen Sie das? Ist das an den Haaren herbeigezogen? Oder verschafft dies auch Ihnen schlaflosen Nächte? Ich bin gespannt auf Ihre Kommentare

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Über den Autor: Benedikt Sommerhoff

Benedikt Sommerhoff leitet bei der DGQ das Themenfeld Qualität & Innovation. Er beobachtet, analysiert und interpretiert die Paradigmenwechsel und Trends in Gesellschaft und Wirtschaft sowie ihre Wirkungen auf das Qualitätsmanagement. Seine zahlreichen Impulse in Form von Publikationen und inspirierenden Vorträgen geben Orientierung in Zeiten des Wandels. Sie ermutigen zur Neukonzeption des Qualitätsmanagements und der Qualitätssicherung. Gemeinsam mit Expertinnen und Experten des DGQ-Netzwerks aus Praxis und Wissenschaft arbeitet Sommerhoff in Think Tanks und Pionierprojekten an der Entwicklung, Pilotierung und Vermittlung innovativer Konzepte und Methoden.

2 Kommentare bei “QM und QS im Wandel: Kollektive Qualitätssicherung des Liefernetzes”

  1. Da hast du mal wieder ein spannendes Thema aufgegriffen. Das Thema fängt jedoch bereits im Kleinen an. Mann muss also nicht nur zu den Großen schauen. Diesem Trend entgegenzuwirken ist aus meiner Sicht nur möglich, wenn wir uns von der Gewinnmaximierung verabschieden. Eine ähnliche Diskussion hatten wir nach meinem online Vortrag zu den Leitlinien des „Ehrlichen Kaufmanns“ beim DGQ RK Berlin Anfang diesen Monats.

    Eine Erweiterung der Digitalisierung wird dieses Thema aus meiner Sicht nicht lösen können. Wie und wodurch? Sollen die Datenfriedhöfe noch größer werden? Zudem sind die technischen Voraussetzungen nicht wirklich gegeben. Man betrachte nur die unzulängliche Mobilfunk- und Internetversorgung auf dem Land in Deutschland. Hier behindert uns der Bürokratismus diese Situation innerhalb der BRD und dann zusätzlich auch noch durch EU Vorgaben zu verändern.

    Ich glaube eher das wir eine andere Führungskultur benötigen. Führungskräfte die erkennen, wie wertvoll gute Lieferanten. Zudem muss wieder ein nachhaltiger Managementansatz, wie z.B. die Leitlininies des „Ehrbaren Kaufmanns“, gelebt werden. Weg von der Gewinnmaximierung und Profigier hin zu ganzheitlicher Nachhaltigkeit.

    1. 7f73d6f7905b77364eb75cf28b745fd4 Benedikt Sommerhoff sagt:

      Ja, Jörg, auch im Kleinen, nicht nur im Großen ist Bedarf und Potenzial. Anhand der Großen lässt sich die Problematik aber besonders eindringlich aufzeigen.

      Ich stimme Dir zu, dass die Kultur der Hebel ist, mehr als die Digitalisierung. Die Digitalisierung erhöht aber die Möglichkeiten einer kollektiven Qualitätssicherung erheblich, und sie erhöht auch den Verä#nderungsdruck, weil die Transparenz immer mehr zunimmt.
      Datenfriedhöfe gibt es ja nur deshalb und dann, wenn wir die Möglichkeiten der Digitalisierung nicht nutzen.

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