Digitale Ökonomie – Zwischen Leugnen und Abhängigkeit19 | 03 | 15

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Wenn ich so höre und sehe, welche technischen Möglichkeiten uns heute real und zukünftig absehbar zur Verfügung stehen, muss ich staunend erkennen: Die Science Fiction meiner Jugend ist unerwartet früh und umfassend zum Alltag geworden. Doch der Reihe nach.

Die Menschheitsgeschichte ist voller zivilisatorischer Meilensteine. Zwischen der ersten Nutzung des Feuers bis zur Satellitensteuerung von autonomen landwirtschaftlichen Großgeräten haben wir uns einiges einfallen lassen, was es uns überhaupt ermöglicht, mit acht Milliarden Individuen diesen Planeten zu bevölkern. Und nun sprechen wir über die vierte industrielle Revolution, in Deutschland sprachmodern Industrie 4.0 genannt.

Grundlage der Industrie 4.0 ist das Internet der Dinge oder IoT (Internet of Things). Dahinter steht letztlich, dass alles mit allem vernetzt werden kann. Sehr verkürzt gesagt basiert die Industrie 4.0 darauf, Produkte und Maschinen miteinander zu selbstgesteuerten, also autonomen Fertigungssystemen zu vernetzen. So entstehen hochflexible, sehr effiziente Fabriken, die in Losgröße Eins eine enorme Variantenvielfalt produzieren können. Selbst im späteren Betrieb bleibt das Produkt online und liefert Felddaten an die Entwicklung. Ich wollte erst an die Entwickler sagen, aber wer weiß bis zu welchem Grad der Mensch bald auch in der Entwicklung durch technische Systeme ersetzt sein wird. Das ist wirklich sehr verkürzt dargestellt. Inzwischen gibt es viele Veröffentlichungen zur Industrie 4.0 und die DGQ hat für Sie eine Liste von Links [1] zusammengestellt, unter denen Sie sich vertieft damit befassen können. Auch haben wir, die DGQ, selbst begonnen, das Subthema Qualitätssicherung 4.0 zu erschließen.

Chancen und Risiken

Ich möchte nun auf folgendes hinaus. Zum einen basiert die Industrie 4.0 und darüber hinaus die digitale Ökonomie, die ja nicht nur die Produktion, sondern gerade auch die Dienstleistung erfasst, auf der Nutzung großer Datenmengen, den vielzitierten Big Data. Und damit haben wir ein offensichtliches Problem, dass unsere Wettbewerbsfähigkeit gegenüber z.B. den USA und China massiv beeinträchtigt. Zum anderen kommen durch die digitale Ökonomie und die technischen Entwicklungen gesellschaftliche und ökonomische Veränderungen, ja sogar Verwerfungen auf uns zu, für die wir nicht einmal den Ansatz von Lösungen parat haben.

Wer in Deutschland den Begriff Big Data in die Diskussion einbringt, erzeugt innerhalb Sekunden den Bezug zum Thema Datenschutz. Damit ist dann der weitere Verlauf vorherbestimmt, die Sorge um den Missbrauch der eigenen persönlichen Daten wird Thema, die Entrüstung über die offensichtlich jeglicher demokratischen Kontrolle sich entziehende NSA. Dann sprechen wir über unsere Sorgen und Ängste, Entrüstung bricht aus und es bleibt ein mulmiges Gefühl. Wie fatal verkennen wir, dass in Big Data viele Chancen liegen, dass es mehr und mehr die digitalen Geschäftsmodelle sind, die sich am Markt durchsetzen. Sie basieren auf der klugen Nutzung vorhandener Daten. Es entstehen neue, wertvolle Dienstleistungen und Produkte. Dabei wird zunehmend klar, dass die Datenbesitzer die größten Hebel der Wertschöpfung besitzen und die jahrhundertelang, die Ökonomie bestimmenden Produzenten der Hardware zur austauschbaren Dienstleistern degradieren. Wie sorgen uns gleichzeitig um den Datenschutz und nutzen selbst innbrünstig die neuen Dienste. Darüber hinaus müssen wir erkennen, dass Ernährung, Gesunderhaltung, Administration, Kleiden und Entertainment einer weiter wachsenden Weltbevölkerung ohne Big Data nicht zu leisten ist. Die Nutzung von Big Data ist für eine Menschheit dieser Größenordnung bei schrumpfenden Ressourcen existenziell. Nur wenige sich von den anderen abschottende Reiche, können sich den Luxus leisten und viele sehr Arme sind dazu gezwungen, naturnah auf moderne Technik zu verzichten.

Andererseits wird die technische Entwicklung hin zum millionenfachen Ersatz körperlicher Arbeit durch Roboter und geistig kreativer Arbeiter durch künstliche Intelligenz (KI) zum Verlust vieler Millionen Arbeitsplätze weltweit führen. Glauben Sie nicht? Ja, das wollen wir nicht wahrhaben.  Aber das Leugnen dieser absehbaren, unaufhaltsamen Entwicklung wird sie nicht verhindern.

Unaufhaltsam ist sie, weil sie technisch möglich ist und die Produktivität steigern wird und Arbeitskosten verbilligt. Denn Roboter und Automaten machen keine Pausen und Ferien außerdem verlangen sie keinen Lohn. Noch nie in der ganzen Menschheitsgeschichte hat jemand oder eine Gesellschaft eine solche Entwicklung langfristig aufgehalten.

Ich will mich selbst hier einer politischen Bewertung enthalten. Ich sehe aber, dass sich kluge Menschen Gedanken über diesen sozialen Wandel machen und wir eine gesellschaftliche Diskussion darüber ausgiebig führen müssen. Beispiele für innovative Ideen sind das bedingungslose Grundeinkommen oder die Besteuerung von Robotern und Systemen künstlicher Intelligenz und der Einsatz dieser Mittel für die Menschen.

Was hat das mit uns zu tun?

Alles schön und gut, was hat das mit der DGQ zu tun, was haben Sie als Qualitätsmanagerin, Qualitätsmanager oder in anderer Qualitätsfunktion mit der digitalen Ökonomie zu tun?

  • Die von uns, die Mitglied der Leitung sind, oder die Leitung strategisch beraten, müssen darauf achten, dass ihr Geschäftsmodell für die digitale Ökonomie tauglich ist.
  • Wir müssen Big Data zur Qualitätssteuerung einsetzen und erkennen, dass wir eine nie erahnte Transparenz über Qualitätslage in der Fertigung, Einsatzbedingungen und Feldperformance unserer Produkte erhalten. Dazu müssen wir lernen, aus Big Data Smart Data zu machen.
  • Die Auswertung der Kommunikation in sozialen Netzen liefert uns weitreichende Erkenntnisse über Kundenanforderungen und Kundenverhalten.
  • Wir müssen Möglichkeiten der Simulation schaffen und nutzen, um teure und langwierige Freigabe- und Lernphasen zu verkürzen und zu verbessern.
  • Wir müssen uns mit all den technischen, organisatorischen und ökonomischen Möglichkeiten der digitalen Welt vertraut machen und resultierende Lösungen in alle Aspekte unserer Arbeit einbringen, um ihre Qualität und Effizienz zu steigern.


Nicht zuletzt müssen wir uns eingehstehen, dass ein Verleugnen der Entwicklungen der digitalen Ökonomie oder ihrer Wirkungen auf mein Unternehmen und mich persönlich, uns beide dem Risiko aussetzt, dass wir unaufhaltbar ins Abseits geraten. Über unsere Sorgen dürfen wir dabei nicht hinweggehen, aber wir dürfen uns darin nicht suhlen, sondern müssen uns mit den Chancen auseinandersetzen. Wie wir gesellschaftlich in der neuen Welt bestehen werden, steht dabei noch auf einem anderen Blatt. Hier müssen wir als Staatsbürger und Wähler daran mitwirken, dass der anstehende gesellschaftliche Change für viele eine Verbesserung herbeiführt. Diesen Change zu gestalten wird eine globale, gesellschaftliche Mammutaufgabe sein.

Liste mit Links zur Vertiefung

Über den Autor: Benedikt Sommerhoff

Benedikt Sommerhoff leitet bei der DGQ das Themenfeld Qualität & Innovation. Er beobachtet, analysiert und interpretiert die Paradigmenwechsel und Trends in Gesellschaft und Wirtschaft sowie ihre Wirkungen auf das Qualitätsmanagement. Seine zahlreichen Impulse in Form von Publikationen und inspirierenden Vorträgen geben Orientierung in Zeiten des Wandels. Sie ermutigen zur Neukonzeption des Qualitätsmanagements und der Qualitätssicherung. Gemeinsam mit Expertinnen und Experten des DGQ-Netzwerks aus Praxis und Wissenschaft arbeitet Sommerhoff in Think Tanks und Pionierprojekten an der Entwicklung, Pilotierung und Vermittlung innovativer Konzepte und Methoden.

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