Agiles Arbeiten: wo passt es – wo nicht?

Agile Methoden, Scrum, Post-It, Agilität

Immer häufiger hört man in Unternehmen den Ruf nach Agilität. Die zahlreichen Vorteile sprechen für sich. Agilität ist inzwischen ein viel diskutiertes Thema. Doch bevor Unternehmen auf den Zug aufspringen, sollten sie eine entscheidende Frage beantworten: Macht es für uns überhaupt Sinn, agile Methoden einzuführen? Wer diese Frage unbeachtet lässt, wird schnell auf Probleme stoßen.

Agile Methoden sind sehr hilfreich, aber keine Wunderwaffe und nicht zwingend immer die beste Wahl.

Umfeldanalyse: Welche Rahmenbedingungen liegen vor?

Bevor Verantwortliche sich also damit beschäftigen, welche agilen Methoden zu ihrem Unternehmen passen, sollten sie sich eingehend mit den Herausforderungen und der Komplexität auseinandersetzen, mit denen sie in Projekten und im Unternehmen konfrontiert sind.

Diese Analyse bildet die Basis für die Entscheidung, ob sich agile Methoden eignen oder nicht. Denn die Art der Herausforderungen bestimmt die am besten geeignete Arbeitsweise.

Das Cynefin Framework bietet hierfür ein wertvolles Tool. Unternehmen sollten also vor dem Start einer Einführung von agilen Methoden eine umfassende Umfeldanalyse durchführen.

Was ist das Cynefin Framework?

Das Cynefin Framework stellt ein äußerst effektives Hilfetool dar, um die Herausforderungen des Lebens zu bewältigen. Es besteht aus fünf Feldern, die jeweils eine bestimmte Art von Herausforderung beschreiben.

Das Cynefin Framework ist somit ein wertvolles Instrument, um sich in den unterschiedlichsten Situationen zurechtzufinden. Es bietet klare Orientierungshilfen und unterstützt dabei, die richtigen Entscheidungen zu treffen – sei es bei einfachen oder komplexen Herausforderungen.

 

Cynefin Framework

Eigene Darstellung des Cynefin Framework

Einfache Herausforderungen

Bei einfachen Herausforderungen besteht ein klarer Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung. Somit ist es relativ einfach, die Herausforderung zu erkennen und zu bewerten. Eine passende Reaktion kann schnell erfolgen, da es eine klare, richtige Antwort gibt. Bewährte Lösungsansätze aus der Vergangenheit können hierbei wiederholt werden.

Komplizierte Herausforderungen

Auch bei komplizierten Herausforderungen gibt es einen Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung. Dieser ist jedoch nur mit speziellem Fachwissen oder Expertise erkennbar. Durch eine fundierte Analyse können geeignete Lösungsansätze entwickelt werden. Allerdings gibt es hierbei nicht nur eine einzige richtige Antwort, sondern verschiedene Wege, das Problem zu lösen. Eine sorgfältige Abwägung der verschiedenen Möglichkeiten ist hierbei unerlässlich.

Komplexe Herausforderungen

In komplexen Situationen ist es schwierig, Ursache und Wirkung eindeutig zu identifizieren. Wenn man jedoch vorgeht wie bei einfachen oder komplizierten Aufgaben, indem man ein Ziel festlegt und daraufhin handelt, kann man nicht sicher sein, dass das gewünschte Ergebnis erreicht wird. Stattdessen kann es zu unerwarteten Ergebnissen führen, die erst im Nachhinein erkennbar sind. Aus diesem Grund ist es am besten, in komplexen Situationen agil zu sein und zu experimentieren, um zu sehen, was funktioniert und was nicht. Das ermöglicht darauf zu reagieren und Anpassungen vorzunehmen, um eine bessere Lösung zu finden.

Chaos

In chaotischen Herausforderungen hingegen gibt es keine eindeutige Verbindung zwischen Ursache und Wirkung, weder im Vorfeld noch im Nachgang. In solchen Situationen ist die einzige Möglichkeit, zu handeln und dann auf die Ergebnisse zu reagieren.

Unordnung

Das fünfte Feld beschreibt Zustände der Unordnung, in denen es entweder keine bekannten Herausforderungen gibt oder zu wenig Informationen, um sie einem der vorherigen Felder zuzuordnen.

Wo bieten agile Methoden einen Mehrwert?

Agiles Arbeiten, das auf Inspektion, Anpassung und Transparenz basiert, ist eine optimale Methode, um komplexe Herausforderungen zu bewältigen. Organisationen, die flexibler gegenüber Kunden und veränderten Marktbedingungen sein wollen, profitieren von den schlanken Prozessen, schnellen Iterationszyklen und den kurzfristigen Zielen agiler Methoden.

Bei der Bewältigung komplexer Herausforderungen stoßen herkömmliche Managementstile und -systeme schnell an ihre Grenzen. Das zeigt sich schon daran, dass Pläne oft schon am zweiten Tag über den Haufen geworfen werden müssen, weil sich unvorhergesehene Aspekte ergeben. In solchen Situationen wird ein Unternehmen durch ein starres Vorgehen unnötig ausgebremst. Deutlich effektiver ist es, auf agile Methoden zu setzen, die sich zyklisch anpassen und flexibel auf Veränderungen reagieren können. Wenn eine Analyse zeigt, dass komplexe Probleme bewältigt werden müssen, ist die Einführung agiler Methoden daher in der Regel eine sinnvolle Entscheidung für Unternehmen oder Teams.

Agile Methoden zur Lösung einfacher, komplizierter und chaotischer Herausforderungen

Wenn die Analyse zeigt, dass die Aufgaben oder Projekte eines Unternehmens eher einfach oder kompliziert sind, dann sind agile Methoden in der Regel nicht erforderlich. Ein gutes Beispiel für eine einfache Herausforderung ist die Sachbearbeitung, bei der die Aufgabe bekannt und gut beherrschbar ist. Auch bei komplizierten Herausforderungen, wie dem Bau von Flugzeugen, ist das grundlegende Wissen vorhanden und muss nur an die spezifischen Typen angepasst werden. Obwohl agile Aspekte bei einfachen und komplizierten Herausforderungen durchaus hilfreich sein können, ist eine vollständige Umstellung nicht notwendig.

Im Gegensatz dazu sind chaotische Herausforderungen unvorhersehbar und erfordern eine flexible Vorgehensweise. Da die Situation nicht vorhergesehen werden kann, ist es sinnvoll, etwas auszuprobieren und aus den Erfahrungen zu lernen. In diesem Fall sind agile Methoden von unschätzbarem Wert, um schnell und effektiv auf Veränderungen zu reagieren.

Agiles Arbeiten und flache Hierarchien sind nur was für Start-ups? Ganz im Gegenteil – längst setzen große Automobilbauer oder Firmen wie Siemens und Miele auf agile Arbeitsweisen. Es muss auch nicht immer der große Rundumschlag sein. Es lassen sich auch einzelne Methoden aus der agilen Arbeitsweise in den Alltag übernehmen. Hier bietet sich das Kanbanboard an, entweder für Einzelpersonen oder für ein Team.

Wenn agil, dann immer von Kopf bis Fuß?

Das Ziel besteht darin, eine Arbeitsweise zu schaffen, in der alle Mitarbeiter auf Augenhöhe zusammenarbeiten können, ohne dass agile und nicht-agile Methoden einander behindern. Deshalb ist es wichtig, dass das Unternehmen nicht nur prüft, ob agile Methoden passend sind, sondern auch, wo und in welchem Kontext sie am besten eingesetzt werden sollten.

Die agilen Arbeitsmethoden sind weniger hilfreich, wenn Marktanforderungen und Kundenbedürfnisse von Beginn an deutlich festgelegt sind. Bei einem scharf definierten Ziel mit konkretem Ressourceneinsatz und dem Bedarf hoher Planungssicherheit sind klare Abläufe und Rollenzuteilungen sinnvoller.

Agilität ist mehr als nur Methode

Agiles Arbeiten bedeutet nicht lediglich die Anwendung agiler Methoden, sondern auch die Einhaltung agiler Werte und Prinzipien. Agile Methoden ergeben dann am meisten Sinn, wenn sie bewusst Teil von übergeordneten Werten und Prinzipien sind, also in der Unternehmenskultur verankert werden.

Es ist wichtig zu wissen, wer direkt betroffen ist und welche Stakeholder es gibt. Ebenso bedeutend sind die Rahmenbedingungen und Werte, mit denen zusammengearbeitet wird. Sind diese mit den agilen Werten und Prinzipien kompatibel oder gibt es noch einen großen Unterschied? Diese Beurteilung können die Teams selbst vornehmen oder einen externen Coach hinzuziehen. Zudem ist es entscheidend zu hinterfragen, ob die agilen Werte und Prinzipien überhaupt erstrebenswert sind.

Je größer die Distanz zum Ziel, desto länger ist der Weg und umso mehr Veränderungen sind notwendig. Das ist nicht per se negativ, aber sollte bewusst sein.

Fazit: Agile Methoden sind zukunftsweisend, aber kein Selbstzweck. Ein Unternehmen muss sich selbst genau kennen, um zu entscheiden, ob agile Methoden einen sinnvollen Mehrwert bringen können und welche agile Methode am besten passt.

 

Weiterbildungsangebote rund um Agiles Arbeiten

Sie wollen für sich mehr über die agilen Arbeitsweisen erfahren – dann schauen Sie gerne bei der DGQ-PraxisWerkstatt: Agiles Arbeiten – ein Einblick in Methoden und Vorgehensweisen vorbei. Anhand praktischer Übungen lernen Sie agile Methoden kennen, können diese selbst erproben und den Nutzen für Ihren Arbeitsalltag abschätzen. Erleben Sie Agilität und die Kernelemente agiler Methoden praxisnah und kompakt. Erfahren Sie, wo und warum der Einsatz dieser Methoden einen Mehrwert für Ihre tägliche Arbeit bedeuten kann.  Jetzt anmelden »

Die DGQ-PraxisWerkstatt: Agiles Qualitätsmanagement zeigt Ihnen, wie Sie als Qualitätsmanager agile Methoden zur Verbesserung der Reaktions- und Leistungsfähigkeit des Qualitätsmanagements einsetzen. Dazu bedarf es ein eingehendes Verständnis agiler Prinzipien und der Kenntnis, die richtigen agilen Methoden und Werkzeuge zur Zielerreichung auszuwählen. Sie verstehen aus Sicht von Qualitätsverantwortlichen das Thema Agilität und die Kernelemente agiler Methoden. Jetzt anmelden »

Das Fundament für Agilität: Agiles Mindset

Wir sind immer mehr getrieben durch neue Technologien, neue Kundenbedürfnisse, Globalisierung und damit neue Wettbewerber. Auch unvorhersehbare Ereignisse sowie politische und soziokulturelle Trends beschleunigen Entwicklungen, auf die ein Unternehmen eingehen muss. Mit dieser Entwicklung steigt die Dynamik und somit der Bedarf an Anpassbarkeit und Kollaboration.

Aufgrunddessen haben viele Unternehmen damit begonnen, neue Arten der Zusammenarbeit in Form von agilen Vorgehensmodellen (Scrum oder Design Thinking) und Methoden (z.B. Daily Standup-Meetings) umzusetzen. Neben agilen Methoden, Vorgehensmodellen und Organisationsformen, also dem “Doing Agile”, ist das agile Mindset, also das „Being Agile“, das Fundament für Agilität. Sie sorgt dafür, dass Agilität erfolgreich gelebt wird. Das wird meistens vergessen.

Damit aber Agilität sein volles Potenzial entfaltet, braucht es ein agiles Mindset. Hierzu muss ein Handlungsrahmen geschaffen werden, in dem die Entwicklung eines agilen Mindsets möglich ist. Selbstmanagement, Freiheit, Eigenverantwortung und Vertrauen von der Unternehmensführung sind ein wichtiges Fundament. Kollaboration auf Augenhöhe, ohne geheime Absprachen, ein offener Umgang mit Fehlern und psychologische Sicherheit sind nötig.

In einem solchen Umfeld kann jeder den besten Beitrag leisten und es entstehen High-Performing-Teams. Es geht also viel mehr darum, agil zu sein, statt nur agil zu tun.

Was ist denn aber nun ein agiles Mindset?

Hinter dem agilen Mindset (auch: Agile Haltung) stecken grundlegende Sichtweisen und Meinungen, die zu einem agilen Werteverständnis und damit zu agilen Verhaltensmustern führen. Es definiert also jene Glaubenssätze, die für eine erfolgreiche Zusammenarbeit nach agilen Maßstäben notwendig sind.

Das Agile Mindset wird auf mehreren Ebenen sichtbar:

  • die Haltung zu Arbeit,
  • Führung,
  • zu Menschen und
  • der Blick auf sich selbst.

Menschen mit agilem Mindset dienen Kunden und einander, um etwas Großes, scheinbar Unerreichbares, möglich zu machen. Sie sind der festen Überzeugung, dass sie das Zeug dazu haben, alles zu lernen, um ihre Ziele zu erreichen.

“Unter agilem Mindset verstehen wir die Einstellungen und Denkweisen, die Menschen in einer agilen Organisation anstreben bzw. anwenden sollten.” (Karsten Seydel von Siemens Energy)

Sie möchten mehr dazu erfahren? In der DGQ-PraxisWerkstatt Agiles Qualitätsmanagement arbeiten wir an beidem.

 

Agil und Homeoffice – passt das überhaupt zusammen?

Agil im Homeoffice

Agiles Arbeiten und Homeoffice – kann das zusammen passen, wenn es bei agilem Arbeiten vor allem um gute Teamarbeit und schnelles Feedback geht?

Die aktuelle Situation zwingt viele Unternehmen dazu, ihre Mitarbeiter*innen nach Hause zu schicken, um die Verbreitung des Coronavirus zu verlangsamen. Doch auf Agilität muss und sollte nicht verzichtet werden. Es gilt lediglich, bestimmte Rahmenbedingungen zu schaffen und die Arbeitsweisen aller Beteiligten aufeinander abzustimmen, um Homeoffice und agiles Arbeiten zu vereinen.

Per Definition sollten agile Teams gemeinsam und fachübergreifend an einem Produkt arbeiten. Das gelingt am besten, wenn sich das Team in einem gemeinsamen (physischen) Raum befindet. Das hat den Vorteil, dass Entscheidungen schnell getroffen werden können und zu den Zwischenständen auf kurzem Weg Feedback möglich ist. Die direkte Kommunikation ist ein zentraler Bestandteil des agilen Arbeitens und ist auch so in den 12 Prinzipien des Agilen Manifest beschrieben.

„Die effizienteste und effektivste Methode, Informationen an und innerhalb eines Teams zu übermitteln, ist im Gespräch von Angesicht zu Angesicht.“

Ist das Team aber nun örtlich verteilt, wird die Kommunikation untereinander komplizierter und dauert in der Regel wesentlich länger. Dennoch kann agiles Arbeiten im Homeoffice funktionieren.

Agiles Homeoffice kann funktionieren, wenn

  • das Team es schafft, die Kommunikationshürden bestmöglich zu überwinden und sehr gute Absprachen trifft.
  • der Informationsfluss funktioniert, da dieser den größten Produktivitätsverlust nach sich zieht.
  • alle Informationen für alle im Team jederzeit zugänglich, transparent und einfach strukturiert sind. Hier kann das Team gemeinsam überlegen, wie Sie das Speichern, Suchen und Finden der Informationen möglichst leicht gestalten können.
  • Sie zum Hörer oder zur Videotelefonie greifen, anstatt zu schreiben. Denn beim Schreiben fallen wichtige Parameter wie Mimik, Gestik, Körperhaltung und Stimme weg. So haben wir noch weniger Zusatzinformationen zur Verfügung, um auch wirklich zu verstehen was gemeint ist. Die Gefahr von Missverständnissen und Unklarheiten steigt.
  • jede*r im Team weiß, wann man sich zuhause an den PC oder Laptop setzt. Hier ist es hilfreich, sich per Chat kurz zu melden und Bescheid zu sagen, dass man startet oder nicht verfügbar ist.
  • die Teammitglieder*innen eine kurze Rückmeldung geben, nachdem Sie eine Nachricht gelesen haben. Hier hilft ein Einfaches: „Gelesen“ oder „Kümmere mich später drum“. Das verhindert zeitfressendes Nachfragen.
  • die Toolunterstützung stimmt. Hier muss es nicht immer ein ausgefeiltes Aufgabenmanagement-Tool sein. Ein einfaches Kanban Board mit z. B. „Trello“ funktioniert genauso gut. Entscheidend ist nicht das Tool, sondern wie gut der Arbeitsfluss im Team gestaltet ist.
  • die technischen Kommunikationswege einfach zu beherrschen sind. Hilfreich kann es sein, einen gemeinsamen virtuellen Raum zu schaffen. Das hilft, Wartezeiten zu vermeiden und gibt Sicherheit in der Anwendung.
  • bei all dem, was technisch möglich ist, auf das eigene Energie-Level geachtet wird. Für viele sind Online-Konferenzen anstrengender als eine persönliche Konversation, da die Technik und die Distanz die Komplexität erhöhen. Achten Sie und Ihr Team daher besonders auf häufige Pausen und ausreichend Zeit zwischen den Online-Konferenzen.
  • auch zwischenmenschliches Platz hat. Nutzen Sie eine Online-Konferenz zwischendurch, um einfach mal so zu quatschen. Oder nutzen Sie einen Chat für den zwischenmenschlichen Austausch.

Sind diese Rahmenbedingungen gegeben, ist auch aus dem Homeoffice heraus agiles Zusammenarbeiten möglich.

Und noch ein letzter Tipp: Fördern Sie die menschliche Nähe, indem Sie sich regelmäßig darüber austauschen, wie es allen im Team geht – vor allem in der jetzigen Situation.