Gut gemeint und doch nicht gut gemacht? – Die MDR muss sich erst noch bewähren

Seit dem 26. Mai 2021 ist die Medical Device Regulation (MDR) in Kraft. Über ein Jahr später drängt sich die Frage auf, wie erfolgreich die Umsetzung der neuen Anforderungen in der Medizinproduktebranche eigentlich läuft. Anfangs gab es viele Spekulationen und Kritik.

Sechs Monate nach Geltungsbeginn hat der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) gemeinsam mit der MedicalMountains GmbH und SPECTARIS eine erste Umfrage bei Medizinprodukteherstellern in Deutschland durchgeführt. Die Erhebung sollte ein klareres Bild darüber abgeben, welche zentralen Probleme in der Umsetzung der MDR bestehen und wie sich die Situation hinsichtlich der Neuzertifizierungen in vielen Unternehmen darstellt.

378 Unternehmen haben den Fragebogen beantwortet. Die befragten Unternehmen decken sehr unterschiedliche Produktbereiche ab. 30 Prozent von ihnen sind beispielsweise im Bereich der chirurgischen Instrumente tätig. Die anderen Unternehmen stammen aus den Feldern Orthopädie und Rehabilitation, Zahnmedizin und Ophthalmologie (medizinisches Teilgebiet des Auges) sowie medizinische Hilfsmittel oder Investitionsgüter. Dabei sind in der Produktpalette alle verschiedenen Risikoklassen vertreten. Die Umfrage wurde im Dezember 2021 durchgeführt und bis April 2022 ausgewertet.

Guten Absichten fehlt die Praxistauglichkeit

Das Ziel der neuen EU-Verordnung MDR wurde von Anfang an lobend hervorgehoben. Sichere und verlässliche Medizinprodukte sind ein durchaus wichtiges und unterstützenswertes Anliegen, von dem alle Beteiligten profitieren. Doch die Umfrage zeigt, dass die strukturellen Voraussetzungen zur Umsetzung der neuen Anforderungen äußerst lückenhaft sind. Vor allem die geringe Anzahl an Benannten Stellen verdeutlicht, vor welchen wirtschaftlichen Herausforderungen Unternehmen stehen. Denn von ehemals 59 Benannten Stellen, die Medizinprodukte zertifizierten, sind es bisher EU-weit weniger als 30, die dies gemäß MDR durchführen können. Grund dafür ist ein langer, aufwendiger und strenger Benennungsprozess.

Hersteller bemängeln, die MDR sei nicht praxistauglich. Das liegt einerseits an den neu aufzubringenden finanziellen Ressourcen für die Zertifizierung, andererseits sind nicht lösbare Probleme in Unternehmen entstanden, beispielsweise nicht beantwortete Anträge bei Benannten Stellen. Die Umfrageerkenntnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Herstellung mancher Medizinprodukte wird eingestellt

Aufgrund der neuen Anforderungen und finanziellen Aufwände stellen viele Hersteller die Produktion von Medizinprodukten ein. Dies gilt insbesondere für Bestands- und Nischenprodukte. Im Bereich der Zahnmedizin sind die Produkteinstellungen mit 78 Prozent am höchsten. Allerdings sind die Einstellungen auch in den anderen Anwendungsgebieten gravierend. Hersteller streichen teilweise ganze Produktsortimente. Besonders deutlich wird das, sobald für diese Produkte keine Alternativen am Markt vorhanden sind, wie beispielsweise für Produkte der Pädiatrie (Baby-Stents).

Zu viele Bestandsprodukte in der Zertifizierungswarteschleife

Bis zum 26. Mai 2024 können alle noch nicht zertifizierten Produkte am Markt nach MDR zertifiziert werden. Dann endet die sogenannte Übergangsfrist. Die Umfrage legt offen, dass jedoch weniger als 10 Prozent der Bestandsprodukte bei den befragten Unternehmen bisher neu zertifiziert wurden. Das ist unter anderem einem deutlich längeren Konformitätsbewertungsverfahren durch die Benannten Stellen geschuldet. Hier zeigt sich das Kapazitätsproblem der Benannten Stellen. Es ist davon auszugehen, dass ein Großteil der Bestandsprodukte nicht rechtzeitig vor Ende der Übergangsfrist neu zertifiziert werden können und somit vom Markt verschwinden werden.

Fehlende Innovationskraft

Die befragten Unternehmen geben an, dass 83 Prozent keine Zertifizierung innovativer Neuprodukte angehen. Ursache dafür sind die fehlenden Ressourcen und die hohen Anforderungen der MDR. Bei fast jedem zweiten Unternehmen liegen die Innovationsprojekte derzeit auf Eis.

Zusätzlich werden Bestandsprodukte gerade nicht geändert oder verbessert, da diese Verbesserungen oder Änderungen sich auf die Zertifizierung auswirken könnten. Unternehmen versuchen demnach, die Füße still zu halten, um nicht noch mehr Aufwand zu generieren. Die beschriebene Verzögerung bei Zertifizierungsverfahren trägt außerdem nicht dazu bei, dass Unternehmen neue Produkte einführen. Alternativen bietet hier der internationale Markt, beispielsweise in den USA oder Asien. Das Ausweichen auf andere Märkte wirkt sich jedoch auf die Forschung und Entwicklung von Produkten hier in Europa aus.

Aller schlechten Dinge sind drei?

Die Zusammenarbeit mit den Benannten Stellen offenbart drei gravierende Probleme für Medizinproduktehersteller: zu hohe Kosten, wenig Planungssicherheit und schwer generierbare klinische Daten.

Bei den hoch klassifizierten Medizinprodukten der Klasse III haben sich laut der Umfrage die Zertifizierungskosten verdoppelt. Hinzu kommt, dass die Kosten nicht transparent sind, was unter anderem mit der Überlastung der Benannten Stellen zusammenhängt. Diese Planungsunsicherheit führt dazu, dass Unternehmen die Kosten für die Neuzertifizierung gar nicht richtig einschätzen können. Neben weiteren Schwierigkeiten geben Unternehmen in der Umfrage an, dass die Technische Dokumentation und die Klinische Bewertung für sie am herausforderndsten sind. Die Liste der Hürden ist also lang.

Was für Lösungen werden gebraucht?

Die Umfrage verdeutlicht, dass gravierende Probleme für viele Medizinproduktehersteller durch die MDR entstanden sind. DIHK, MedicalMountains und SPECTARIS stellen die „dauerhafte Sicherstellung der Versorgung von Patientinnen und Patienten“ als oberstes Ziel heraus. Dafür müssen „sichere, effektive und innovative“ Medizinprodukte hergestellt und vertrieben werden.

DIHK, MedicalMountains und SPECATRIS legen u.a. folgende Empfehlungen vor:

  • Dem Kapazitätsengpass bei den Benannten Stellen muss entgegengewirkt werden, um reibungslose Zertifizierungsdurchgänge zu gewährleisten. So könnten auch nach Ablauf der Übergangsfrist Zertifikate für Bestandsprodukte unbürokratischer verlängert werden. Außerdem könnte das Verfahren zur Benennung einer Benannten Stelle selbst verkürzt werden.
  • Die Ressourcen der Benannten Stellen sollten sinnvoller genutzt werden, wenn ihnen bestimmte Voraussetzungen erleichtert werden, beispielsweise Zulassung von Remote Audits oder eine schrittweise Einreichung von Dokumenten der Hersteller. Das würde die Bearbeitungszeiten entzerren.
  • Medizinprodukte, die sich bewährt haben sollten auf dem Markt bleiben. Dafür könnten unter anderem bestimmte Anforderungen aufgehoben werden (beispielsweise Vorlage von klinischen Studien). Nischenprodukte sollten außerdem gesondert betrachtet werden.
  • Die Innovationskraft der Branche ist wichtig, um auch Forschung und Entwicklung in Europa in der Medizinproduktebranche zu gewährleisten. DIHK, MedicalMountains und SPECTARIS fordern daher, die gesetzlichen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen und auszugestalten.

 

Die Umfrage des DIHK, MedicalMountains und SPECTARIS finden Sie hier zum Nachlesen: Zur Umfrage » 

Gefahr statt Sicherheit? – Die Schmerzpunkte mit der MDR

Die Medizinprodukteverordnung (MDR) löst, wohin man schaut und hört, Augenrollen und teilweise auch Verärgerung aus. Bürokratische Hürden, Unklarheiten über Anforderungen und organisatorische Startschwierigkeiten zerren noch immer an den Nerven vieler Hersteller und Benannter Stellen.

Sinnvoll und lobenswert erschien zunächst die Intention der EU, Patientensicherheit zu fördern und Medizinprodukte sicherer zu machen. Von Anfang an war aber auch klar: die neue Verordnung wird vor allem kleine und mittelständische Unternehmen hart treffen und die neuen Klassifizierungsregeln und Zertifizierungsanforderungen die Existenz mancher Produkte bedrohen.

Am 4. August 2021 wurde im Plusminus- Beitrag der ARD diese Seite der Medaille aufgegriffen. Der Fernsehbeitrag setzt sich kritisch mit der Frage auseinander, ob die MDR zur Gefahr für Patienten werden könnte. Der Grund? Die neuen Zulassungsvoraussetzungen für bewährte Medizinprodukte stellen Hersteller vor große Herausforderungen. Ressourcenknappheit und finanzielle Abwägungen könnten dazu führen, dass einige wichtige Medizinprodukte vom Markt genommen werden. Das könne Auswirkungen auf die Medizin und z.B. Operationstechniken haben, sagen Ärzte und Ärztinnen. Sind die neuen Regularien eher Fluch als Segen? Bergen sie eher Gefahren, als Sicherheit zu geben?

Der Bundesverband für Medizintechnologie (BVMed) ist ebenfalls der Ansicht, die MDR sei über ihr Ziel hinausgeschossen, da sie u. a. dazu führe, dass Unternehmen ihre finanziellen Ressourcen in die Erfüllung der regulatorischen Anforderungen stecken, anstatt in Innovation. Auf lange Sicht sind das keine rosigen Aussichten für die Branche.

Für die Zertifizierung von Medizinprodukten mit hohem Risiko für Patienten, wie beispielsweise Implantaten, müssen Hersteller nun umfassende klinische Studien bereitstellen. Die Problematik dahinter: die Zulassungskosten für ein solches Produkt können die Umsätze übersteigen. Außerdem ist das notwendige Personal knapp oder die Datenlage für eine umfassende Studie nicht ausreichend. Das führt dazu, dass Hersteller genau abwägen müssen, ob es sich lohnt, das Produkt am Markt zu lassen.

Bewährte Medizinprodukte vom Markt nehmen zu müssen – was bedeutet das für die Sicherheit der Patienten?
Im ARD-Beitrag wird eindrucksvoll vermittelt, dass beispielsweise Produkte, die in Operationen verwendet werden, vom Markt genommen wurden, obwohl diese sich über Jahre bewährt hatten. Damit müssen sich nicht nur Ärztinnen und Ärzte arrangieren. In bestimmten Fällen kann es sogar die medizinische Versorgung für Patientinnen und Patienten verschlechtern und verkomplizieren, weil Behandlungen oder Operationen ohne bestimmte Produkte nicht mehr durchgeführt werden können.

Zusammengefasst bedeutet das einen drohenden und teilweise schon eingetretenen Verfügbarkeitsmangel bestimmter Medizinprodukte, der die Versorgung von Patientinnen und Patienten gefährdet. Hier offenbart sich ein großer Zwiespalt: der Anspruch, sehr sichere Medizinprodukte zu gewährleisten, aber gleichzeitig Patienten mit bestimmten Medizinprodukten retten oder versorgen zu müssen, die nun einmal von Herstellern bereitgestellt werden, die unternehmerischen und wirtschaftlichen Einflüssen unterliegen.

Der BVMed fordert daher für bewährte Bestandsprodukte pragmatische Lösungen. Für kleine und mittelständische Unternehmen sollten außerdem Förderprogramme zur Unterstützung der geforderten klinischen Studien geschaffen werden. Auch Nischenprodukte müsste die Europäische Kommission mit Ausnahmeregelungen berücksichtigen.

Die Umsetzung aller Anforderungen erfordert die Geduld aller Beteiligten und ist in ihrer Ausgestaltung oft noch unsicher und schwerfällig.

Die DGQ bildet mit ihren Trainings Mitarbeitende der Medizinproduktebranche umfassend aus und unterstützt Sie dabei, alle Anforderungen der Normen und Regularien zu kennen. Informieren Sie sich hier über das Trainingsangebot.

Laborpersonal in der Zwickmühle – Das Risiko mit der Unparteilichkeit

Neulich hatte ich einen Kunden am Telefon. Seit der Revision von ISO/IEC 17025 gibt es einige neue Herausforderungen für Labore. Herr T. erzählte mir am Telefon vom Abend mit einem Freund. Seit Ewigkeiten hatten sich die beiden nicht gesehen. Es gab Einiges zu erzählen. Der Freund hatte kaum die Tür zum Restaurant geöffnet, da platzte es schon aus ihm heraus: „Wir haben euer Labor heute mit einer Materialprüfung beauftragt.“ Herr T. war wohl sehr überfordert und berichtete mir, er hätte daraufhin erklärt: „Aber die Materialprüfungen mache unter anderem ich.“ Der Freund sah die Zwickmühle nicht: „Na und? Wo ist das Problem. Ist doch super! Dir vertraue ich.“ Eine Situation, wie sie auch in unseren Lehrgängen schon berichtet wurde.

Persönliche Beziehungen zwischen Auftraggebern und Labormitarbeitern können kritisch werden. Sie stellen ein Risiko für die Unparteilichkeit eines Labors dar. Herr T. wollte gerade auf diese Gefahr hinweisen, da fuhr dessen Freund unbeirrt fort: „Ich habe eine straffe Deadline und die Prüfung muss unbedingt gut laufen. Ich brauche sichere Werte.“ Hr. T. erklärte ihm daraufhin, dass er erst vor einer Woche von einem anderen Freund gehört hatte, dass deren Labor gehörig Probleme bekommen hatte, weil der Laborleiter einen Auftrag der Firma seiner Frau freigegeben hatte. Kommerzielle, finanzielle oder sonstige Einflüsse könnten Herrn T. nicht nur den Job kosten, sondern die DAkkS-Akkreditierung behindern. Eine objektive Beurteilung des Materialprüfungsauftrags erschien ihm daher unmöglich. Was sollte ich ihm raten?

Die Erfüllung der Unparteilichkeit eines Labors ist für deren Seriosität und Vertrauenswürdigkeit ein hohes Gut. Ein Labor darf sich nicht mit Tätigkeiten befassen, die das Vertrauen in eine objektive Beurteilung und die Integrität der Prüf- oder Kalibrierergebnisse gefährden könnten. Diese Unparteilichkeit muss für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eines Labors beispielsweise durch eine Erklärung oder einen Vertrag festgelegt werden.

Ich empfahl Herrn T. sich mit seiner Laborleiterin auszutauschen und zu klären, ob dieses Interessensverhältnis bereits bekannt sei oder als Problem gesehen werde. Herr T. berichtete mir einige Zeit später, dass seine Laborleiterin tatsächlich die Unparteilichkeit des Labors gefährdet sah. Bisher war die betreffende Firma kein Kunde des Labors und deshalb nicht in der Risikobetrachtung, die die Laborleiterin im Zuge der DAkkS-Akkreditierung letztes Jahr aufgestellt hatte, aufgeführt.

Sind Ihnen schon einmal Fälle von Unparteilichkeit begegnet? Wie handhaben Sie die Risikobetrachtung im Labor?
Auch wenn es in diesem Fall bedeutete, dass Herr T.‘s Arbeitsgeber den Auftrag ablehnen musste, konnte so dem Risiko der Unparteilichkeit vorgebeugt werden. Ratsam ist daher, dass jedes Labor mit einem Managementsystem nach ISO/IEC 17025:2018 über ein Organigramm verfügt, das bestehende Abhängigkeiten abbildet.

QM im Gesundheitswesen – nicht für alle Sektoren gleich

Wer davon ausgeht, dass ein QM-System für alle Einrichtungen im Gesundheitswesen „gleich“ ist, wird schnell eines Besseren belehrt. Die Regeln, Vorgaben und Herangehensweisen unterscheiden sich nicht nur zwischen, sondern auch innerhalb einzelner Professionen. Auch in den Weiterbildungen der DGQ fällt es den Teilnehmenden nicht immer leicht, den Sinn eines ISO 9001er QM-Systems zu erkennen, wenn andere Maßgaben in ihrem Bereich eine größere Rolle zu spielen scheinen. Die einen versuchen den Spielraum von ISO 9001 zu nutzen und auszugestalten, die anderen schreckt dieser Spielraum eher ab. Aber warum gibt es diesen überhaupt?

Verschiedene Sektoren, unterschiedliche Gesetze, viele Akteure. Sie ahnen es, die Branchenspezifik des Gesundheitswesens ist komplex. Dabei handelt es sich um einen wichtigen Wirtschaftsbereich mit einer geschätzten Wertschöpfung von jährlich 370 Mrd. Euro (BGM, 2018). Wir sind alle darauf angewiesen, dass die medizinische Versorgung, aber auch Pflege und andere Gesundheitsdienste funktionieren und somit die gesundheitliche Versorgung gesichert ist. Die Steuerung und Organisation dieses Versorgungsauftrags führt immer wieder zu politischen Diskussionen.

Die Zielgruppe, die sich mit QM im Gesundheitswesen befasst, ist komplex und die Bedürfnisse und Erwartungen unterschiedlich. Kein Wunder! Die verschiedenen Professionen und Berufsgruppen unterliegen unterschiedlichen Sozialgesetzen und verschiedenen Rahmenbedingungen für die Umsetzung eines QM-Systems.

Seit 2005 müssen alle nach dem fünften Sozialgesetzbuch (SGB V) zugelassenen Krankenhäuser ein internes QM-System einführen und aufrechterhalten. Immer häufiger tendieren Kliniken dazu, ein QM-System nach ISO 9001 einzuführen. Damit rücken Themen wie Patientensicherheit, Verantwortung, Prozessorientierung, Fehlervermeidung, aber auch Mitarbeiterorientierung und Kommunikation in den Vordergrund. Das hat auch strategische Gründe. Nicht nur kann ein QM-System die Effizienz steigern, es kann auch zu mehr Patientensicherheit und Mitarbeiterzufriedenheit beitragen. Auch müssen Krankenhäuser ein Image pflegen, denn sie unterliegen nicht nur dem medizinischen, sondern auch dem marktwirtschaftlichen Wettbewerb. Qualität in Krankenhäusern wird durch den Fachbereich Medizin dominiert. Pflege stellt dort zwar die größte Berufsgruppe dar und ist maßgeblich am Versorgungsprozess beteiligt – eine gesetzlich geregelte Qualitätssicherung im Sinne der Prüfung von Pflegemaßnahmen gibt es im klinischen Bereich aber nicht. Neben der Pflege gibt es – abhängig vom Schwerpunkt der Einrichtung – auch noch eine Reihe anderer Professionen, die am Versorgungsprozess beteiligt sind. Sie ordnen sich wie die Pflege in das medizinische Qualitätsmanagementsystem ein.

Anders verhält es sich in der Langzeitpflege, also in Pflegeheimen, Sozialstationen und vielen teilstationären Pflegeeinrichtungen. Für diese Bereiche sind die Anforderungen an Qualität im SGB XI festgelegt. In Deutschland verfügt daher auch jede Pflegeeinrichtung über eine „Pflegenote“, die sie in dem sogenannten „Pflege-TÜV“ durch den MDK erhält. Die gesetzlichen Anforderungen haben auf Bundesebene zu umfangreichen Prüfverfahren und Standardisierungen geführt, die zusätzlich noch auf Länderebene in Heimgesetzen reglementiert werden. Die Erfüllung dieser Vorgaben ist für die Einrichtungen mit hohem Aufwand verbunden. Für weitergehende qualitätssichernde Maßnahmen fehlen da häufig die Ressourcen. Außerdem hat sich durch die gesetzliche Reglementierung und die Pflegenoten der Stellenwert der Qualität verändert: Es wurden bisher eher Ressourcen für das Bestehen der Kontrollen durch den MDK bereitgestellt, als für eine ISO-Zertifizierung. Spätestens seit Kunden aufgrund des Pflegenotstands froh sein können, überhaupt noch einen Pflegeplatz zu bekommen, scheint das Thema Zertifizierung für viele Einrichtungen keine Rolle mehr zu spielen.

Ob Gesundheits-Einrichtungen eine ISO-Zertifizierung anstreben, hängt also stark vom jeweiligen Sektor und den Rahmenbedingungen ab. Die Sozialgesetzbücher bilden dabei eine gedachte Grenze zwischen den Systemen. Im Bereich des SGB XI, das ist die Alten- und Langzeitpflege, hat darüber hinaus über die Jahre eine Überregulierung in der Qualitätssicherung stattgefunden. Mit der Einführung der überarbeiteten Qualitätsbeurteilung in der stationären Altenhilfe im Herbst 2019 und einer stärkeren Ausrichtung auf die Ergebnisqualität wird zum Teil auf diese Fehlentwicklungen reagiert. Es bleibt abzuwarten, ob mit diesem Schritt auch die ISO-Zertifizierung einen anderen Stellenwert erlangt.

Diesen Blogbeitrag hat Anna Schramowski zusammen mit Holger Dudel verfasst. Holger Dudel arbeitet für die DGQ als Fachreferent Pflege.

Das digitale Labor – die DGQ im Gespräch mit Matthias Freundel über die Zukunft von Laboren im Zeitalter der Digitalisierung

Matthias Freundel ist Gruppenleiter am Fraunhofer IPA in Stuttgart. Er und sein Team beschäftigen sich mit digitalen Laborsystemen (Digital Lab Services). Sie unterstützen u. a. Industriepartner bei der Digitalisierung ihrer Laborprozesse.

Christina Eibert und Anna Schramowski, Produktmanagerinnen bei der DGQ, haben Matthias Freundel zum „Digitalen Labor“ interviewt und mit ihm über die Vor- und Nachteile sowie Chancen und Risiken gesprochen.

Herr Freundel, was machen Sie und Ihr Team? Womit beschäftigen Sie sich?

Matthias Freundel (rechts) und sein Team

Mein Team und ich beschäftigen uns allgemein mit der Digitalisierung im Labor. Wir erforschen, wie die Digitalisierung sich auf das Labor auswirkt, welche etablierten Technologien man einsetzen könnte, welche es schon gibt und welche Vorteile sich daraus für Labornutzer ergeben. Wir verfolgen verschiedene Projekte von entweder wenigen Tagen oder mehreren Jahren. Wir haben zum Beispiel auch klassische Softwareprojekte. Diese Projekte entstehen gemeinsam mit Firmen, um den Anwendungsfall neuer Technologien untersuchen zu können – also sozusagen live zu testen. Das Fraunhofer IPA hat u.a. die Aufgabe, die Forschung, die an der Uni betrieben wird und sehr grundlagenlastig ist, industrietauglich zu machen.

Können Sie Beispiele dieser neuen Technologien nennen?

Viele dieser Technologien kennen wir bereits aus dem privaten Konsumbereich. Einer meiner Mitarbeiter arbeitet zum Beispiel an Sprachsteuerung. Viele kennen Alexa oder Google Home aus dem Heimanwenderbereich. Sprachsteuerung ist ein natürlicher Weg, um mit Software zu interagieren. Wir überprüfen gerade, auch mit Partnern, wo es Sinn ergibt, diese Sprachsteuerung einzusetzen. Beispielsweise, wenn jemand bei Labortätigkeiten die Hände nicht frei hat. Allerdings kann man nicht einfach eine „Alexa“ ins Labor stellen. Wir haben Umgebungsbedingungen, die mit einbezogen werden müssen – so etwas wie Lautstärke, Stimmen, Umgebungsgeräusche, Sauberkeit.

Gestenerkennung ist noch nicht so verbreitet, aber von Fahrzeugen kennt man das schon. Die Frage ist: Wie kann Gestenerkennung helfen, wenn ich zum Beispiel Handschuhe anhabe aber eine Geste machen muss? Wie, wenn ich etwas dokumentieren möchte, ein Protokoll auf einem Display abrufen will ohne dabei die Handschuhe ausziehen zu müssen?

Was sind denn die Vorteile der digitalen Technologien im Labor? Die Investitionen müssen sich ja rentieren.

Im Endeffekt hat alles mit Zeit- oder Kostenersparnis zu tun. Logisch, denn sonst würde niemand investieren. Es geht aber auch darum, hochqualifiziertes Personal zu entlasten. Im Labor gibt es eine Reihe an Tätigkeiten, die, ich nenne es mal, nicht wertschöpfend sind. Wir versuchen mit der Digitalisierung Mitarbeitern wieder Raum zu geben, damit sie sich anderen und den eigentlich wertschöpfenden Tätigkeiten widmen können.
Wir haben zum Beispiel auf der „Labvolution“ einen mobilen Roboter zum Plattentransport vorgestellt. Der Plattentransport an sich ist nicht wertschöpfend, muss aber gemacht werden. Der Roboter kann diese Arbeit übernehmen und beispielsweise nachts oder am Wochenende Tätigkeiten ausführen, sodass niemand extra ins Labor kommen muss. Dadurch kann man den Menschen entlasten und unterstützen.

Fallen Ihnen spontan Beispiele für Vorteile ein, die sich im Hinblick auf das Qualitätsmanagement oder die Qualitätssicherung ergeben?

Das knüpft an vorher Gesagtes schon an. Dokumentation ist ein großes Thema. Wir arbeiten an einem Gestenarbeitsplatz. Da geht es darum, mit Sensorik zu erkennen, was der Mensch tut. Beim händischen Pipettieren ist es beispielsweise nicht möglich zu erkennen, ob die pipettierten Muster bis ins kleinste Detail stimmen. Denn bei vielen Pipettierschritten können Fehler entstehen. Wir versuchen mithilfe von Kameras und Abstandssensoren zu erkennen, was der Mensch genau gemacht hat. Danach gleichen wir ab, ob das zu dem passt, was im Protokoll steht. Der Abgleich mit dem Protokoll ermöglicht es dann, Labormitarbeiter auf Fehler hinzuweisen. Ein großer Vorteil davon ist, dass Fehler bereits während des Prozesses entdeckt werden, und nicht erst am Ende. Wenn man die Fehler früh erkennt, spart das Zeit und natürlich auch Geld. Der Gestenarbeitsplatz ist also eine Möglichkeit, den Nutzer dabei zu unterstützen, weniger Fehler zu machen. Da steckt aber noch viel Forschungsbedarf drin. Es benötigt noch Zeit, bis solche Systeme tauglich sind. Das hängt am Ende auch davon ab, wie der Nutzer dieses System einsetzen möchte.

Sie machen sich auch Gedanken darüber, wie Sie die generierten Daten nutzen können. Gibt es weitere Beispiele dafür, wie Daten generiert werden und wie Wissenschaftler diese dann nutzen können?

Ein klassisches Problem im Labor ist weiterhin die automatische Verknüpfung von Geräten. Da geht es darum, Daten zu Prozessschritten oder Ergebnisdaten zu erfassen und abzuspeichern. Diese Daten sind für die spätere Analyse wichtig. Anders als heute soll niemand mehr Werte abschreiben oder konvertieren müssen.

Ein weiteres Beispiel ist die Datenauswertung. Man hat Ergebnisse und wertet sie aus. Es müssen beispielsweise Kurven interpretiert und Schwellwerte festgelegt werden. Hier kann Machine Learning helfen, Ergebnisse zu klassifizieren.
Es geht aber auch darum herauszufinden, was überhaupt relevante Daten sind, die sich aufs Endergebnis auswirken können. Bei der Erfassung und der Aufzeichnung ist auf jeden Fall noch viel zu tun. Man muss sich vorher gut überlegen, welche Daten man wofür sammelt.

Das klingt alles sehr positiv. Aber gibt es denn auch Risiken? Beispielsweise in Richtung der Informationssicherheit. Denken Sie das automatisch mit?

Ja, das ist vollkommen richtig. Die Digitalisierung hat auch gewisse Risiken. Bei jedem Anwendungsfall ist zu überlegen: Überwiegen die Vor- oder Nachteile?

Nachteile sind, und da müssen Unternehmen aufpassen, „leicht zugängliche“ Daten. Alles was vorher auf Papier geschrieben wurde, ist für jemanden von außen erst einmal schwer einsehbar. Da müsste jemand einbrechen und viele Laborbücher klauen. Heute werden die Daten jedoch digital abgelegt. Die Daten sind mit krimineller Energie „einfacher“ zugänglich, weil sie irgendwo abgelegt sind, beispielsweise in einer Cloud. Das müssen Unternehmen einplanen und sich davor schützen. Die Daten müssen so aufbereitet und abgelegt werden, dass sie nicht von Dritten einsehbar sind oder gehackt werden können.

Besonders sensibel ist auch Folgendes: Wir erfassen was Menschen tun, was sie machen und wie sie sich bewegen. Da geht’s natürlich in die Privatsphäre. Denn dadurch kann ausgewertet werden, wie lange Mitarbeiter brauchen. Wer ist schneller? Ich könnte theoretisch Mitarbeiter miteinander vergleichen. Das ist ein Nachteil, weil es Menschen von außen kontrollierbar macht. Aber das ist alles regelbar, finde ich. Beispielsweise durch die Einbeziehung des Betriebsrats, um zu klären, welche Daten genutzt werden dürfen und welche nicht. Da muss man sich absichern.

Uns als Weiterbildungsanbieter interessieren natürlich auch die Kompetenzanforderungen vom Laborpersonal. Ändern sich durch die Chancen und Risiken der neuen Technologien auch die Kompetenzanforderungen an Labormitarbeiter? Wird sich das Berufsbild wandeln?

Ja klar. Aber das tut es ja schon. Gerade am Beispiel unseres Roboters, den wir auf der „Labvolution“ – Kevin heißt er – vorgestellt haben, kommt immer wieder die Frage: Wollt ihr uns rationalisieren? Da sage ich dann immer: Wenn die Tätigkeit darin besteht, Platten von A nach B zu transportieren, dann ist der Roboter nicht das Problem. Diese nicht wertschöpfenden Tätigkeiten werden einfach, auch in Deutschland, immer schwieriger zu halten. Dafür ist die Arbeitskraft zu teuer.

Unternehmen verfügen häufig über einen „alten Kernstamm“ an Personal. Doch das neue Personal, das eingestellt wird, besteht meistens aus hochqualifizierten Leuten, die diese Standardtätigkeiten gar nicht mehr machen wollen. Die wollen sich um Forschung, Entwicklung und Experimentdesign kümmern. Im Privaten sind wir ja auch immer mehr mit Digitalisierung vertraut. Diesen Komfort wollen dann viele auch im Labor.
Das Berufsumfeld ändert sich. Es gibt Studien die sagen, dass die Mittelqualifizierung immer mehr wegfällt. Es gibt viel mehr hochqualifiziertes Personal, die Roboter steuern und mit diesen neuen Technologien umgehen müssen, mit Geräten umgehen müssen, die immer komplizierter werden.

Im Bereich der Dienstleistungen gibt es vermutlich auch Tätigkeiten, die nicht digitalisierbar sind, die dann keine qualifizierten Tätigkeiten sind.

Vielleicht ist Flexibilisierung ein gutes Beispiel. Wir wissen, dass der Mensch hoch flexibel bei der Abarbeitung seiner Aufgaben ist. Bei der Bearbeitung von Rechenoperationen am Computer ist er jedoch unterlegen. Auch beim Erfassen von komplexen Situationen wird der Mitarbeiter für Jahre eine zentrale Rolle einnehmen.

Ein Kunde von uns hat viel automatisiert, was für mich Teil der Digitalisierung ist. Dort fallen Jobs nicht weg, sondern es werden neue geschaffen. Durch Automatisierung können viel mehr Messergebnisse erzeugt werden. Nun braucht es dafür aber auch mehr Leute, beispielsweise zur Wartung der Anlagen. Und es braucht mehr Personen, die die Messergebnisse auswerten können.
Dass Digitalisierung Arbeitsplätze abschafft, stimmt also so nicht. Aber es sind die Bedenken der Mitarbeiter, die ernst genommen werden müssen.

Glauben Sie, dass sich das in der schulischen Ausbildung widerspiegeln wird – beispielsweise bei Technischen Assistenten? Die Frage ist ja auch, wie schnell die Ausbildung bei solch steigendenden neuen Anforderungen hinterher kommt.

Dazu kann ich nicht viel sagen. Was ich sagen kann, ist, dass sich natürlich auch die Universitäten umstellen müssen. Wir stellen bei unseren Studierenden immer fest, dass sie viel klassisches Handwerkszeug lernen. Aber in Hinblick auf Automatisierung und Digitalisierung im Labor gibt es noch Aufholbedarf. Im Berufsleben müssen sich neue Mitarbeiter, die frisch von der Uni kommen erst einmal auf die neuen Technologien einstellen. An der Uni lernen die Studenten sehr selbstständig zu arbeiten. Im Labor hingegen muss kooperiert und zusammengearbeitet werden. Das ist auch ein Widerspruch zur Uniausbildung. Praktische Schulungen zu Digitalisierungs- und Automatisierungsmöglichkeiten sind dann gefragt.

Können Sie in die Zukunft schauen? Wo stehen wir, an welchem Punkt sind wir gerade in Bezug auf die Digitalisierung im Labor?

Pauschalität ist da schwierig. Viele Labore sind in Hinblick auf Datennutzung noch schlecht aufgestellt. Wir sehen aber auch genau das Gegenteil. Es gibt Unternehmen, deren Datennutzung bereits hoch automatisiert ist. Wie lange wird es dauern? Schwer zu sagen. Es gibt jetzt immer mehr Technologien, die im Labor eingesetzt werden können. Da werden wir in den nächsten fünf Jahren große Sprünge sehen. Mein Gefühl sagt mir, dass Machine Learning von der Nutzbarkeit immer einfacher wird und peux à peux Einzug ins Labor halten wird. Das wird aber auch davon abhängen, inwieweit die Labore das wollen und offen dafür sind und die Benefits sehen. Ich glaube, da wird sich einiges tun.
Wir glauben nicht, dass der Mensch in den nächsten fünf bis zehn Jahren aus dem Labor verschwunden sein wird. Es gibt noch viel manuelle Arbeit, die aber Schritt für Schritt durch digitale Technologien unterstützt werden wird.

Herr Freundel, vielen Dank für das wirklich spannende Gespräch.

Wie sieht die Laborautomatisierung aus? Hier ein Beispiel.


Diesen Beitrag hat die Autorin Anna Schramowski gemeinsam mit DGQ-Produktmanagerin Christina Eibert verfasst. Christina Eibert ist studierte Sozialwissenschaftlerin und Produktmanagerin bei der DGQ. Sie verantwortet die Trainings in den Bereichen Compliance, Datenschutz, Statistik und Cyber-Sicherheit. Besonders wichtig ist es ihr, praxisnahe und zukunftsorientierte Weiterbildungen zu entwickeln, von denen Teilnehmer und Unternehmen gleichermaßen profitieren.

Pflegeroboter im Einsatz – Chance oder Risiko?

Sie mag auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheinen: Die Vorstellung, dass ein Pflegeroboter durch die Flure von Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen fährt. Dass er mit Patientinnen und Patienten interagiert, Personal durch Bereitstellung von Daten unterstützt oder Hol- und Bringdienste absolviert. Doch können Pflegeroboter uns mehr nutzen, als wir denken?

Der demografische Wandel, die Überlastung von Pflegekräften und wachsender Personalmangel zwingen das System zu innovativen Ideen. Zunehmend wird daher über den Pflegeroboter diskutiert. Bisher existieren keine aussagekräftigen Studien. Zudem fehlt die Praxiserfahrung um abzuschätzen, was Pflegeroboter in Zukunft leisten und wie sie entlasten können. Im Gegensatz zu Japan, wo die neuen technologischen Möglichkeiten im Bereich der Pflege bereits eingesetzt werden, sind in Deutschland nur vereinzelte Projekte mit Pflegerobotern implementiert. Hierzu gehören zum Beispiel der Care-o-bot, den das Fraunhofer IPA als „interaktiver Butler“ für Hol- und Bringdienste, als Unterstützung in Notfällen aber auch zur Unterhaltung und Kommunikation entwickelt hat . Der Roboter Paro hingegen ist einer Baby-Robbe nachempfunden und wird zu therapeutischen Zwecken vor allem bei demenzkranken Patientinnen und Patienten eingesetzt.

Soll der Roboter den Menschen ersetzen?

Für die Menschen in Deutschland ist der Einsatz dieser Roboter in der Pflege in Zukunft nicht unwahrscheinlich. Mehr als die Hälfte (57 Prozent) der Befragten einer repräsentativen Studie des Digitalverbandes Bitkom gehen davon aus, dass in zehn Jahren Pflegeroboter vor allem im Bereich schwerer körperlicher Arbeit das Pflegepersonal unterstützen werden. Für 45 Prozent werden dann auch die Zubereitung oder das Servieren von Mahlzeiten oder Getränken von Service-Robotern übernommen. Skepsis zeigen die Befragten vor allem im Bereich der emotionalen Zuwendung. Den Einsatz von sogenannten Kuschelrobotern sehen nur 28 Prozent als wahrscheinlich an.

Neben der Frage nach dem Nutzen stehen auch ethische Vorwürfe im Raum: Soll der Roboter den Menschen ersetzen? Sieht so die Pflege der Zukunft aus? Probleme können sich auch aus der Perspektive von Datensicherheit und Datenschutz ergeben.

Guter Kollege oder eine Maschine ohne Empathiefähigkeit?

Als Entlastung für Pflege- und Krankenhauspersonal gelten Pflegeroboter schon seit einiger Zeit als Allround-Lösung. Sie können assistieren, Routineaufgaben übernehmen und dem Personal mehr Handlungsspielräume eröffnen. Der Fachkräftemangel in der Pflege wird immer problematischer. Zum demografischen Wandel gesellt sich die zunehmende Unattraktivität der Ausbildung. Schlechte Bezahlung und prekäre Arbeitsbedingungen sind für junge Menschen nicht gerade einladend. Diese Umstände wirken sich auch auf die Qualität in der Pflege aus. Kann ein Roboter es richten?

Zur Entlastung der Pflegekräfte könnte der Roboter Pflegeutensilien und Medikamente holen oder Essen bereitstellen. Dadurch hätten Pflegekräfte mehr Zeit, sich um die  Versorgung der Patientinnen und Patienten zu kümmern. Für Pflegepersonal dürften Roboter aber vor allem eines sein: Maschinen, denen Empathiefähigkeit fehlt. Viele sehen den Einsatz eines Roboters daher skeptisch. Die Sorge, moderne Technologie könnte „echte“ Menschen ersetzen wiegt schwer. Als Assistent kann der Roboter jedoch helfen, bestehende Mängel auszugleichen. Es sollte klar sein, dass der Roboter die Pflegekraft nicht „ersetzen“ soll, sondern sie lediglich unterstützt, vor allem in der Erledigung körperlich anstrengender Tätigkeiten. Wird der Roboter in Prozesse mit eingebunden, können Abläufe optimiert werden. Dies ist nur unter der Voraussetzung möglich, dass der Roboter einwandfrei funktioniert, und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geschult werden.

Investitionskosten könnten in die Gehälter der Pflegekräfte fließen

Im Moment wäre die Anschaffung eines Roboters allerdings vor allem eines: sehr teuer. In Hinblick auf die Kosten, könnte ein Roboter, langfristig betrachtet, rentabel sein. Gerade wenn in Zukunft mehr Roboter produziert würden und auf den Markt kämen, würde der im Moment sehr hohe Anschaffungspreis sinken. Ist er erst einmal angeschafft, kostet er kein Gehalt und verursacht keine Personalzusatzkosten (Krankheit, Urlaub etc.). Dennoch sollten Wartungs- und Personalschulungskosten mit eingeplant werden. In der Regel müssten Krankenhäuser sich auch rechtlich aufgrund des Themas Datenschutz Rat einholen. Leider gibt es über die Kostenaufwendungen keine genauen Studien. Die Investitionskosten für einen solchen Roboter könnten jedoch auch in die Gehälter der Pflegekräfte oder in zusätzliche Stellen gesteckt werden. Dementsprechend geht es hier vor allem um eine Abwägung unterschiedlicher Interessen und um eine größere Frage. Wie sehen die Strukturen und der Personalmangel der Pflege in ein paar Jahren aus?

Schweigepflicht, Datenschutz und Datensouveränität müssen Voraussetzung sein

Zur Diskussion steht auch, ob Roboter als Assistent bei der Visite agieren können, selbst Sprechstunden abhalten oder Medikamentenvergabe und -ausgabe überwachen können. Ist der Roboter mit einem kleinen Bildschirm ausgestattet, wären Patientendaten sofort abrufbar. Diese Roboter können auf diese Weise sensible Gesundheitsdaten der Patientinnen und Patienten speichern und verarbeiten.

Einrichtungen, die Gesundheitsdaten erheben, verarbeiten oder nutzen müssen hier besonders aufmerksam mit den sensiblen Patientendaten umgehen. Auch in der EU-DSGVO nehmen diese Daten eine besondere Stellung ein. Zu den Gesundheitsdaten gehören laut  Artikel 4 Nr. 15 der DSGVO personenbezogene Daten, die sich auf die körperliche oder geistige Gesundheit eines Patienten beziehen und aus denen Informationen über den Gesundheitszustand hervorgehen. Dies umfasst beispielsweise Informationen zu aktuellen Erkrankungen, Diagnosen oder Therapien sowie einzelne gesundheitsbezogene Informationen, wie zum Beispiel Blutzuckerwerte, Blutdruckwerte, Ernährungsverhalten etc. Werden diese Daten von einem Pflegeroboter oder generell im Rahmen von vernetzten Medizinprodukten erhoben und verarbeitet, müssen sie auch vor dem Zugriff Dritter geschützt sein. Digitalisierung wird nicht selten mit totaler Datentransparenz in Zusammenhang gebracht. Vor allem wenn es bei der Sammlung von Daten um Gewinnmaximierung geht. Gerade im Bereich der Pflege sollte die zunehmende Ökonomisierung des Gesundheitswesens nicht das Motiv für den Einsatz von Pflegerobotern sein. Schweigepflicht, Datenschutz und vor allem Datensouveränität sollten die Grundlage eines jeden Einsatzes von Pflegerobotern sein.

Die technischen Voraussetzungen für IT-Sicherheit sind da, das Bewusstsein fehlt häufig noch

Die mögliche Vernetzung von Geräten wie Pflegerobotern stellen ein nicht zu unterschätzendes Risiko für sensible Patientendaten dar. Der Schutz dieser Daten muss gewährleistet sein, bevor über einen Einsatz von Pflegerobotern nachgedacht wird. Nicht nur die Krankenhaus-IT, Datensätze mit sensiblen Informationen oder Software, sondern auch die Roboter, die als Assistenten in der Pflege eingesetzt werden, können zukünftig das Ziel von Kriminellen sein. Um diesen Herausforderungen gerecht zu werden, muss die Sicherheit der Patientendaten zunehmend in den Fokus rücken. Die passenden Bestimmungen, Normen und Werkzeuge für einen sicheren Einsatz von Pflegerobotern gibt es bereits: Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik bietet die „IT-Grundschutz-Kataloge“, die EU-DSGVO regelt den Schutz sensibler Daten und die Norm ISO/IEC 27001 stellt einen Leitfaden für ein Informationssicherheits-Managementsystem dar. Mit der zunehmenden Digitalisierung muss auch ein grundlegendes Bewusstsein für die Risiken und die nötige Sicherheit der sensiblen Daten einhergehen. Die technischen Möglichkeiten für vorbeugende IT-Sicherheits- und Notfallkonzepte sind vorhanden, das Bewusstsein für die Notwendigkeit fehlt allerdings häufig noch.

Die Gesundheitsbranche steht vor großen Herausforderungen – der Pflegeroboter allein kann sie nicht lösen

Alles in allem birgt das Thema einige Brisanz. Zum einen erweckt die Debatte teilweise den Eindruck, ein politisches Problem könne mit Robotern gelöst werden. Zum anderen dürfte es Pflegekräfte frustrieren. Denn Wertschätzung, faire Bezahlung und prekäre Arbeitsbedingungen sind schon lange ein Thema der Branche. Anstatt politisch dagegen gezielt vorzugehen, könnte ein Vorwurf sein, dass der Pflegeroboter einen Schleichweg um das eigentliche Problem herum ermöglicht. Kann Personalmangel und Überlastung tatsächlich durch modernste Technologie ausgeglichen werden? Eine Frage, die schwer zu beantworten ist. Auch das Bewusstsein für die Risiken für sensible Patientendaten dürfen beim Einsatz von Robotern nicht unterschätzt werden. Schweigepflicht, Datenschutz und die Datensouveränität der Patientinnen und Patienten sollten im Zentrum der Diskussion über einen möglichen Einsatz stehen.

Positiv hervorzuheben ist der Gedanke, Pflegekräfte entlasten zu wollen und ihnen zu ermöglichen, sich auf die tatsächlich pflegende Tätigkeit konzentrieren zu können. Im Rahmen der fortschreitenden Digitalisierung wird es sowieso kaum möglich sein, sich den technischen Fortschritt nicht zunutze zu machen. Das Potenzial von Pflegerobotern im Bereich der schweren, körperlich belastenden Aspekte von Pflegearbeit kann durchaus genutzt werden, um den Beruf der Pflegekraft attraktiver zu machen.  Die Gesundheitsbranche steht vor großen Herausforderungen und es muss sich viel bewegen. Die Entwicklung der Pflegeroboter ist hier nur ein Aspekt von vielen.


Diesen Beitrag hat die Autorin Anna Schramowski gemeinsam mit DGQ-Produktmanagerin Christina Eibert verfasst. Christina Eibert ist studierte Sozialwissenschaftlerin und Produktmanagerin bei der DGQ. Sie verantwortet die Trainings in den Bereichen Compliance, Datenschutz, Statistik und Cyber-Sicherheit. Besonders wichtig ist es ihr, praxisnahe und zukunftsorientierte Weiterbildungen zu entwickeln, von denen Teilnehmer und Unternehmen gleichermaßen profitieren.