Zertifizierung und Akkreditierung: Nutzen, Grenzen und Auswirkungen auf die Informationssicherheit nach ISO 2700123 | 10 | 24

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In der heutigen Geschäftswelt sind Zertifizierungen fast unverzichtbar, um Vertrauen, Compliance und Qualität zu signalisieren. Besonders im Bereich der Informationssicherheit wird die ISO 27001 oft als Goldstandard für das Management von Sicherheitsrisiken angesehen. Doch es gibt auch kritische Stimmen, die den wahren Nutzen solcher Zertifizierungen infrage stellen. Ist eine Zertifizierung ein Garant für echte Sicherheit oder wird dabei oft der Fokus auf die tatsächlichen Risiken vernachlässigt?

Zertifizierung: Qualitätsmerkmal oder nur ein Häkchen?

Zertifizierungen, insbesondere nach internationalen Standards wie der ISO 27001 (Informationssicherheit), werden in vielen Branchen als Nachweis dafür angesehen, dass ein Unternehmen die notwendigen Maßnahmen zum Schutz von Informationen ergriffen hat. Die Einführung eines Informationssicherheitsmanagementsystem (ISMS) wird mittlerweile regulatorisch (z.B. NIS2) von den Unternehmen gefordert. Doch ein ISMS ist nur dann zielgerichtet, wenn die Verantwortlichen sich ausführlich mit den Anforderungen der ISO 27001 auseinandersetzen.

Passiert das nicht, dann führt das oft zu:

Formaler Ansatz statt echter Sicherheit

Viele Unternehmen betrachten Zertifizierungen als formale Anforderung, um Geschäfte zu sichern oder regulatorische Vorgaben zu erfüllen. Dies führt dazu, dass der Fokus auf das Bestehen des Audits gelegt wird, anstatt auf die tatsächliche Verbesserung der Sicherheitsmaßnahmen. Oft wird nur das Minimum getan, um die Zertifizierung zu erreichen, ohne die zugrunde liegenden Risiken umfassend zu adressieren.

„Papier-Sicherheit“

Häufig werden Sicherheitsprozesse und -richtlinien entwickelt, die den Anforderungen der ISO 27001 formal entsprechen – jedoch nur auf dem Papier. In der Praxis sehen die Umsetzungen anders aus. Unternehmen führen Prozesse ein, die das Audit bestehen sollen, aber im Alltag kaum gelebt werden. Das führt dazu, dass der Zertifizierungsprozess zu einer reinen Formalität verkommt und die eigentliche Sicherheit gefährdet bleibt.

„Sicherheitsblase“

Die ISO 27001 konzentriert sich auf systematisches Risikomanagement. Doch Bedrohungen entwickeln sich dynamisch weiter. Unternehmen, die sich zu stark auf ihre Zertifizierung verlassen, könnten in einer „Sicherheitsblase“ gefangen sein und glauben, sie seien ausreichend geschützt. Tatsächlich bleiben sie anfällig für neue Bedrohungen. Zertifizierungen sollten daher immer als Teil eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses gesehen werden.

„Compliance Fatigue“

Unternehmen, die sich in mehreren Bereichen zertifizieren lassen müssen, könnten eine „Compliance-Müdigkeit“ entwickeln. Der Fokus auf die Erfüllung formaler Zertifizierungsanforderungen kann dazu führen, dass grundlegende Sicherheitsprinzipien vernachlässigt werden. Die Folge: Unternehmen erfüllen die Anforderungen auf dem Papier, verlieren aber den Blick für die tatsächlichen Sicherheitsbedürfnisse.

ISO 27001: Gute Gründe für eine Zertifizierung

Trotz der genannten Kritikpunkte bietet eine ISO 27001-Zertifizierung viele Vorteile:

  1. Vertrauensvorschuss:
    Zertifizierungen schaffen Vertrauen bei Kunden, Partnern und Regulierungsbehörden. Sie signalisieren, dass das Unternehmen die Sicherheit von Informationen ernst nimmt und hohe Standards einhält.
  2. Verbesserung interner Prozesse:
    Der Zertifizierungsprozess hilft Unternehmen oft, ihre internen Prozesse zu optimieren und Schwachstellen aufzudecken, die vorher nicht identifiziert wurden.
  3. Wettbewerbsvorteil:
    In vielen Branchen ist eine ISO 27001-Zertifizierung unerlässlich, um konkurrenzfähig zu bleiben.

Doch die zentrale Frage bleibt: Ist ein Unternehmen mit einem zertifizierten ISMS wirklich ausreichend gegen Informationssicherheitsrisiken geschützt?

Was Unternehmen beachten sollten

Eine ISO 27001-Zertifizierung kann ein wertvolles Werkzeug sein, um die Informationssicherheit zu verbessern. Dennoch sollten Unternehmen sich stets bewusst sein, dass:

…eine akkreditierte Zertifizierungsstelle gewählt werden sollte:
Eine Zertifizierung ohne akkreditierte Stelle kann international nicht anerkannt werden , zu Ablehnungen in Ausschreibungen führen, das Vertrauen schwächen und langfristig zusätzliche Kosten verursachen. Daher ist es ratsam, eine Zertifizierungsstelle mit Akkreditierung (z. B. durch die DQS GmbH) zu wählen.

…Zertifizierungen keine Endstation sind:
Informationssicherheit ist ein kontinuierlicher Prozess, der über das Bestehen eines Audits hinausgeht. Ein ISMS muss laufend angepasst und weiterentwickelt werden, um neue Bedrohungen zu bewältigen. Informationssicherheit ist keine Einzelmaßnahme, sondern ein kontinuierlicher Prozess.

…der menschliche Faktor entscheidend bleibt:
Die besten Sicherheitsrichtlinien und -maßnahmen sind wirkungslos, wenn die Mitarbeiter nicht entsprechend geschult und sensibilisiert sind. Schulungen und ein Bewusstsein für Informationssicherheit müssen fester Bestandteil der Unternehmenspraxis sein.

…der Einsatz eines erfahrenen Beraters kann den Prozess erleichtern:
Ein kompetenter Berater hilft dabei, die Anforderungen der ISO 27001 effektiv umzusetzen, maßgeschneiderte Lösungen zu entwickeln und typische Fallstricke zu vermeiden. Dadurch wird der Zertifizierungsprozess effizienter und nachhaltiger gestaltet.

Fazit: Zertifizierungen sind wertvoll – aber nur der Anfang

Zertifizierungen wie die ISO 27001 haben einen festen Platz in der modernen Geschäftswelt, da sie klare Strukturen für ein Informationssicherheitsmanagementsystem (ISMS) bieten und Vertrauen bei Kunden, Partnern und Regulierungsbehörden schaffen. Die ISO 27001 hilft Unternehmen, Sicherheitsmaßnahmen systematisch zu planen und umzusetzen. Doch der wahre Wert dieser Zertifizierung zeigt sich erst, wenn das ISMS kontinuierlich gelebt wird. Informationssicherheit ist keine Einzelmaßnahme, sondern ein kontinuierlicher Prozess, der regelmäßige Überprüfung und Anpassung erfordert.

Unternehmen sollten nicht den Fehler machen, sich nur auf das Zertifikat zu verlassen. Die ISO 27001 verlangt eine ständige Auseinandersetzung mit Risiken, regelmäßige Anpassungen an neue Bedrohungen und eine Kultur der fortlaufenden Verbesserung der Sicherheitsmaßnahmen. Nur durch diese aktive Nutzung der ISO 27001 als Werkzeug zur Risikominimierung kann ein Unternehmen langfristig geschützt bleiben und sich den dynamischen Herausforderungen der Informationssicherheit erfolgreich stellen. Eine Zertifizierung nach ISO 27001 ist daher nicht das Endziel, sondern der Ausgangspunkt für eine nachhaltige, praxisorientierte Sicherheitsstrategie.

 

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Über den Autor: Julian Steiger

Julian Steiger verfügt über sechs Jahre Erfahrung im Qualitätsmanagement. Bei der DGQ ist er sowohl als Teil des Leitungsteams des Regionalkreises Köln-Bonn als auch im Leitungsteam der QM-Youngsters ehrenamtlich tätig. Zu seinen Schwerpunkten zählt, gemeinsam im Team neue Prozesse zu gestalten und Workshops zu moderieren. An der Hochschule Wismar absolvierte Julian Steiger das Masterstudium Quality Management.