Wohin mit der Expertise?8 | 04 | 25

Kompetenzmanagement, Pflege, Qualifikation

Das Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (GVWG) vom 11. Juli 2021 hat Höchstgrenzen für die Finanzierung der Personalausstattung in vollstationären Pflegeeinrichtungen (Pflegeheimen) festgelegt. Die Heime haben bis Ende 2025 Zeit, die internen Prozesse anzupassen und entsprechend der Bedarfslage den Personalstamm zu ändern. Der von den Pflegekassen finanzierte Personalmix soll sich mehr an pflegefachlichen Bedarfen orientieren. Eine starre Fachkraftquote – wie sie bisher gilt – entfällt.

Für Heime bedeutet das, dass sie die Arbeitsprozesse in der Pflege und Versorgung neu strukturieren müssen, um das Personal entsprechend der gesetzlichen Vorgaben zielgerichtet einzusetzen. Dabei können sie nur so viel Fachpersonal einsetzen wie von den Kostenträgern vergütet wird. Andererseits muss die Qualität der Leistungserbringung gesichert bleiben.

Außerdem dürfen Personalmindestvorgaben nicht unterschritten werden. Der Korridor zwischen Erfüllung von Qualitätsstandards und Wirtschaftlichkeit ist eng. Die fachliche Kompetenz der am Versorgungsprozess beteiligten Berufsgruppen rückt in den Fokus.

Mehr Klasse für die Masse

Der Gesetzgeber hatte mit der Regelung zur Personalbemessung mehrere Ziele verfolgt. Zum einen geht es um Effizienz. Da – wie in vielen Branchen – auch in der Pflege Fachkräfte fehlen, soll das vorhandene Fachpersonal von Aufgaben entlastet werden, die nicht der Qualifikation entsprechen. Die gewonnene Zeitressource soll genutzt werden, um den ungeheuren Bedarf an pflegefachlichem Know-how bei der ständig steigenden Zahl an Pflegebedürftigen aufzufangen.

Zweitens soll die Effektivität steigen, wenn nämlich die vorhandene Fachexpertise zu einem größeren Anteil in der Praxis genutzt wird. Denn nachweislich erbringen Fachpflegepersonen im Arbeitsalltag zu einem großen Teil Leistungen, die auch von weniger qualifizierten Menschen erbracht werden könnten. Der Gesetzgeber will, dass sie diese an Personal mit niedrigerem Qualifikations-Niveau abgeben. Dadurch soll die Effektivität und Qualität der erbrachten Leistungen steigen. Die Fachkräfte hätten dann mehr Zeit für Aufgaben, die höhere Kompetenzen erfordern und momentan aus Zeitmangel nicht bearbeitet werden.

Drittens soll das Berufsfeld aufgewertet werden, wenn Fachexpertise und Kompetenz stärker gefordert sind. Pflegefachpersonen sollen mehr Aufgaben übernehmen, die ihrer Qualifikation entsprechen. Mit der Verantwortung steigt nachweislich das Ansehen.

Das Kompetenzmanagement rückt in den Mittelpunkt

Das Personalbemessungsverfahren nach §113c SGB XI unterteilt das Pflegepersonal nach ihrer Qualifikation. Dabei ist die Gliederung an den Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR) angelehnt und unterscheidet drei Qualitäts-Niveaus (QN). Es handelt sich erstens um ungelernte oder angelernte Hilfskräfte (QN1 und QN2), Pflege-Assistenzkräfte mit Pflegehelferausbildung nach Landesrecht (QN 3) sowie Pflegefachpersonen (ab QN4).

Nach jetzigem Stand besteht der höchste Bedarf in QN3, gefolgt von QN4. Allerdings wird bei dieser Kalkulation vorausgesetzt, dass Fachpersonal im Qualifikationsniveau 4 von Aufgaben entlastet wird, die an Personal mit niedrigerer Qualifikation übergeben werden. Das Management dieser Strukturelemente und die Steuerung der daraus resultierenden Prozesse nimmt derzeit eine zentrale Rolle in den Heimen ein.

Kompetenzwettbewerb

In Pflegeeinrichtungen gibt es nachweislich viel Personal, das über die nötige Expertise und Erfahrung verfügt, wegen fehlender Qualifikationen aber rechtlich nicht befugt ist, diese anzuwenden. Hier ergeben sich Potentiale für die fehlenden QN-4-Fachkräfte. In den stationären Einrichtungen ist daher eine Kompetenz-Inventur erforderlich mit den folgenden Kernfragen:

  • Wo ergeben sich Möglichkeiten, Personal wegen vorhandener Kompetenzen höher zu qualifizieren?
  • Wo fehlen Kompetenzen beim Fachpersonal, obwohl die Qualifikation vorhanden ist?

Die einen sollen tun dürfen, was sie der Expertise nach meist bereits können. Die anderen sollen tun können, was sie der Qualifikation nach schon dürfen, wo aber aus unterschiedlichen Gründen die Kompetenz fehlt.

Pflegeunternehmen stehen im Wettbewerb. Die Einrichtungen, die sich mit den Strukturreformen früh auf den Weg gemacht haben, können höher qualifizierten Fachkräften jetzt attraktivere Arbeitsplätze bieten. Da Fachkräfte rar sind, ist das ein Vorteil. Fachpflege-Kräfte der Qualifikations-Niveaus 3 und 4 werden durch die Reform am Markt aufgewertet und sie sind gefragter denn je.

Ein Test für die Zukunft

Wenn Höchstgrenzen für die Personal-Finanzierung per Gesetz erlassen werden, ist die Frage bereits beantwortet, ob es bei der Reform tatsächlich um die Verbesserung der Effektivität, respektive der Qualität geht. Das Projekt ist im Grunde eine Art der Mangel-Verwaltung und gleichzeitig die größte Prozessumgestaltung in der stationären Langzeitpflege seit Einführung der Pflegeversicherung.

Die Änderung eingefahrener Arbeitsprozesse, der Kompetenzerwerb und die Qualifikation von Mitarbeitenden sind nur mit viel Energie zu erreichen. Dabei ist nicht sicher, ob sich dieser Aufwand voll auszahlen wird. Denn gleichzeitig sind offensichtlich ganz grundsätzliche Fragen in Bezug auf die Pflege ungelöst. Das konstatiert die gesamte Branche seit langem und die zukünftige Bundesregierung will daher eine „große Pflegereform“ auf den Weg bringen.

In der wird es auch um das Thema Kompetenz gehen. Unter anderem sollen die Vorhaben der Vorgängerregierung, die in dem Zusammenhang bereits vom damaligen Kabinett verabschiedet wurden, nun zu Gesetzen werden, namentlich das Pflegekompetenzgesetz und das Pflegeassistenzeinführungsgesetz. Am Ende soll trotz begrenzter Ressourcen sogar eine Verbesserung der Qualität der Pflege dabei herausspringen, die Motivation der Mitarbeitenden steigen und das Ganze nicht mehr kosten.

Daher hat die Arbeitsgruppe 6 „Gesundheit und Pflege“, die den Koalitionsvertrag der zukünftigen Regierungsparteien in dem Themenfeld vorbereiten sollte, vorgeschlagen, diese Gesetze nun zu verabschieden. Aber auch wenn alles gut geht und die Regierung dem Vorschlag folgt, bleibt Deutschland in der Pflege weit hinter anderen Ländern zurück.

Dort werden vielfach den Pflegefachkräften die Befugnisse zugestanden, die sie nach ihrer Kompetenz und Qualifikation haben, ohne zusätzliche Autorisierung durch Mediziner:innen und unabhängig vom Versorgungsort. Dort haben akademisierte Pflegefachkräfte längst ihren Platz im Pflegeprozess mit entsprechend positiver Verstärkung für die Qualität der Leistungen und Attraktivität des Berufsfeldes.

Fazit

Das Kompetenzmanagement ist also eine Medaille mit zwei Seiten. Einerseits ist es angesichts der enormen Veränderungen eine Voraussetzung für das wirtschaftliche Überleben von Einrichtungen und die Sicherung der Leistungsqualität in der Pflege. Andererseits ist es auch nur ein Werkzeug zur Verwaltung des Mangels in der Branche.

Immerhin kann ein gutes Kompetenzmanagement den jeweiligen Einrichtungen Vorteile bringen. Damit verfügen sie dann über ein wichtiges Werkzeug für viel weitreichendere Reformen, die angesichts der enormen Herausforderungen zwingend folgen müssen, um die Pflege in Deutschland endlich sektorenübergreifend aus der Dauernotlage zu bringen.

Über den Autor: Holger Dudel

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Holger Dudel ist Fachreferent Pflege der DGQ. Er ist gelernter Krankenpfleger und studierter Pflegepädagoge und Pflegewissenschaftler. Er hat zuvor Leitungsfunktionen bei privaten, kommunalen und freigemeinnützigen Trägern der Langzeitpflege auf Bundesebene innegehabt. Qualität im Sozialwesen bedeutet für ihn, dass neben objektiver Evidenz auch das „Subjektive“, Haltung und Beziehung ihren Platz haben.