Wissensaudit einmal anders – Teamreflexion und gemeinsame Zukunftsgestaltung statt Kontrolle und Normen26 | 10 | 22

Da bin ich mal ganz ehrlich: Ein Audit durchzuführen, gehört zwar zu den wichtigen, aber nicht zu den attraktivsten Aufgaben in meinem Arbeitsalltag. Insbesondere, wenn es um das abstrakte Thema „Wissen“ geht. Der bewusste Umgang mit Wissen, die Qualität der Zusammenarbeit sowie eine offene Wissenskultur sind jedoch die Basis einer gut funktionierenden Organisationseinheit. Sie sollten daher mit Sorgfalt gepflegt und der Status-Quo von den Beteiligten stetig hinterfragt und verbessert werden.

Eine Möglichkeit, Teammitglieder zu motivieren, an dem Verbesserungsprozess aktiv mitzuarbeiten, möchte ich Ihnen anhand eines Praxisbeispiels aus der Otto Group zeigen.

Warum machen wir das?

Ein wichtiges Statement vorweg: wir, das Knowledge Management der Otto Group Holding, sind davon überzeugt, dass Zusammenarbeit und der Wissenstransfer innerhalb eines Teams wesentliche Elemente für eine erfolgreiche Organisation sind. Gutes Teamwork und eine Kultur der Kollaboration bilden die Grundlage für stabile Netzwerke, die in dynamischen Zeiten schnell und agil reagieren können.

Unser Ziel war es, einen seriösen Qualitäts-Check mit geringem Aufwand anzubieten, der jedoch nicht den klassischen Kontrollcharakter eines Audits widerspiegelt, sondern auf die Reflexion und Selbsterkenntnis im Team abzielt. Zudem soll er die Teammitglieder motivieren, wirksame Maßnahmen zu entwickeln, die im Team nachhaltig umgesetzt werden.

Im Zuge dessen fiel als erstes das Wort „Audit“ unserer Kreativität zum Opfer. Aus dem Wissensaudit wurde ein Tool für Organisationseinheiten mit dem smart klingenden Namen „Fit to collaborate“ (F2C). F2C basiert auf dem Ursprungskonzept des Wissensaudits des Excellence Institutes in Wien und wurde mit dessen Genehmigung von unserem Bereich auf die Bedürfnisse und Unternehmenskultur der Otto Group adaptiert.

Wie machen wir das?

Kurz gesagt, die moderierte Methode F2C hilft einem Team Verbesserungspotenziale mittels eines Self-Checks aufzudecken, zu diskutieren und zu reflektieren.

Der Rund-um-Blick veranlasst das Team zu hinterfragen, auf welche Art sie mit Wissen umgehen, mit welchen Mitteln und mit welcher Haltung gearbeitet wird. So bekommen sie eine gemeinsame Perspektive und ein Gefühl, wie es aktuell im Team läuft und entwickeln konkrete und wirksame Maßnahmen für die zukünftige Zusammenarbeit. Kernbestandteil ist dabei die sogenannte GAP-Analyse, in der das Team mit Hilfe des Self-Checks in einem fünf bis sechsstündigen Präsenz-Workshop (remote drei bis vier Stunden) relevante Handlungsfelder identifiziert.

Der umfassende Self-Check deckt folgende fünf Kategorien des Wissensmanagements ab:

  1. INFORMATIONSVERHALTEN: Wie wird im Team mit Informationen und Wissen umgegangen
  2. WISSENS-MANAGEMENT-POTENZIAL: Werden Wissen und Informationen systematisch und bewusst gesteuert und effektiv genutzt?
  3. WISSENSINFRASTRUKTUR: Sind ausreichend technische, systemische und organisatorische Voraussetzungen für den Umgang mit Wissen vorhanden?
  4. ZIELE & STRATEGIE der ZUSAMMENARBEIT: Gibt es für Wissensmanagement eine strategische Planung zum Erreichen von konkreten Wissenszielen?
  5. KULTUR DER ZUSAMMENARBEIT: Welche Kultur & Haltung bzgl. Wissensmanagement & Kollaboration ist im Team im Berufsalltag zu erkennen?

Der Check beinhaltet insgesamt 34 Aussagen (z.B.: „Wir stellen Wissen und Informationen in einer Form zur Verfügung, die für andere optimal geeignet/verwendbar sind“), die von den Teammitgliedern im Konsens nach Relevanz und Umsetzungsgrad bewertet werden müssen. Um das Ganze aufzulockern und Absprachen oder Beeinflussung zu vermeiden, verwenden wir partizipative Workshop-Elemente, wie unser „Self-Check Poker“ (in Anlehnung an „Scrum-Poker“), bei dem im wahrsten Sinne des Wortes, die Meinungen auf den Tisch kommen. Jeder Teilnehmer erhält einen Satz Karten (von eins bis sechs), die er nach Verlesen der jeweiligen Aussage mit seiner persönlichen Bewertung sichtbar auf den Tisch legt. Die beste Voraussetzung für eine transparente und lebhafte Diskussion, der sich niemand im Kreis so einfach entziehen kann. Am Ende muss eine einheitliche Bewertung im Team für jede Aussage im Konsens gefunden werden. Wenn das nicht gelingt, wird die Aussage automatisch als potenzielles Handlungsfeld eingestuft.

Im Laufe des Workshops kommen auf diese Weise Diskussionen und Meinungen zu Tage, die vielleicht schon lange im Raum oder in den Köpfen waren, aber noch nie im Team an- und ausgesprochen wurden. Es kommen Kolleg*innen zu Wort, die sich ohne eine strukturierte und spielerhafte Moderation der Diskussion stets entzogen haben. Und es kristallisiert sich heraus, in welchen Feldern das Team bereits sehr gut aufgestellt ist, wo es vielleicht zu viele Ressourcen hinsteuert und Kapas sparen könnte und wo wirklich der Schuh drückt und die Zusammenarbeit behindert.

Wie werden Handlungsfelder zu Maßnahmen?

Im zweiten Schritt, dem „Deep Dive Workshop“ (Dauer: circa drei Stunden – remote & analog) entwickelt das Team mit Hilfe der Theorie-U von Professor Otto Scharmer (MIT) konkrete Maßnahmen für die vorab identifizierten Handlungsfelder. Die Methode kommt aus dem Changemanagement und führt Einzelpersonen oder Gruppen entlang eines U-förmigen Transformationsprozesses, um vergangene und unproduktive Verhaltensmuster zu durchbrechen. Diesen renommierten Ansatz fanden wir sehr passend für unsere Zielsetzung, da er sehr interaktiv ist und Gedanken und Meinungen aufdeckt, die sonst nicht ausgesprochen werden. Wir haben uns jedoch erlaubt, die ursprüngliche Methode zu „entschärfen“ und an unsere Bedürfnisse (schnelles Verstehen der Methode, nicht zu esoterisch, …) anzupassen, um die Akzeptanz im Teilnehmerkreis zu erhöhen.

Was sind unsere Learnings?

Nach dem wir fünf unterschiedliche Teams durch den F2C-Prozess geführt haben, nehmen wir folgende Erkenntnisse und Erfolge mit:

  1. Menschen, die zusammenarbeiten, brauchen Raum, Struktur und Anlass zum intensiven Austausch, unabhängig von Hierarchien und Rollen -> genau diese Bedürfnisse konnten mit F2C bedient werden
  2. Die Kombination aus emotionaler Diskussion, faktenbasierter Analyse, klarer Methodik und konkreten Ergebnissen hat viele Skeptiker überzeugt -> die abwechslungsreiche Mischung aus Auditelementen, kreativen und psychologischen Ansätzen traf auf großen Zuspruch
  3. Auch introvertierte Kolleg*innen äußern ihre Meinung -> eine vertrauensvolle Workshop-Umgebung und empathische Moderator*innen ermutigen sie dazu
  4. Bevor über Verbesserungsmaßnahmen nachgedacht wird, muss über die Haltung im Team gesprochen werden. Nur so lassen sich Änderungen umsetzen.

Über die Autorin: Juliane Dieckmann

Juliane Dieckmann ist Abteilungsleiterin für Knowledge Management im Direktionsbereich Digital & Consulting der Otto Group, ist unter anderem verantwortlich für den konzernweiten Wissenstransfer und die Entwicklung von KM-Produkten, die speziell auf Wissens- und Kollaborationsformate für Organisationseinheiten abzielen. Nach dem Berufseinstig als Management Consultant in einer internationalen Consulting Firma ist sie seit 2001 in der Otto Group tätig und beschäftigt sich aktuell mit den Schwerpunktthemen Best Practice Exchange & Collaboration und Market Knowledge.

Ein Kommentar bei “Wissensaudit einmal anders – Teamreflexion und gemeinsame Zukunftsgestaltung statt Kontrolle und Normen”

  1. a957a9fccf5fb4e7e445ae1623032d55 Andreas Müller sagt:

    Sie erwähnen das „Wissensaudit des Excellence Institutes in Wien“. Können Sie dazu bitte eine Quelle angeben – habe dazu nichts im Internet gefunden.

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