Vergessen Sie’s! – Neutralität in QM und QS25 | 03 | 20
1994 trat ich als Quality Engineer bei einem Automobilzulieferer ins Fachgebiet ein. Damals herrschte unter allen Fachkollegen Konsens darüber: das Qualitätsmanagement müsse neutral sein. Auch heute ist das ein Leitmotiv vieler im Qualitätsmanagement. Vergessen Sie’s. Wie soll das gehen?
Die Entwicklung ist Partei, die Fertigung ist Gegenpartei, der Vertrieb Gegengegenpartei u.s.w. Jede Abteilung vertritt eigene Interessen und versucht, sie mit möglichst viel Macht gegen die der anderen durchzusetzen. Nur die Abteilung Qualitätsmanagement, die ist neutral. Das klingt nicht nach realer Welt. Natürlich sind Qualitätsmanager aus dem Blickwinkel anderer Funktionen im Unternehmen nicht neutral. Es ist doch offensichtlich, dass sie eigene Interessen vertreten. Nun könnte man immerhin ins Feld führen, diese seien höhere oder bessere Interessen, als die der anderen Streithähne. Oder gar gemeinsame Interessen im Unterschied zu den Partikularinteressen der anderen. Schließlich geht es den Q-Abteilungen doch um Qualität; und Qualität ist wichtig fürs Unternehmen, für seinen wirtschaftlichen Erfolg. Qualität zu erzeugen ist ja sogar ein ethisches Gebot. Doch Umsatz und Termineinhaltung und je nach Strategie Innovationsraten, Change Performance, anders gesagt: Überleben und Prosperieren, sind halt auch Gebote ans Unternehmen.
Lösen wir uns von der idealisierenden Vorstellung, wir seien neutral, schwächt uns das nicht, auch nicht unser Herzblutthema Qualität. Es stärkt uns sogar, uns, die Qualität und das Unternehmen. Wie das? Es lässt uns gemeinsam im Unternehmen leichter erkennen und endlich adressieren, dass wir Zielkonflikte in der Organisation haben. Zielkonflikte zwischen Qualitätszielen, Finanzzielen, Terminzielen und vielen Zielarten mehr. Das ist ziemlich normal, weil unsere verschiedenen Stakeholder bereits derart unterschiedliche Anforderungen an uns haben, dass daraus zwingend Zielkonflikte entstehen.
Geben wir den Neutralitätsanspruch auf, ermöglicht uns das die dringend notwendige Rückdelegation des Themas Qualität an alle dafür Verantwortlichen. Eine Qualitätsabteilung kann nicht gegen die Interessen der anderen die Qualität in der Organisation sicherstellen. „Die anderen“ können aber so lange ihren Teil der Verantwortung ignorieren, solange wir zu viele QM- und QS Aufgaben selbst erledigen. Und der Neutralitätsanspruch der QS geht allzu oft einher mit einem Alleinvertretungsanspruch für alles, was mit Qualität zu tun hat. In letzter Konsequenz öffnet die Aufgabe des Neutralitätsanspruchs sogar den Weg dafür, dass wir die Qualitätssicherung in die Wertschöpfungsprozesse integrieren. So könnten wir QS-Personal aus einer eigenen Abteilung z.B. der Entwicklungs- oder Fertigungsabteilung bzw. entsprechenden Bereichen bei Dienstleistern zuordnen. Ein Schreckensszenario? 1994 vielleicht, in den heutigen Unternehmen längst nicht mehr. Es geht nicht um Kästchen im Organigramm, es geht darum, ob und wie am besten Qualität entsteht. Meistens klappt das besser, wenn die für den Produktentstehungsprozess verantwortlichen Führungskräfte höchst selbst die Verantwortung für Qualitätssicherung haben. Die Zielkonflikte haben sie dann zwar weiterhin. Faule Kompromisse zu Lasten der Qualität fliegen ihnen dann aber auch selbst um die Ohren. Das erdet.
Und keine Sorge um den Bedarf an Ressource und Kompetenz für Qualitätssicherung. Beides braucht’s ja weiterhin, das Unternehmen braucht Sie mit dem, was Sie wissen und können.
Vielleicht führt uns das Vergessen der Neutralität ja aus lästigen Konflikten heraus, an die wir uns zwar gewöhnt haben, die uns allerdings auch erheblich belasten. Was meinen Sie? Ich bin gespannt auf Ihre Kommentare.
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