Vergessen Sie’s! – Lean Management26 | 11 | 20

Am Wochenende habe ich mein privates Arbeitszimmer aufgeräumt. Kiloweise habe ich Papier weggeworfen. Ich habe die „Ablage gemacht“, Werkzeuge wieder an ihren Platz im Keller gebracht und erstaunlich viele Flaschen gefunden – Wasserflaschen natürlich, was dachten Sie denn? Und ich fühle mich nun wohler. Der große Schreibtisch ist aufgeräumt, die in den letzten Monaten bestellten Bücher und ausgedruckten Fachartikel habe ich wiederentdeckt und schon begonnen, darin zu lesen. Hätte sie fast vergessen, was schade gewesen wäre, weil darin so viel neuer Stoff für DGQ-Impulspapiere, Fachartikel und Blogbeiträge schlummert. Ordnung und Übersichtlichkeit sind gut. Das Zuviel hingegen wird zum Ballast, in den Stapeln gerät Wichtiges in Vergessenheit.

Die Lean Management Bewegung hat Ordnung und Übersicht in Fabriken und Büros gebracht. Doch ihre Intention und Wirkung geht weit über die positive Wirkung von Ordnung hinaus. Das Verzichten auf Puffer und Zwischenlager senkt nicht nur die Kapitalbindung, es zwingt zu schlanken Prozessen, ermöglicht One-Piece-Flow und erzwingt das Do-it-right-the-first-time. Auch der Wechsel vom Push- zu Pull-System geht mit Lean einher, ein Grundprinzip der Kanban-Logistik. All das geht weit über die eigene Organisation hinaus in die Liefernetze hinein. Die Ansätze des Lean Management gehen gut mit dem Qualitätsmanagement zusammen. Dennoch ist es interessant und verblüffend, in wie vielen Unternehmen Lean und QM von unterschiedlichen Teams und Experten vorangetrieben werden. Gehört das nicht zusammen?

Warum also Lean vergessen? Weil es massive Nachteile hat, über die wir in den letzten Jahren meiner Beobachtung nach nicht sprachen. Lean ist resilienzreduzierend. Je kleiner die Puffer, desto eher kommt das Ende der Fahnenstange. Das Gegenteil von Lean hingegen, Opulenz, Puffer, monetäre und Materialreserven und redundante Systeme, sind resilienzförderlich. Resilienz, hier meine ich speziell Organisationsresilienz, ist die Fähigkeit der Organisation, Krisen zu bewältigen und gestärkt daraus hervorzugehen.

Okay, ganz vergessen dürfen wie Lean nicht. Wir müssen strategisch aber viel besser abwägen, wann und wo Lean erstrebenswert ist. Und wann und wo wir stattdessen Reserven und Redundanzen aufbauen müssen. Wie sieht es bei Ihnen aus? Welcher Grad an Lean oder welcher Grad an Opulenz ist in Ihrem Unternehmen in der heutigen Lage angemessen?

Über den Autor: Benedikt Sommerhoff

Benedikt Sommerhoff leitet bei der DGQ das Themenfeld Qualität & Innovation. Er beobachtet, analysiert und interpretiert die Paradigmenwechsel und Trends in Gesellschaft und Wirtschaft sowie ihre Wirkungen auf das Qualitätsmanagement. Seine zahlreichen Impulse in Form von Publikationen und inspirierenden Vorträgen geben Orientierung in Zeiten des Wandels. Sie ermutigen zur Neukonzeption des Qualitätsmanagements und der Qualitätssicherung. Gemeinsam mit Expertinnen und Experten des DGQ-Netzwerks aus Praxis und Wissenschaft arbeitet Sommerhoff in Think Tanks und Pionierprojekten an der Entwicklung, Pilotierung und Vermittlung innovativer Konzepte und Methoden.

Comments are closed.