Tag der Pflegenden 2022: kein Grund zum Jubeln!12 | 05 | 22
Die Corona-Pandemie hat einmal mehr deutlich gemacht, was Pflegende leisten und vor welchen Herausforderungen das Berufsfeld steht. Ausbildungsreform, Impfpflicht, Zulagengezerre sind nur die Spitze des Themen-Eisberges, der auf einem gewaltigen Reformstau sitzt.
Wahl und Interessenverschiebung
Die Corona-Pandemie hatte die Pflege gerade erst in den öffentlichen Fokus gerückt. Es wurde einmal mehr der Pflegenotstand deutlich: Die aufspringende demographische Schere, welche sich hier besonders bemerkbar macht, Armut durch Pflegebedürftigkeit, die bürokratische Dauerbaustelle und nicht zuletzt entrückte Qualitätsmaßstäbe. Doch nun hat sich das öffentliche Interesse wegen des Ukraine-Krieges verschoben. Das bedeutet aber nicht, dass Gesellschaft und Politik gänzlich an der Pflege vorbeischauen.
Mit der Bundestagswahl und den jetzt koalierenden Partnern haben sich allerdings die politischen Gewichte in der Pflege verändert. Zwar gibt es nach anfänglichem Geruckel auch wieder eine Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung. Aber über die 100-Tage-Frist hinaus, die Regierungen in der Neuaufstellung ihrer Themen vor harscher Kritik schützt, wird es wohl noch eine Weile dauern, bis sich die gelernte Altenpflegerin Claudia Moll in ihrer zweiten Periode als Parlamentarierin an die Spitze der Bewegung setzt.
Und sonst? Zwar äußerten die jetzt regierenden Parteien in ihren Wahlprogrammen Reformwillen und bei einigen gab es konkrete Vorschläge. Mit dem Koalitionsvertrag wurde allerdings klar, dass die Bäume mit der neuen Regierung nicht in den Himmel wachsen werden. Von dem unter anderem für die Pflege zuständigen Bundesministerium für Gesundheit (BMG), aber auch dem Familien- und dem Arbeitsministerium gehen momentan jedenfalls keine wegweisenden Impulse für das Berufsfeld aus. Diese drei Ministerien hatten in der vergangenen Legislatur immerhin eine konzertierte Aktion für die Pflege (KAP) mit weitreichenden Vorschlägen zur Verbesserung der Situation für die Pflegenden hingelegt. Ein Teil davon befindet sich in der Umsetzung.
Defizite und öffentliche Wahrnehmung
Die öffentliche Wahrnehmung der Pflege wird im Moment auch beeinflusst durch Meldungen zum Pandemiegeschehen, die einen Abgesang auf den Ernst der Lage im Corona-Kampf suggerieren. Obwohl die Erkrankungszahlen deutlich höher sind als in den ersten vier Corona-Wellen, vermittelt die derzeitige Berichterstattung, dass in absehbarer Zeit alles wieder gut sein wird. Dieser Eindruck speist sich aus der momentan geringeren Anzahl an extremen Krankheitsverläufen, dem gestiegenen Impfschutz in der Gesamtbevölkerung und dem nahenden Sommer. Für Teile des Gesundheitsbereiches mag das stimmen. Aber nicht für die Pflege und auch nicht für die Pflegenden.
Im Gegenteil: Nach wie vor sind wichtige Fragen zur Personalausstattung, zu auskömmlicher Vergütung und zum anstehenden Generationenwechsel in der Pflege weitgehend ungeklärt. Das betrifft alles direkt das Personal. Darüber hinaus gibt es eklatante strukturelle Defizite, die sich mittelbar auf das Berufsfeld auswirken: Unter- und Fehlfinanzierung, Überregulierung, professionelles Machtgefälle. Gerade wird im BMG das Pflegebonusgesetz entworfen, in dem sogar Teile der Reformen der Vorgängerregierung zur Digitalisierung wieder zurückgenommen werden sollen.
Pflegende in der Pflicht
Angesichts der Herausforderungen im Berufsfeld und der Pflege insgesamt sei die Frage erlaubt, was Pflegende in Deutschland tun, um die Situation zu ihrem Vorteil zu ändern? Man könnte an dieser Stelle eine Reihe von Initiativen nennen, die es unter anderem über die oben genannten KAP sogar in die politische Umsetzung geschafft haben: Personalbemessung, Tarifpflicht, Digitalisierungs-Förderung. Bei genauerer Betrachtung ist jedoch zu konstatieren, dass die Handelnden an den grünen Tischen zum kleinsten Teil aus der Pflege selbst kommen oder über einen entsprechenden fachlich-beruflichen Hintergrund verfügen. Darüber hinaus können Pflegende ihre Positionen zwischen den großen Interessenvertretungen nicht ausreichend behaupten – wie die problematischen Vorgänge um Pflegekammern in einigen Bundesländern zeigen.
An dieser Stelle sei eine Lanze gebrochen für MdB Moll. Sie ist die erste Altenpflegerin im Bundestag und eine von einer dreiviertel Millionen Beschäftigten aus diesem Berufs-Segment. Und sie zeigt, dass es geht: als Fachkraft der Altenpflege, mit politischem Engagement wiedergewählt in den Deutschen Bundestag, nun sogar Pflegebevollmächtigte! Das bedeutet, dass sie eine Regierungsvollmacht zum Handeln für alle Pflegebereiche und deren Beschäftigte hat. Dabei erhält sie unter anderem Unterstützung von Berufsverbänden und der Bundespflegekammer. Sie alle eint der Wille, den Pflegenden eine starke Stimme zu geben und die Entwicklung dazu nicht anderen zu überlassen, sondern die Kraft aus der größten Berufsgruppe im Deutschen Sozial- und Gesundheitswesen selbst zu generieren.
Wunsch-Konzert
Stellen wir uns an diesem Ehrentag der Pflegenden vor, dass sie sich etwas wünschen dürften. Außenstehende tippen zuerst auf die Bezahlung. So wird es auch häufig verkürzt dargestellt, dass Pflegekräfte in Deutschland zu wenig verdienen. Tatsächlich gibt es ein starkes Gefälle von der Klinik hin zur Altenpflege, wo die Löhne im Durchschnitt um einige hundert Euro niedriger liegen, als in der Krankenpflege. Außerdem wird dieser geringere Verdienst noch geschmälert, weil viele Pflegekräfte in der Altenhilfe teilzeitbeschäftigt sind.
Aber die Entlohnung steht laut einer aktuellen Studie des Deutschen Instituts für Pflegeforschung gar nicht an erster Stelle bei den Wünschen der Pflegenden. Vielmehr möchten sie eine stärkere Wertschätzung durch die Arbeitgebenden (Isfort et al., 2022). Anders gesagt, geht es um attraktive Arbeitsbedingungen. Sicherlich spielt eine auskömmliche Vergütung dabei auch eine Rolle. Pflegende wünschen sich aber vor allem ausreichend Personal und gute Teams. Dieser Appell richtet sich an Politik und Arbeitgebende gleichermaßen, weil hier die Weichen für Ressourcen gestellt werden und dort die Unternehmenskultur gesteuert wird.
Fazit
Im vergangenen Jahr hatten wir unseren Beitrag mit dem hoffnungsvollen Satz beendet: „Es bleiben vielleicht immer noch nicht genug, aber wir sind auf einem guten Wege!“ Das bezog sich auf den Umstand, dass auf Grund der Belastungen durch die Corona-Pandemie viele Pflegekräfte abzuwandern drohten.
Tatsächlich zeigen Studien, dass der befürchtete Pflexit im Moment nicht stattfindet. Dennoch fällt die Zuversicht angesichts einer teilweise widersprüchlichen Pflegestrategie der Bundesregierung, der Verschiebung des öffentlichen Interesses und der pflegeinternen Fliehkräfte in diesem Jahr verhaltener aus.
Der 12. Mai trägt ein weltumspannendes Attribut, es ist der „International Nurses Day“. Das macht Mut. Denn angesichts einer immer stärker verzahnten Welt ist davon auszugehen und bleibt zu hoffen, dass die guten Beispiele, insbesondere aus dem nahen westlichen und nördlichen europäischen Ausland dafür sorgen werden, hierzulande bei Wertschätzung, Empowerment und Arbeitsbedingungen für die Pflegenden für deutliche Fortschritte zu sorgen.
Eine Kerze brennt, aber die Feier bleibt in Anbetracht der bestehenden Herausforderungen am 12. Mai aus.
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