Strafzölle und Konsorten – ein Fall für BCM?27 | 04 | 17

BCM

Wer hätte je gedacht, dass ein amerikanischer Präsident der deutschen Wirtschaft einmal derart ans Leder will – und ggf. sogar kann? Keine Angst, der nachfolgende Text soll der großen Zahl berechtigter Trump-Schelten nicht noch eine weitere hinzufügen, der Mann steht mit seinem Regierungsstil aber einfach ganz prima für das (scheinbar) Unvorhergesehene, mit allen (mutmaßlich) unerfreulichen Folgen und muss insofern eben für das Thema BCM herhalten.

Denken wir zunächst einmal an Szenarien wie plötzlich auftretende Rohstoffknappheit, hereinbrechende (Natur-)Katastrophen, abrupten Datenverlust von großem Ausmaß, aber denken wir durchaus auch an erhebliche Schwankungen im Markt durch politische Instabilität. Solche Ereignisse können das komplette Aus für ein Unternehmen bedeuten, jedenfalls wenn es keinen Plan B für den Fall der Fälle in der Schublade hat.

Zuständig für einen solchen Plan B ist ISO 22301, Business Continuity Management (BCM). Mit der Einführung eines Managementsystems gemäß dieser Norm verhindert ein Unternehmen zwar nicht das Ereignis selbst, es entwickelt aber eine Strategie, anhand derer Vorsorge für die Weiterführung der Geschäftstätigkeit bei einem Eintritt trotz auftretender Beeinträchtigungen getroffen werden kann.

BCM noch am Anfang

Unternehmen, die ein BCM-System gemäß ISO 22301 implementiert haben, müssten solche Szenarien also auf dem Schirm haben und, soweit möglich, auf der Stelle wirksame Maßnahmen für den Fall akuter Auswirkungen einleiten können. Allerdings: Wie viele Unternehmen besitzen überhaupt ein BCM-Zertifikat? Laut ISO-Survey 2015 bestanden weltweit 3133 gültige Zertifikate gemäß ISO 22301. Das entspricht zwar einer stolzen Zunahme gegenüber 2014 um 78 %, dies allerdings auf ziemlich niedrigem Niveau. Die ISO erklärt die hohe Steigerungsrate denn auch recht nüchtern damit, dass die BCM-Norm noch am Anfang stünde (herausgegeben 2012). Es sind also, selbst wenn man eine ähnliche Steigerung für 2016 prognostizieren will, immer noch reichlich wenig Unternehmen, die mit einem geeigneten Zertifikat im Rücken systematisch an das Thema herangehen.

Eine Reihe von Unternehmen beschäftigt sich – teils auch ohne im Besitz eines solchen Zertifikats zu sein – vor allem mit so genannten DR-Plänen (Disaster Recovery), die allerdings nur auf einen möglichen Ausfall der IT fokussieren, z. B. durch Feuer, Wasser, menschliches bzw. technisches Versagen oder durch Sabotage. Schwankungen im Markt, ausgelöst durch politische Verwerfungen, scheinen hingegen weniger Beachtung zu finden, jedenfalls in deren Vorfeld.

Sind politische Verwerfungen überhaupt ein „echtes“ BCM-Thema?

Man kann jetzt darüber diskutieren, ob verhängte Strafzölle ein echtes BCM-Szenario darstellen, und ob die Existenz eines gesunden deutschen Autobauers oder seiner Zulieferer dadurch nachhaltig gefährdet sein könnte, aber rund 30 Prozent Strafzölle bei deutschen Exporten in die USA – wie von Herrn Trump angekündigt – sind ja nun kein Pappenstiel. Und jetzt die Ereignisse in der Türkei: Welche Auswirkungen wird das (knappe) Ergebnis des Referendums auf die Wirtschaftsbeziehungen mit Deutschland haben? Wie war das noch mit den schon eine ganze Weile anhaltenden Wirtschaftssanktionen gegenüber Russland? Was kommt als nächstes?

Politische Verwerfungen können durchaus schwerwiegende Folgen nach sich ziehen. Gegenüber hereinbrechenden Naturkatastrophen, Unfällen oder Sabotage haben sie jedoch meist den „Vorteil“, sich sichtbar anzubahnen, jedenfalls so man sich intensiv, systematisch und analytisch mit der politischen Lage beschäftigt. Dieses sich Anbahnen ist evtl. der Grund, warum solche Szenarien oft nicht zwingend als BCM-Thema behandelt werden. Auf jeden Fall wusste jeder, wann Obamas Amtszeit zu Ende geht und der nächste Präsident unter Umständen Trump heißen wird. Die Sanktionen gegen Moskau wurden nicht bereits zu Beginn der (im Übrigen ebenfalls absehbaren) Ukraine-Krise ausgesprochen. Und wie lange werkelt Erdogan denn schon an seinem Präsidialsystem? Etc. etc. …

Plan B als Chance

Dabei hilft es wenig, wenn eine oberste Leitung im kleinen Kreis die eine oder andere Befürchtung äußert, in der Kantine über den Tisch hinweg „andiskutiert“, aber ansonsten nicht tätig wird. Für Unternehmen, deren Geschäfte direkt oder indirekt vom Export abhängen – und das sind in Deutschland nicht gerade wenige – sollte eine fortlaufende, systematische Beobachtung und Beurteilung der politischen Weltlage ein Muss sein. Der Entwicklung von Alternativen sollte eine klassische Risikobetrachtung vorausgehen: unsichere Märkte aufgrund der fortlaufenden Beobachtung der Weltlage definieren, Einstufung nach Eintrittswahrscheinlichkeit einer politischen Verwerfung mit Einschätzung der Tendenz, Beschreibung möglicher Auswirkungen auf das Unternehmen und entsprechende Zuordnung zu einer Risikostufe. Die daraus abgeleiteten Maßnahmen sind die Grundlage für den Plan B. Für vorausschauend agierende Konzerne ist ein solches Vorgehen inzwischen Standard, beim Mittelstand sieht es jedoch – ähnlich wie beim Thema Compliance – ganz anders aus.

Wer BCM für nicht zuständig erachtet: Man kann das Thema auch als Aspekt des risikobasierten Ansatzes von ISO 9001:2015 betrachten – was aber nichts daran ändert, dass sich vor allem exportabhängige Unternehmen damit befassen sollten – oder eigentlich sogar müssten, wenn Sie nach ISO 9001:2015 zertifiziert sind. Im Sinn der neuen Norm birgt die Entwicklung eines Planes B – quasi als Anreiz – natürlich auch einiges an Chancen: Allein schon die Beschäftigung mit neuen Märkten kann neues Leben in eingefahrene Strukturen bringen. Und wenn eine als sehr wahrscheinlich prognostizierte Auswirkung einer politischen Verwerfung am Ende doch nicht eintritt – z. B. weil Mr. President es sich bei Kaffee und Schokokuchen in einem Anfall von Weitsicht spontan anders überlegt hat – umso besser …

Über den Autor: Peter Blaha

Peter Blaha, geboren 1954 in Frankfurt am Main, ist freier Journalist mit Spezialisierung auf „Managementsysteme“ und „Weinwirtschaft“ und DGQ-Mitglied. Er widmet sich neben der Erstellung von Fachbeiträgen seit jeher (und mit Vorliebe) dem nach seiner Meinung oft viel zu wenig beachteten Phänomen unklarer bis kurioser Formulierungen und Schreibweisen in der deutschen (Q-)Sprache. Wer dabei eine gewisse Nähe zur Argumentation des bekannten Journalisten Wolf Schneider zu erkennen glaubt, liegt nicht ganz falsch.

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