„Qualitätsmanagement ist nicht nur ein Werkzeug – es ist ein Hebel, um wirklich etwas zu verändern“3 | 12 | 24

Qualitätsmanagement ist nicht nur ein Werkzeug

Die Einstiegsmöglichkeiten ins QM sind vielfältig. Gleichzeitig begegnet uns QM in vielen verschiedenen beruflichen Kontexten. Carina Siemen, Director Quality Systems bei Nexperia und langjähriges Leitungsmitglied der DGQ QM Youngsters, spricht im Interview von ihrem Karriereweg „ins Q“, der wichtigen Rolle von Netzwerken und ihrem Verständnis der Rolle von QM in Organisationen.

Wann und wie Du bist das erste Mal beruflich mit Qualität und QM in Berührung gekommen?

Mein erster Kontakt mit Qualität und QM liegt in meiner Ausbildung in der Systemgastronomie. Damals war mir nicht bewusst, dass ich mitten in ein hochstandardisiertes Qualitätsmanagementsystem eintauche.

Die Prozesse faszinierten mich sofort: Alles wurde gemessen, überwacht und konsequent auf Effizienz und Optimierung getrimmt. Stündliche Parametererfassungen gaben die Richtung vor und sicherten die Qualität der Abläufe. Heute sehe ich, wie nah diese Strukturen an umfassendem QM dran waren und dass dort QM zur tatsächlichen Unternehmenssteuerung genutzt wurde – allerdings, das kann ich aus heutiger Sicht sagen, teilweise an den Grenzen des ethisch vertretbaren Unternehmertums. Im Studium, während meiner ersten QM-Vorlesungen, wurde mir klar, dass das, was ich in der Systemgastronomie gelernt habe, nichts anderes als effizientes, schlankes Qualitätsmanagement ist: Eine ganzheitliche Methode, die ein Unternehmen steuern und gezielt weiterentwickeln kann.

Wann wusstest Du, dass QM das Richtige für Dich ist?

Die Theorie ist das eine, die Praxis das andere. Ich habe bei meiner Ausbildung in der Systemgastronomie erst die Praxis kennengelernt, dann während meines internationalen Studiums des Wirtschaftsingenieurwesens die Theorie gelernt. In meinem Studium in den USA lag der Schwerpunkt auf Lean Management, und bei meiner Bachelorarbeit konnte ich einen kompletten Produktionsbereich nach diesen Prinzipien umgestalten. Innerhalb weniger Monate haben wir spürbare Veränderungen bewirkt. Mein damaliger Vorgesetzter hat mich sehr gefördert und mir gleichzeitig Freiraum gegeben, selbst QM zu gestalten. Schnell erkannte er, dass meine Stärken auf der Prozessseite, also QMS, liegen, und unterstützte mich, diesen Weg weiter zu verfolgen. Und dort fühle ich mich bis heute wohl! Diese Mischung aus strategischer Planung und praktischer Umsetzung hat mich überzeugt: QM ist nicht nur ein Werkzeug, es ist ein Hebel, um wirklich etwas zu verändern.

Welche Stationen haben Dich in Deinem Berufsleben besonders geprägt? Welche Erfahrungen waren für Dich dabei besonders wertvoll?

Besonders die ersten beruflichen Schritte haben mein Verständnis von Qualitätsmanagement geprägt. In der Systemgastronomie geht es um maximale Effizienz und Standardisierung auf höchstem Niveau. Dann kam meine Werkstudententätigkeit, in der ich viel Freiraum in der Umsetzung von Lean Management in der Produktion hatte und Vertrauen bekam. Meine Abschlussarbeit für die Zusatzqualifikation „DGQ Manager Junior“ in Kombination mit meiner Masterarbeit habe ich dann im „klassischen QM“ geschrieben. In dieser Rolle habe ich für vier Standorte in Deutschland, USA und Spanien ein globales Managementsystem entwickelt, programmiert und vor Ort implementiert – eine große Verantwortung. Eine Dienstreise als Werkstudentin in die USA – das war toll.

Die Pandemie-Phase hatte ebenso prägende Herausforderungen: strenge Regularien, Reisebeschränkungen und der Schutz der Gesundheit aller Beteiligten machten es erforderlich, neu zu denken und kreativ zu handeln. Audits mussten weiterhin stattfinden, Compliance musste gewährleistet sein – und all das unter Bedingungen, die klassische Ansätze oft unmöglich machten. Seitens QM haben wir innovative Konzepte entwickelt, um Prozesse unter den neuen Gegebenheiten zu sichern. Wichtig war es, praktikable und pragmatische Ansätze zu finden, die sowohl den Anforderungen der Unternehmen als auch den regulatorischen Vorgaben gerecht wurden:

Konkret bedeutete das: Flexibel bleiben und immer lösungsorientiert denken, die Fähigkeit, in schwierigen Situationen Brücken zu bauen und nachhaltige, praxisnahe Lösungen zu schaffen.

Ich ziehe aus allen Stationen wertvolle Erfahrungen. Jede Station hatte ihre eigene Bedeutung und hat mein Verständnis von QM erweitert und vertieft.

Gibt es bestimmte Q-Themen, die Dich durch Deine bisherige Laufbahn hinweg begleitet haben (und warum)?

Mich begleitet stets der Gedanke, dass QM weit mehr ist als ein „Zertifikat an der Wand“. Für mich geht es darum, den echten Mehrwert jeder Anforderung zu erkennen und zu nutzen. Der Kern eines Qualitätsmanagementsystems liegt in der konsequenten Ausrichtung auf die Kundenanforderungen. Ein gut geführtes QMS gestaltet effiziente und schlanke Prozesse, die Verschwendung reduzieren und gleichzeitig die Wertschöpfung maximieren. QM ist in meinem Verständnis ein strategisches Führungsinstrument, das Kunden, Mitarbeiter und langfristig auch die Unternehmensrendite im Blick hat – ein echter Mehrwert.

Meine Professorin aus den QM-Vorlesungen für die Zusatzqualifikation „Quality Systems Manager Junior“, Frau Prof. Liebelt an der TH Lübeck, sprach von den Studierenden mit der Zusatzqualifikation immer von „Mehrwert-Studierende“. Damals war mir diese Bedeutung gar nicht so präsent. Heute weiß ich: mit QM-Wissen bringst du Mehrwert in die Unternehmen. Denke über die reine Normenerfüllung hinaus, und sieh QM nicht nur als notwendiges Übel.

Was motiviert Dich ganz persönlich, jeden Tag aufs Neue im QM alles zu geben?

QM ist für mich mehr als ein Beruf – es ist eine Möglichkeit, aktiv etwas zu gestalten. Qualität zieht sich wie ein roter Faden durch alle Prozesse eines Unternehmens. Es begeistert mich, wie QM als Bindeglied zwischen Abteilungen, Standorten und Hierarchien funktioniert. Besonders motivierend finde ich die Interaktion mit Menschen: Gemeinsam Herausforderungen zu lösen, Verständnis für Qualität zu schaffen und Unternehmen langfristig erfolgreich zu machen.

Welche Kompetenzen bzw. Skills sind im Lauf Deiner Karriere für Dich wichtig geworden und wie hast Du sie erworben?

Ein Schlüssel liegt in der Kombination aus fundiertem Fachwissen und Kommunikationsstärke sowie natürlich einem weiteren ganz wichtigen Element: gerne mit Menschen zu arbeiten, sie zu begeistern und mitzureißen. Wie nehme ich Prozesse aus verschiedenen Bereichen auf, also Prozessmodellierung mit Blick aus Compliance. Diese Skills habe ich zum Großteil in DGQ Trainings erworben. Es braucht dann allerdings auch Erfahrung und Übung. Dafür hilft es, verschiedene Unternehmen zu sehen bzw. sich über die Umsetzung von Standards in anderen Unternehmen mit anderen auszutauschen.

Welche Rolle spielen Netzwerke vor diesem Hintergrund für Dich?

Netzwerken ist im QM unerlässlich, sowohl intern als auch extern. Qualität betrifft alle im Unternehmen – jeder und jede trägt zur Kundenzufriedenheit bei. Ein starkes Netzwerk außerhalb des Unternehmens ist wichtig, um am Puls der Zeit zu bleiben und neue Impulse zu erhalten. Neulich habe ich an einem Future Quality Trendiation Workshop teilgenommen, organisiert durch die DGQ. Als Teil einer Runde von Expertinnen haben wir auf die kommenden Megatrends geblickt und uns ausgetauscht.

Hier wurde klar: Themen wie KI, Metaverse oder Nachhaltigkeit beschäftigen uns alle. Warum also nicht voneinander lernen, um dann die neuen Ansätze auf das eigene Unternehmen zu übertragen?

Und ebenso ist das interne Netzwerk wichtig, um auch am „internen Puls“ zu bleiben, Veränderungen zu begleiten, immer wieder die Kundenperspektive aufzuzeigen.

Aus meiner Sicht ist es aber auch wichtig, immer wieder die Vogelperspektive einzunehmen. Klar ist die Detailebene von großer Bedeutung, wenn es zum Beispiel um einzelne Anforderungen geht. Wir müssen aber auch darauf achten, immer wieder „rauszuzoomen“, das Große Ganze zu sehen: also wie fließen die Prozesse im Unternehmen, wie sind die Verknüpfungen, etc.

Wie hat Dich Dein Weg zur DGQ geführt?

Der erste Kontakt erfolgte während des Studiums über die Zusatzqualifikation „DGQ Manager Junior“ und über meine Tutorentätigkeit im Qualitätslabor der TH Lübeck. Um weiter die Zusatzqualifikation für anderen Studierende an der TH anbieten zu können, musste der Antrag an die DGQ erneuert werden. Diesen Antrag habe ich vorbereitet. Zunächst war es also ein eher administrativer Kontakt.
Während meiner ersten Jahre im Beruf habe ich dann diverse Weiterbildungen über die DGQ absolviert, vor allem im Bereich Audits. Zufällig habe ich die DGQ QM Youngsters entdeckt und bin spontan zu einer Veranstaltung gefahren. Ich war so begeistert vom Vibe und habe direkt vorgeschlagen, die nächste Veranstaltung bei meinem damaligen Arbeitgeber durchzuführen. Die Organisation des Workshops war für mich auch ein Testlauf, ob die Mitarbeit im Youngster-Leitungskreis passt. Und es hat gepasst! Seitdem war ich im Hamburger Leitungskreis für einige Jahre aktiv, bis ich Ende 2023 aus Altersgründen ausgeschieden bin.

Wenn Du auf Dein Engagement im Leitungsteam der DGQ QM-Youngsters zurückblickst: Was hat Dich daran am meisten gereizt, was waren Deine Highlights?

Ein Höhepunkt war die Transformation unserer Veranstaltungen in das Online-Format, als die pandemiebedingten Einschränkungen kamen. Unser Hamburger Team war das erste, das es ausprobiert hat, neue Wege zu gehen, und die Umstellung hat sich als großartiger Erfolg erwiesen. Deutschlandweit haben wir uns mit den anderen Leitungsteams aus den Regionen zusammengeschlossen, was den Austausch und das Zusammengehörigkeitsgefühl gestärkt hat. Wir haben nicht mehr regional, sondern plötzlich deutschlandweit gedacht und gewirkt. Der deutschlandweite Austausch besteht immer noch. Ein weiteres Highlight war auch unsere QM Youngster-Veranstaltung auf dem Q-Tag in Frankfurt in 2022 zum Thema: „Den Wert von Qualität besser kommunizieren. Weg vom Kontrollier-Image, hin zum Ermöglichen.“ Es macht mir enorm Spaß, mit anderen Qualitätsbegeisterten an Organisationsentwicklungsthemen im Kontext von Qualität zu arbeiten.

Inwiefern hat Dein Engagement bei der DGQ darüber hinaus Deinen Q-Werdegang geprägt?

Ich ziehe sehr viel Inspiration aus dem DGQ-Netzwerk. Ich schätze vor allem den Austausch mit anderen QM-Profis. Die Einblicke in neue Ansätze helfen mir, meine Perspektive ständig zu erweitern und am Puls aktueller Entwicklungen zu bleiben.

Du moderierst seit vergangenem Jahr, im Wechsel mit anderen Kolleginnen und Kollegen, das DGQ-Mitgliederwebinar „Chili con Q“: Was nimmst Du daraus mit für Deinen eigenen beruflichen Weg?

Die Moderation von „Chili con Q“ ist für mich eine wertvolle Erfahrung, die mir immer wieder zeigt, wie breit und dynamisch das Feld QM ist. Die Vielfalt der Themen und Gäste – von Expert:innen für neue Technologien, Stichwort KI, bis hin zu praxiserprobten QM-Ansätzen – inspiriert mich, QM aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten. Für meinen beruflichen Weg nehme ich vor allem eines mit: dass wir als QM-Profis in der Lage sind, komplexe Themen verständlich und praxisnah zu vermitteln. Diese Fähigkeit ist essenziell, um in einer Organisation Akzeptanz und Engagement für Qualität zu schaffen.

Was würdest Du jungen Menschen empfehlen, die am Anfang einer Laufbahn im QM stehen oder einen solchen Karriereweg in Betracht ziehen?

Ich bin geneigt, dass „Q“ aus QM zu streichen, um es besser als Management System / Business Management System zu vermarkten. Ich habe den Eindruck, dass dann QM wesentlich attraktiver auf die junge Generation wirkt. Denn richtig gut umgesetzt kann man enorm viel beeinflussen und das Unternehmen gestalten, trägt Verantwortung. In größeren Unternehmen bieten die Qualitätsbereiche natürlich eine Vielzahl an Karrierewegen: entweder im Bereich der Organisationsgestaltung (Prozesse, etc.) oder, wenn es eher technisch sein soll, im Bereich der Produktentwicklung bzw. Qualifizierung oder im Fertigungsumfeld. Aus meiner Sicht bietet QM sehr viele Potentiale. Dennoch weiß ich, es kommt auf das Unternehmenssetting an. Letzteres steht und fällt mit dem Team, den Vorgesetzten und deren Verständnis von QM. Wenn diese noch, sagen wir, antiquiert sind, braucht es viel Überzeugungsarbeit, um das QM da hinzubringen, wo es aus meiner Sicht sein sollte: als Business Enabler, Unternehmensgestaltung, Organisationsentwicklung.

Mein Rat: Hinterfragt das Verständnis von QM in eurem potenziellen Unternehmen. QM sollte auch als strategisches Werkzeug zur Unternehmensgestaltung gesehen werden, nicht nur als reine Kontrollinstanz. Nutzt Netzwerke wie die DGQ, um euch auszutauschen und weiterzubilden. Und vor allem: Bleibt neugierig, denkt über die klassischen Grenzen hinaus und seht QM als das, was es sein kann – ein echter Business Enabler.

Über den Autor: DGQ