Pflege-Exzellenz ist ein Personal-Magnet19 | 04 | 23
Spätestens die Corona-Pandemie hat dafür gesorgt, dass die klaffende Schere aus Pflege-Bedarf und Ressourcen-Angebot allgemein bekannt sein dürfte. Tatsächlich existiert das Wissen über eine wesentliche Ursache, nämlich das demographische Dilemma, schon lange.
An Initiativen zur Linderung der Folgen für die Pflege fehlt es indes nicht. Viele Akteure machten sich daher auf den Weg und sind bis heute damit beschäftigt, die Attraktivität des Berufsfelds zu erhöhen und die Personalressource zu stärken. Von der allgemeinen Ausbildungsvergütung über flexible Arbeitszeitmodelle bis hin zur durch die Bundesregierung vertraglich geregelten Anwerbung von Pflegekräften aus dem Ausland. Geblieben ist: Die sich zuspitzende Lage!
Der Spiegel der Vergangenheit…
Das alles war schon einmal da und scheint sich zu wiederholen. In den 1980er Jahren herrschte in den USA in der Pflege großer Personalmangel. Es kam zu einer wissenschaftlichen Untersuchung darüber, wie ein Krankenhaus aussehen müsste, das anziehend auf Personal wirkt. Viele weitere Studien dazu folgten.
Zusammengefasst lautet das Ergebnis, dass Kliniken mit hohen Anforderungen an die Qualifikation des Personals, vergleichbar mit sogenannten Exzellenz-Kriterien, auch eine hohe Anziehungskraft für Pflegepersonal haben. Aus diesen Erkenntnissen ist dann die sogenannte „Magnet“-Initiative geworden, in der Kliniken wissenschaftlich belegte Methoden anwenden, um Pflegemitarbeiter:innen zu gewinnen, zu halten und gleichzeitig die Pflegeergebnisse signifikant zu verbessern.
…führt hierzulande zu Irritationen
In Deutschland birgt diese Erkenntnis 40 Jahre danach, trotz erfolgreicher Umsetzung in vielen Kliniken weltweit, noch immer große politische Sprengkraft. Denn hierzulande herrscht weiterhin die Ansicht, dass in der Pflege Quantität vor Qualität geht. Es wird nicht anerkannt, dass besser ausgebildete Pflegekräfte zufriedener arbeiten, weniger krank sind und zu kürzeren Verweildauern der Patient:innen führen, obwohl das belegbar ist.
Solche Pflegekräfte stellen quasi eine zusätzliche Ressource dar. Denn Pflege hat mit einem exzellent aufgestellten Personalmix auch einen Einfluss auf die andere Seite der Bedarf-Ressource-Gleichung. Wenn Therapien rascher und mit besserem Ergebnis abgeschlossen werden können, so sinkt der Bedarf an Pflege. Dieser steigt in Deutschland momentan parabelhaft und lässt die Programme zur Verbesserung der Lage auf der Ressourcenseite der Gleichung verpuffen.
Auszubildende wollen Qualität
Ausdruck der quantitätsgetriebenen politischen Agenda war auch die Einführung der Pflegeversicherung in den 90er Jahren. Die Ausgaben der Krankenversicherung sollten sinken, indem sie von nichtmedizinischem Aufwand entlastet wurde. Doch es stellte sich rasch heraus, dass die demographischen Zwänge nicht durch die bloße Schaffung neuer Gesetzbücher aufzuhalten sind. Vielmehr wurde deutlich, dass Pflege mehr ist als medizinische Hilfstätigkeiten oder das Auffangen von Versorgungsdefiziten wegen wegbrechender Familienstrukturen.
Pflege ist eine Profession, die es fast nur noch in Deutschland ohne durchgängige akademische Struktur gibt. Zwar existiert seit der letzten Ausbildungsreform ein Bachelorstudiengang. Aber eine Vergütung wie in der dualen Ausbildung fehlt. Das Studium ist nur Abiturient:innen vorbehalten. Und für die Absolvent:innen sind weder Vorbehaltsaufgaben noch Karrierewege definiert. Kein Wunder, dass Pflegestudiengänge in Deutschland ein Schattendasein führen. Und auch in der klassischen Ausbildung gibt es große Defizite, nur 42,7 Prozent der Pflegeschüler:innen sind damit zufrieden (Verdi, 2022). Das hat Folgen: Weniger als drei Prozent befragter Schüler:innen können sich vorstellen, in der Altenpflege zu arbeiten, bei Abiturient:innen liegt der Wert noch niedriger (ZQP, 2019).
Es fehlt der Anreiz einer spezifischen beruflichen Laufbahn, die Studienabsolvent:innen vorbehalten ist. Damit ist ein Pflegestudium für viele junge Menschen nicht attraktiv, die Quote liegt – bezogen auf die primärqualifizierenden Ausbildungen in der Pflege – weit unterhalb von einem Prozent (BMFSFJ, 2022). Nach einer Umfrage der Bundesanstalt für Straßenwesen liegt der Wunsch unter Schüler:innen, im Gesundheitsbereich zu arbeiten, unter allen Berufszweigen jedoch an erster Stelle. Dabei wünschen sich mehr als 87 Prozent der Befragten dort einen Beruf mit einem Studienabschluss (bast, 2022).
Attraktivitätsschub durch Exzellenz
Last not least würden zwei andere Bereiche von mehr exzellent geschulten Pflegekräften profitieren: Die Ressource Technik könnte besser eingesetzt und genutzt werden, wenn das entsprechende Know-how vorhanden ist. Assistenzsysteme haben großes Potenzial, die endliche Ressource Personal zu ergänzen und dabei sogar die Qualität der Pflege-Outcomes zu verbessern. Darüber hinaus haben exzellent geschulte Pflegekräfte die Möglichkeit, mit evidenzbasiertem Know-how besser für die Vermeidung von Pflegebedarf zu sorgen. Die Chancen zu heben, die auf dieser Seite der Gleichung stehen, ist eine Herausforderung, die nur mit ausgezeichnet geschulten Pflegefachleuten gelingen wird.
Fazit: Es sollten mehr Anreize geschaffen werden, Menschen für die Pflege durch hochwertige Qualifikationen zu begeistern. Exzellenz-Programme wie die Magnet-Strategie können dafür ein Weg sein. Darin inbegriffen ist die Schaffung akademischer Karrierewege, die nicht in Konkurrenz zur bestehenden dualen Ausbildung stehen. Das wünschen sich junge Menschen. Im Ergebnis würde das die Qualität der Leistungen verbessern und nicht zuletzt einen Beitrag für die Attraktivität des Berufsfeldes und die von Ressourcennot geplagte Profession Pflege leisten.
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