Nachhaltiger Euphemismus4 | 12 | 15

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Die Erkenntnis, dass nachhaltiges Wirtschaften zur Vermeidung dauerhafter (Umwelt-)Schäden grundsätzlich notwendig ist, entstammt ursprünglich der Forstwirtschaft. Das ist auch kein Wunder, denn so ein Wald ist flott umgehauen – und dann gibt es ihn auf einmal nicht mehr. Im antiken Griechenland hat man z. B. Massen an (Kriegs-)Schiffen und sonstiges hölzernes Gerät produziert, ohne sich um die üblen Folgen dieses Treibens auch nur im Ansatz zu scheren. Die Ödnis gerodeter Hügelketten kann noch heute jeder sehen.

Ob der Freiberger Oberberghauptmann, der die Zusammenhänge vor rund 300 Jahren erkannt hat, damit tatsächlich der erste war, sei dahingestellt. Hans Carl von Carlowitz gilt jedenfalls als der erste, der den Begriff der Nachhaltigkeit prägte und das dahinterstehende Prinzip (in Bezug auf die Forstwirtschaft) formulierte. Als Konsequenz daraus empfahl er, nur so viel Holz aus dem Wald zu holen, wie durch Aufforstung in angemessener Zeit nachwachsen kann – was die Idee prima auf den Punkt zu bringt.

Veritable Zwangshandlung

Wenn wir jetzt einen großen Sprung ins Jahr 1987 machen, heißt das nicht, dass das Thema in der Zwischenzeit komplett brachlag. Mit der Definition von Nachhaltigkeit, die die so genannte Brundtland-Kommission in ihrem Abschlussbericht lieferte, erhielt die Nachhaltigkeit aus der Forderung, künftig ökologische, ökonomische und soziale Aspekte gleichermaßen zu bewerten und zu beachten, jedoch endgültig eine neue Dimension.

Man hat gleichwohl den Eindruck, dass nachhaltiges Wirtschaften in diesem Sinn bis heute nicht die Regel ist. Dafür hat die schiere Verwendung der beiden Wörter „Nachhaltigkeit“ und „nachhaltig“ ein absolut inflationäres Ausmaß angenommen. Mitarbeiter von PR-Abteilungen bekommen seit Jahren ihre Papiere ausgehändigt, wenn im Entwurf zur jeweiligen Unternehmensphilosophie nicht mehrmals „nachgehalten“ wurde. Wozu diese Zwangshandlung? Es wird so sein: Kaum ein Unternehmen kann es sich heute mehr leisten, in der Öffentlichkeit auch nur den Hauch einer Umweltsau, eines Ausbeuters oder eines Raffzahns zu verströmen. Wer sich zu nachhaltigem Wirtschaften bekennt – und seien es auch nur Lippenbekenntnisse – hat da schon einmal etwas Luft.

„Nachhalten“ heißt lediglich „dauerhaft bleiben“

Dabei bedeutet das Wort „nachhaltig“ an sich gar nichts Besonderes, jedenfalls wenn es nicht mit Inhalt gefüllt wird. Nachhaltig kommt von „nachhalten“, was nichts anderes heißt als „dauerhaft bleiben“. Es ist wie mit unserem anderen Lieblingswort „Qualität“, das ja bekanntlich Beschaffenheit bedeutet, aber per se nichts über die Güte dieser Beschaffenheit aussagt. Die letzte „Gurkenzange“ aus dem Billig-Baumarkt hat Qualität, nur welche? Analog dazu kann ein Zustand noch so schlecht sein: Wenn er dauerhaft anhält, ist er nachhaltig, jemand, der diesen Zustand aufrechterhält, steht im Prinzip für Nachhaltigkeit.

Man könnte jetzt einwenden, dass der Begriff „Nachhaltigkeit“ in seiner Bedeutung doch grundsätzlich positiv besetzt ist, eine andere Verwendung gar nicht in Frage kommt. Aber wer legt fest, ob ein Begriff positiv besetzt ist – und was heißt überhaupt positiv? Man sieht das an vielen Formulierungen, die vor allem das Adjektiv „nachhaltig“ ausschließlich in einer temporalen Bedeutung enthalten, sich dabei aber an das positive Wort-Image anhängen.

Die Nachhaltigkeit leidet unter ihrer massenhaften Vereinnahmung

Unternehmen, die z. B. von „nachhaltigem Unternehmenserfolg“ sprechen, den sie anstreben, sind zwar zunächst auf der sicheren Seite, weil „nachhaltig“ und „Erfolg“ jeweils Positives suggerieren. Gemeint ist aber schlicht dauerhafter Erfolg. Und zudem: Ein Unternehmenserfolg muss – jedenfalls für die Gesellschaft – ganz und gar nichts Positives haben. Wenn, um ein drastisches Beispiel zu nennen, ein Waffenhändler dauerhaft gute Geschäfte macht, leiden darunter Millionen Menschen – und zwar nachhaltig.

Geht man einen Schritt weiter, zeigen sich weitere Schwächen der Begrifflichkeit: Denn ebenfalls kritisch ist die Unbestimmtheit des Begriffs; und zwar besonders dann, wenn er vereinnahmt wird. Wie lange muss der Erfolg währen, damit man ihn ruhigen Gewissens als nachhaltig (also dauerhaft) bezeichnen kann? 10 Jahre, 20 Jahre oder wie viele? Und wie muss dieser Erfolg aussehen? Ab welchem Rückgang der Zunahme von Umsätzen oder Gewinnen ist der Erfolg eines Unternehmens nicht mehr nachhaltig (also dauerhaft) – und damit auch kein Erfolg mehr? Wer legt das fest?

Die Brundtland-Kommission hat es damals so formuliert, allerdings mit Blick auf eine tatsächlich nachhaltige Entwicklung: „Dauerhafte Entwicklung ist Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.“ Jawohl!

Über den Autor: Peter Blaha

Peter Blaha, geboren 1954 in Frankfurt am Main, ist freier Journalist mit Spezialisierung auf „Managementsysteme“ und „Weinwirtschaft“ und DGQ-Mitglied. Er widmet sich neben der Erstellung von Fachbeiträgen seit jeher (und mit Vorliebe) dem nach seiner Meinung oft viel zu wenig beachteten Phänomen unklarer bis kurioser Formulierungen und Schreibweisen in der deutschen (Q-)Sprache. Wer dabei eine gewisse Nähe zur Argumentation des bekannten Journalisten Wolf Schneider zu erkennen glaubt, liegt nicht ganz falsch.

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