Galionsstaat im Digitalfürstentum Pflege24 | 06 | 24

Pflegekompetenz

Regionale Heimgesetze, der Pflegeberatungs-Flickenteppich, bundeslandabhängige Leistungskomplexe und nicht zuletzt das Auf und Ab bei der Gründung von Landes-Pflegekammern zeigen: Beim Thema Pflege gilt in Deutschland noch das Prinzip der „Vielstaaterei“.

Die umfasst schlechte wie gute Beispiele. Rheinland-Pfalz (RLP) steht dabei für Fortschritt in der Pflege. Es hat seit Jahrzehnten viel in Strukturen investiert. Pflege hat hier einen anderen Stellenwert als anderswo in Deutschland. Das gilt auch für die Pflegeforschung und das daraus abgeleitete politische Handeln.

Ernüchternde Bestandsaufnahme

Das zuständige Ministerium hatte dort eine Studie „digi2care“ in Auftrag gegeben, für die Ende 2023 der Abschlussbericht vorgelegt wurde. Beteiligt waren neben leistungserbringenden Einrichtungen wie Kliniken, Pflegeheimen und ambulanten Pflegestationen auch die Pflegeschulen. Ziel war eine Bestandsaufnahme der digitalen Pflegepraxis und -ausbildung. Die Ergebnisse lesen sich wie ein Blick in die Geschichtsbücher der Datenverarbeitung und Technikanwendung.

Zwar sind der Studie zufolge administrative Prozesse allerorts weitgehend digitalisiert. Aber gerade in der Pflegepraxis herrscht vor allem bei der Dokumentation noch die analoge Datenerfassung. Ein frei verfügbares Internet gab es in keiner Einrichtung. Selbst einfache vernetzte Assistenzsysteme wie Sensormatten werden kaum genutzt; erst recht nicht telemetrische Anwendungen oder robotische Systeme.

Diese Ergebnisse sind angesichts der vielen Anläufe zur Verbesserung der digitalen Infrastruktur und dem Einsatz intelligenter Technik in der Pflege in den vergangenen Jahrzehnten sehr ernüchternd. Selbst die Corona-Pandemie hatte offenkundig mehr Wirkung auf die Digitalisierung der Administration als auf die praktische Pflege selbst.

Zwischen Wünschen und Zwängen

Dabei ist häufig belegt, erforscht und weltweit vielerorts der Beweis erbracht, welchen Nutzen der intelligente Einsatz vernetzter Technik und digitaler Assistenzsysteme angesichts des ungeheuren demographischen Drucks in der Pflegepraxis stiften kann: für die Gesundheit der Pflegenden, volkswirtschaftlich und selbstredend für die Qualität der Pflege.

Trotzdem ist das Ganze keine wirkliche Überraschung. Das ständig am Abgrund jonglierende System Pflege hat über lange Zeit bewiesen, dass die äußeren Zwänge in vielen Fällen nur zum schnelleren Drehen des Hamsterrades führen. Weder Management noch mangelhaft mit der Technik vertraute Pflegende sind in der Lage, das flächendeckend zu ändern.

Wo ein Wille ist…

In Rheinland-Pfalz bildet die besagte Studie den Ausgangspunkt für die erste deutsche Digitale Bildungsoffensive für die Pflege. Diese bezieht ausdrücklich die Lehrenden ein, die in vielen Fällen – anders als ein Großteil ihrer Pflegeschüler – noch keine „digital natives“ sind.

Rheinland-Pfalz ist damit einmal mehr eine Galionsfigur für Fortschritt in der Pflege in Deutschland, auch wenn das Niveau insgesamt hinter vergleichbar entwickelten Regionen in Europa hinterherhinkt und diese Initiative ziemlich spät kommt.

…führt der Weg in die digitale Zukunft

Jedenfalls wird hier die Erkenntnis in Taten umgesetzt, dass Bildung der Ausgangspunkt für Erfolg und eine nachhaltige Zukunft ist. Und dass dieser Mechanismus auch auf die Pflege übertragbar sein muss.

Gewiss, der Föderalismus hat viele Vorteile. Die Hoffnung ist, dass die RLP-Strategie aufgeht und es viele Nachahmende geben wird – in Einrichtungen, bei Trägern und in der Pflege- und Bildungspolitik anderer Bundesländer. Vielleicht reicht ein Digitalisierungsschub dann sogar bis in den Bundestag für eine echte Digitalstrategie für die Pflege in Deutschland im 21. Jahrhundert.

Über den Autor: Holger Dudel

Holger Dudel ist Fachreferent Pflege der DGQ. Er ist gelernter Krankenpfleger und studierter Pflegepädagoge und Pflegewissenschaftler. Er hat zuvor Leitungsfunktionen bei privaten, kommunalen und freigemeinnützigen Trägern der Langzeitpflege auf Bundesebene innegehabt. Qualität im Sozialwesen bedeutet für ihn, dass neben objektiver Evidenz auch das „Subjektive“, Haltung und Beziehung ihren Platz haben.