Was einem modernen QM-Verständnis in der Pflege im Weg steht20 | 02 | 20

Ein modernes Verständnis für Qualität und etablierte Qualitätsmanagementsysteme sind in vielen Bereichen der Wirtschaft bereits Gang und Gäbe. Im Bereich der Dienstleistung, und hier insbesondere im Sozial- und Gesundheitswesen, sieht die Situation häufig anders aus. Am Beispiel der Pflege kann man beobachten, was Qualitätsmanagement maßgeblich beeinträchtigt und was einem modernen QM-Verständnis im Weg steht.

Mit dem Qualitätsmanagement im Umfeld der Pflege ist das so eine Sache: Da ist auf der einen Seite der klinische Sektor. Das QM im Krankenhaus orientiert sich an der Medizin. Das Qualitätsmanagementverständnis in der Pflege im Krankenhaus ist geprägt von einer kurativen Sichtweise. Im Fokus stehen Themen rund um die Patientensicherheit.
Anders sieht es in der Langzeitpflege aus. Es hat sich dort ein Qualitätsmanagement entwickelt, das von einem hohen Reglementierungsgrad und einem komplexen Geflecht von Vorgaben geprägt ist. Das hat dazu geführt, dass Qualitätsmanagement und Qualitätssicherung geradezu „verbrannte“ Themen sind. Qualität – so hat es den Anschein – wird dort für die Prüfbehörden erbracht. Dazu kommen noch trägerspezifische Reglements zur Steigerung der Effizienz, also vorrangig monetär getriebene Beweggründe. Qualitätsmanagement hat hier eine fiktive Qualität geschaffen, die ihren Höhepunkt in den Noten für Pflegeeinrichtungen hatte.

Die Managementsysteme, mit denen wir es in den beiden Fällen zu tun haben, sind nicht modern. Warum?

In den unterschiedlichen Pflegesektoren ist die wichtigste Gemeinsamkeit, dass es Bereiche sind, an denen Menschen während einer bestimmten Lebensphase versorgt werden. Menschen sind Organismen: sie verhalten sich nicht nach einfachen linearen Ursache-Wirkungszusammenhängen. Alle Elemente eines Systems stehen in Wechselwirkung mit den anderen Teilen des Systems. Das gilt bezogen auf Organismen, lässt sich aber auch auf Organisationen übertragen. Moderne Managementsysteme berücksichtigen diesen Zusammenhang, sie folgen systemischen Ansätzen. Strukturen, Hierarchien, Netzwerke und Ressourcen werden in die Betrachtung des Gesamtsystems einbezogen und schlagen sich im Qualitätsmanagement nieder.

Wäre es nicht einfach, Managementsysteme in der Pflege an diesen Prinzipien auszurichten?

Es kommt hier etwas ins Spiel, was wir das Professionen-Dilemma nennen. Wir unterscheiden zwischen starken und schwachen Professionen. Starke leiten ihre Macht aus Traditionen, der geltenden Rechtslage und aus einer über lange Zeit gewachsenen professionellen Struktur ab. Zu diesen Professionen gehört die Medizin. Die Mitglieder starker Professionen erbringen ihren Kompetenz- und Qualitätsnachweis mit dem rechtswirksamen Eintritt in den Beruf. Qualität ist dort eine Frage der individuellen Befugnis, Kompetenz und Verantwortung. Die Medizin hat diesen Anspruch seit jeher verteidigt gegenüber anderen Professionen und ist damit vor allem im klinischen Bereich erfolgreich. Das Qualitätsmanagement-Verständnis im Krankenhaus ist vollständig an der starken Profession Medizin ausgerichtet.

Die Dominanz einer weiteren starken Profession macht sich in der Langzeitpflege nicht vordergründig im direkten Nebeneinander der Arbeitsfelder bemerkbar – wie in der Klinik zwischen Pflege und Medizin. Aber wenn wir uns einmal die Diskussionen im Vorfeld der sogenannten Entbürokratisierung der Pflegedokumentation in der Altenpflege vor Augen führen, so wird doch rasch klar, wo in diesem Sektor die professionelle Dominanz liegt. Es wurde bei dem Projekt nämlich zuerst gefragt, wie viel Dokumentation weggelassen werden darf, um nicht haftungsrechtliche Probleme heraufzubeschwören. Die Folge waren die Kasseler Erklärungen als Signal und Ausdruck des professionellen juristischen Selbstverständnisses. Man könnte sogar sagen, dass die Jurisprudenz hier das Vakuum besetzt hat, das durch die mangelnde Autonomie der Profession Pflege und den fehlenden Einfluss der Medizin im Langzeitpflegesektor entstanden ist.

Starke Professionen sind nicht offen für systemische, moderne Ansätze des Qualitätsmanagements. Sie erwarten aufgrund ihres Selbstverständnisses ein Höchstmaß an Handlungsautonomie und Autarkie. Systemische Ansätze greifen in diese Autonomie ein, können sogar als Bedrohung empfunden werden und werden bekämpft.
Daneben existieren schwache Professionen, denen die entsprechende strukturelle Genealogie fehlt, die in der Folge zum Teil nicht einmal ein geeintes berufliches Selbstverständnis entwickelt haben. Die Pflege in Deutschland ist zweifellos eine solche Profession.

An den Schnittstellen im Versorgungsbereich gibt es eine Überlagerung der Professionen. Eigentlich würde daraus folgen und wäre zu erwarten, dass sich die am Versorgungsprozess beteiligten Professionen am systemischen Ansatz orientieren und dies im gemeinsamen Qualitätsmanagement-Verständnis integrieren. Tatsächlich geschieht dies aufgrund der beschriebenen Polarität in der Autonomie der Professionen nicht.

Wie sieht es in der Altenpflege aus, wo es doch eine stärkere pflegefachliche Orientierung gibt?

In der Langzeitpflege kommt ein weiteres Dilemma hinzu: der Akzeptanz-Konflikt. Wir haben es zweifellos mit einem der am stärksten reglementierten Sektoren im Dienstleistungsbereich zu tun. Die Einhaltung der durch Gesetzgeber, Selbstverwaltung, Kassen und Behörden erlassenen Vorgaben und Regeln frisst nicht nur Ressourcen. Das Qualitätsmanagement hat sich in dem Bereich längst zu einer gleichsam exekutiven Instanz entwickelt. Es zielt nicht in erster Linie auf das Erfüllen von Anforderungen der pflegebedürftigen Personen. Solche Ziele wären zum Beispiel die Verbesserung der Lebensqualität, Förderung der Gesundheit, Verringerung der Pflegeabhängigkeit, die physische, mentale, psychische Aktivierung, die Anregung zur sozialen Teilhabe. Das QM-Verständnis hat sich von diesem Kunden gelöst und bedient die Anforderungen des Prozessgliedes Kontrollinstanz, respektive MDK, respektive Heimaufsicht. Dabei handelt es sich um einen fiktiven Kunden, der jedoch außerordentlich große Wirkung erzielt – Pflegekräfte in diesem Sektor sehen sich einem QM gegenüber, das die Einhaltung der unzähligen Regularien und die Erfüllung der wirtschaftlichen Interessen durchsetzt. Damit wird QM zwangsläufig zur Führungsaufgabe und es entsteht ein entsprechender Konflikt der Rollen – denn Qualitätsmanagement bedeutet eigentlich das Führen des Qualitätssystems und nicht per se des Unternehmens. Der aus der Übernahme von Aufgaben der Unternehmensführung resultierende Rollenkonflikt führt zu einem Akzeptanz-Dilemma. Denn offener Austausch und Unvoreingenommenheit sind Grundvoraussetzungen für funktionierende QM-Systeme. Diese Voraussetzung ist gestört, wenn die hierarchischen Beziehungen durch Rollendiffusion polarisiert werden, weil QMBs zur abgesetzten Geschäftsführung mutieren.

Insgesamt zeigt sich, dass die vorliegende Situation in den verschiedenen Pflegesektoren der Implementierung eines modernen Qualitätsmanagement-Verständnisses im Weg steht. Das Professions- und das Akzeptanz-Dilemma sind dabei zugleich Ursache und Folge einer Entwicklung, die es zu durchbrechen gilt.

In der stationären Altenpflege wird dieser Versuch zurzeit mit der Umsetzung des Indikatorenmodells unternommen, die ambulante Pflege soll folgen. Mit dem Modell erhält das interne QM eine Stärkung und in den Mittelpunkt der Audits tritt das Fachgespräch. Es besteht die Chance, dass diese Neuorientierung und die Stärkung der Kompetenz der Pflegefachleute es schaffen, eine umfassende Wende im QM-Verständnis einzuleiten.

Über den Autor: Holger Dudel

Holger Dudel ist Fachreferent Pflege der DGQ. Er ist gelernter Krankenpfleger und studierter Pflegepädagoge und Pflegewissenschaftler. Er hat zuvor Leitungsfunktionen bei privaten, kommunalen und freigemeinnützigen Trägern der Langzeitpflege auf Bundesebene innegehabt. Qualität im Sozialwesen bedeutet für ihn, dass neben objektiver Evidenz auch das „Subjektive“, Haltung und Beziehung ihren Platz haben.

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