Ein Kulturnavigator für das Qualitätsmanagement: Wie Abteilungskulturen zum Schlüssel für wirksames QM werden20 | 06 | 25

Kompass, Kulturnavigator, Navigation

Qualitätsmanagement ist weit mehr als das Abarbeiten von Normen und Checklisten – es ist ein Gestaltungsspielraum. Wer als Qualitätsmanager:in heute wirklich etwas bewegen will, braucht mehr als Methodenkompetenz: Man muss die kulturellen Spielregeln der Organisation verstehen. Genau hier setzt das neue DGQ-Impulspapier „Ein Kulturnavigator für das Qualitätsmanagement“ (exklusiv für DGQ-Mitglieder auf DGQplus) des Fachkreises „QM als Organisationsentwicklung“ an – ein Impulsgeber für alle, die Qualität nicht nur absichern, sondern aktiv voranbringen wollen.

Kulturelle Grundlagen verstehen – ein theoretischer Blick

Um diesen kulturellen Gestaltungsspielraum im Qualitätsmanagement gezielt nutzen zu können, ist es hilfreich, zunächst ein grundlegendes Verständnis davon zu entwickeln, wie Kultur in Organisationen entsteht, wirkt – und wie sie sich im Alltag zeigt.

Hierzu können drei eingängige Bilder hilfreich sind: Kultur zeigt sich zum einen als „Schatten der Organisation“ – sie entsteht aus den bestehenden Strukturen, Prozessen und dem gelebten Miteinander. Sie ist nicht direkt steuerbar, aber immer präsent und beeinflusst, wie Entscheidungen getroffen und Aufgaben umgesetzt werden.

Zum anderen wirkt Kultur wie eine „Spielregel“, die – ähnlich wie bei einem Brettspiel – vorgibt, wie man sich innerhalb der Organisation bewegt: Wer die auch teilweise ungeschriebenen Regeln kennt, kann sich sicher und wirksam einbringen. Wer sie ignoriert, stößt schnell auf Widerstände.

Schließlich lässt sich Kultur auch als „Trampelpfad“ verstehen: Über Jahre hinweg eingeübte Routinen und Verhaltensweisen prägen den Alltag. Neue Ideen oder QM-Initiativen müssen sich gegen diese eingetretenen Pfade behaupten – was in der Praxis bedeutet, dass Veränderungen nicht einfach verordnet, sondern behutsam eingeführt und gemeinsam mit den Teams entwickelt werden müssen.

Drei zentrale Erkenntnisse für die Praxis

Aus dieser Perspektive leiten sich drei wesentliche Prinzipien ab:

  1. Kultur lässt sich nicht direkt verändern – sie ist das Ergebnis bestehender Rahmenbedingungen.
  2. Führungskräfte sind entscheidend für kulturellen Wandel – oft jedoch unbewusst Teil des Status quo.
  3. Bestehende kulturelle „Trampelpfade“ lassen sich meist besser weiterentwickeln als vollständig ersetzen.

Der Kulturaspekt: Oft übersehen, aber entscheidend

Die zentrale Botschaft des Fachkreises Organisationsentwicklung: Qualitätsmanagement ist dann erfolgreich, wenn es sich an den Zielen und der gelebten Kultur der Organisation ausrichtet – nicht umgekehrt. Denn jedes Unternehmen besteht aus einer Vielzahl von Subkulturen. Die IT tickt anders als die Produktion, das Controlling anders als der Verkauf. Wer diese Unterschiede erkennt, kann gezielt ansetzen, überzeugen und wirklich etwas bewegen.

Zwei Schlüsselfragen für die kulturelle Orientierung

Der Kulturnavigator bietet einen einfachen, aber wirkungsvollen Denkrahmen. Er fragt:

  1. Wie vielen externen Anforderungen ist eine Abteilung ausgesetzt?
  2. Wie hoch ist der Anteil sich wiederholender Aufgaben?

Diese beiden Dimensionen helfen, die „kulturelle Lage“ einer Abteilung einzuschätzen – und darauf aufbauend maßgeschneiderte QM-Strategien zu entwickeln. Der Fachkreis empfiehlt, diese Einschätzung mit einer Matrix zu visualisieren, die typische Kulturausprägungen und Handlungsempfehlungen für verschiedene Abteilungstypen abbildet.

Darüber hinaus kann es hilfreich sein, die Risikofreudigkeit einzelner Abteilungen systematisch zu bewerten – etwa anhand ihrer Offenheit für neue Technologien oder Veränderungen. Ebenso lassen sich zum Beispiel typische Argumente für oder gegen Standardisierung ableiten, wenn man die kulturelle Verortung einer Abteilung kennt.

Ein Beispiel aus der Praxis

Nehmen wir zwei Abteilungen desselben Unternehmens: Die Produktionsabteilung arbeitet mit standardisierten Prozessen, unterliegt aber zahlreichen externen Anforderungen (z. B. durch Kundenvorgaben, Audits und gesetzliche Regularien). Hier ist ein QM-Ansatz gefragt, der Standards stärkt, aber auch flexibel auf Änderungen reagieren kann.

Ganz anders die Entwicklungsabteilung: Hier dominieren Projekte, Innovationen und wechselnde Anforderungen. Ein rein normorientiertes QM würde hier eher als Bremsklotz empfunden. Stattdessen sind agile QM-Methoden gefragt – z. B. kurze Feedbackzyklen, lernfördernde Fehlerkultur und partizipative Zielentwicklung.

Fazit: QM neu denken – mit kulturellem Kompass

Mit dem Kulturnavigator wird QM zum Türöffner für Zusammenarbeit. Anstatt Regeln „von oben“ zu verordnen, gehen Qualitätsmanager:innen in den Dialog mit den Abteilungen, erkennen deren Logiken – und bauen darauf auf. So wird Qualität zur gemeinsamen Sache. Und genau das ist der Schlüssel für nachhaltige Wirkung.

Der Kulturnavigator bietet nicht nur Orientierung, sondern auch Inspiration: Wer sich auf die kulturelle Realität seiner Organisation einlässt, kann Qualität dort verankern, wo sie am meisten bewirkt – im Alltag der Teams. Für Qualitätsmanager:innen ist das eine echte Chance: Weg vom „QM-Polizisten“, hin zum Kulturversteher, Brückenbauer und Veränderungsbegleiter. Der Fachkreis empfiehlt, den Navigator als Reflexions- und Dialoginstrument zu nutzen – für ein QM, das nicht nur kontrolliert, sondern auch gestaltet.

Über den Autor: Pasqual Jahns

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Pasqual Jahns, Diplom-Betriebswirt (FH), ist als Global Director Process Management bei der Symrise AG tätig und Mitglied im Leitungsteam des DGQ-Fachkreises "QM als Organisationsentwicklung". Mit einem technischen, IT und betriebswirtschaftlichen Hintergrund beschäftigte er sich in den letzten 15 Jahren mit QM-nahen Themen wie dem pharmazeutischen GMP, Compliance, Nachhaltigkeit und zur Zeit mit dem integrierten Management-System bei der Symrise AG.