QM und QS im Wandel: Deformalisierung30 | 07 | 20
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Sie kennen das. Bei der Steuerklärung, der Anmeldung der Kinder für eine Schule, beim Beantragen eines Visums für China: Aufwändige Prozesse, für die Sie keine Routine haben, Formalien, deren Funktion sich Ihnen nicht erschließt, Ablehnungen aus formalen Gründen, das Gefühl, einer fremden Person ausgeliefert zu sein, deren Motive, Begründungen und Handlungen Sie nicht verstehen und die ihnen enorme Schwierigkeiten machen können. Steuerklärung auf einem Bierdeckel? Wir hatten nur kurz davon geträumt, würden nie wieder auf diese Utopie hereinfallen.
Ist es im Unternehmen für Mitarbeiter nicht auch immer wieder so, dass sie sich an Regeln halten sollen, deren Sinn sie nicht verstehen und die aus ihrer Sicht überkompliziert, nicht zielführend, dysfunktional und manchmal sogar paradox sind? Das wäre nicht verwunderlich, denn viele unserer Unternehmen und Organisationen sind erheblich überformalisiert. Ausufernde externe Reglementierungen des Gesetzgebers, der Normungsorganisationen, der Branchenverbände und unserer Vertragspartner stoßen uns in eine gefährliche interne Überformalisierung.
Niemand bestreitet, dass unsere Organisationen Regeln brauchen, dass es legitime Anforderungen der Gesellschaft, der Kunden und anderer Interessengruppen gibt. Jede einzelne Anforderung hat ihren fundierten Ursprung, eine gute Begründung. In Summe aber entsteht ein erschreckendes Gesamtwerk. Je größer der Formaldruck in einer Organisation ist, desto schneller und häufiger führt er dazu, dass Mitarbeiter „informale Ausweichbewegungen“ machen. Eine schöne Beschreibung der Organisationssoziologen für das Umgehen, Biegen und Brechen von Regeln. Ein weiterer schöner Fachbegriff ist „brauchbare Illegalität“. Das bleibt uns dann doch im Halse stecken. Ist es so schlimm? Ja, durchaus, insbesondere in den hochreglementierten, total überformalisierten Branchen wie Lebensmittel-, Automobil- und Gesundheitsindustrie. Davon konnten Sie in den letzten Jahren in der Zeitung lesen. Im Audit, bei Wirtschaftsprüfungen und staatsanwaltlichen Ermittlungen stoßen wir darauf und erfahren, dass es Einzelfälle, einmalige Ausnahmen waren. Aha! Die Leitung hat nie etwas davon gewusst. Das sprichwörtliche goldene Händchen der Auditoren. Wirklich? Machen wir uns nichts vor.
In überformalisierten Managementsystemen müssen Mitarbeiter geradezu „informal ausweichen“, damit überhaupt etwas funktioniert, sie Termine einhalten, Projekte beenden, Kundenaufträge gewinnen können. Das geschieht ganz oft aus durchaus altruistischen Motiven, zum Nutzen des Unternehmens. Ich nenne es unerkannte Agilität. Sie ist nützlich und gefährlich. Das Verletzen von Regeln schafft direkte Risiken von Fehlern und indirekte der Bestrafung. Und manchmal stehen auch persönliche Motive im Raum, von der Entlastung von ungeliebten Tätigkeiten bis hin zur Verschaffung persönlicher monetärer Vorteile. Viele schlechte variable Vergütungssysteme befeuern das.
Für uns im Qualitätsmanagement ist ganz wichtig zu erkennen, dass viele unserer Argumente für Qualitätsmanagement und ein Managementsystem bei Mitarbeitern und Führungskräften nicht ankommen, solange wir nur die Vorteile der Regeleinhaltung und die Nachteile des Regelbruchs ins Spiel bringen. Denn aus deren Sicht gibt es Vorteile des Regelbruchs und Nachteile der Regeleinhaltung. Damit müssen wir einen Umgang finden, um wirklich weiterzukommen mit der Akzeptanz und Wirksamkeit von (Qualitäts)Managementsystemen und auch mit dem Schaffen einer unsere Ziele unterstützenden und unsere Werte lebenden Qualitäts- Führungs-, Unternehmenskultur.
Es gibt also durchaus Handlungsbedarf, sich mit den Effekten der Überformalisierung vertieft auseinanderzusetzen. Und die Deformalisierung voranzutreiben.
Was ist Ihre Rolle bei der Überformalisierung der eigenen Organisation? Sind sie nicht längst Teil der Überformalisierungsmaschinerie, haben jede einzelne Aktion durchdacht, aber in Summe doch geholfen, ein Monster zu schaffen und zu füttern? Sind Sie bereits beim Deformalisieren, brauchen aber noch mehr Grundlagen?
Dann lesen Sie das DGQ-Impulspapier „Deformalisierung – Vom dysfunktionalen Zuviel zum gelingenden Genug“. Zum kostenfreien Download »
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