Darf ich Sie mal ‚was fragen? – Warum und wie auditieren Sie eigentlich (noch)?23 | 02 | 22

Auditieren ist eine Praxis, die in allen Organisationen einer gewissen Größe oder mit Einbindung in Lieferketten eine große interne Sichtbarkeit hat. Sie fordert einen nicht zu vernachlässigbaren Ressourceneinsatz. Das Auditieren und das Audit prägen bei vielen Menschen die Wahrnehmung dessen, was Qualitätsmanagement ist – manchmal positiv, oft negativ. Mir fällt auf, dass alle relevanten Gruppen mehr oder weniger unzufrieden mit dem Audit sind. Natürlich gibt es einzelne Unternehmen und Menschen für die das nicht gilt. Doch ganz überwiegend steht das Audit latent in der Kritik. Die bedeutendsten Vorwürfe sind je nach Gruppe und ihrer Perspektive: Nutzlosigkeit, Wirkungslosigkeit, Ressourcenverschwendung, Unbehagen mit der Auditsituation sowie mangelnde Akzeptanz der Methode und ihrer aktiven Protagonisten.

Interessant finde ich auch den Umgang der unterschiedlichen Gruppen mit der Situation. Gestatten Sie mir bitte, dass ich dabei sehr zugespitzt formuliere, wissend, dass die Welt mehr Facetten bietet. Leitung und Führungskräfte machen höflich mit und ignorieren ansonsten das Audit und seine Ergebnisse weitgehend. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter lassen es über sich ergehen, einzelne Nutzen es zur Kritik und müssen meist erleben, dass sie nichts bewirken wird. Auditorinnen und Auditoren versuchen das Audit zu einem Wohlfühlevent zu machen, aber auch ganz viele und immer neue Nutzenaspekte hervorzuheben. Das Audit ist zu einem Ritual geworden, in dem alle ihre Auditrolle spielen. Wie konnte es dazu kommen? Zwei aus meiner Sicht wichtige Ursachen möchte ich hier hervorheben:

  1. Der Grad der Kompatibilität der Qualitätsmanagementsysteme – und damit der Produktentstehungsprozesse – ist in und zwischen Unternehmen einer Lieferkette in den letzten 35 Jahren immer besser geworden. Genau damit wurde der wichtigste Zweck der ISO 9001 seit ihrer Einführung 1987 erfüllt. Zu Beginn waren interne und externe Audits enorm wichtige Treiber für steigende Systemreifegrade und somit steigende Kompatibilität. Da der Anstieg in den ersten Jahren stark war und sich dann naturgemäß abflachte, hat sich die Wirksamkeit von Audits stark erschöpft und damit auch reduziert.
  2. Steigende Gewöhnung, resultierende Ritualisierung und Erschöpfung der Wirksamkeit haben Auditprogrammverantwortliche, Auditorinnen und Auditoren dazu verleitet, das Audit immer weiter zu überfrachten, um gegen sinkende Akzeptanz anzukämpfen. Audits sollen heute viele ganz unterschiedliche Funktionen erfüllen, viele Arten von Nutzen stiften, gar einen Return on Investment erzielen, und sich dazu noch für alle Beteiligten wundervoll anfühlen. Im Ergebnis entsteht aber ein zwar oft sympathisches aber weitegehend nutz- und wirkungsloses Eierlegendes-Wollmilchsau-Format.

Aus dieser extrem verdichteten Analyse leite ich folgende Ansatzpunkte für Verbesserungen ab:

  1. Auditieren ist eine Governanceverpflichtung. Weder das einzelne Audit noch das Auditprogramm müssen einen Return on Investment erzielen.
  2. Das Audit darf nicht mit Funktionen überfrachtet werden. Wir müssen für jedes Audit die Hauptfunktion festlegen und die Methodik so spezifisch wählen, dass sie diese ideal erfüllt.
  3. Interne Auditoren sind starken Rollenkonflikten ausgesetzt. Wir müssen die Rollen interner Auditoren klären und sie konfliktfrei anlegen.
  4. Das Audit darf nicht mit übertriebenen Nutzenversprechen belastet werden. Wir müssen seinen Zweck, seine Funktionen und die methodische Alleinstellung benennen – mehr nicht.
  5. Immer gleiche Auditkonstellationen und -situationen führen zu nutzlosen Ritualen. Wir müssen diese Rituale durchbrechen.
  6. Organisationen unterliegen vielen in- und externen Analysen und Prüfungen. Wir müssen sie in ein Programm integrieren, synchronisieren und ihre Erkenntnisse konsolidieren.

Und nun frage ich Sie erneut und schließe dann weitere Fragen daran an: Warum und wie auditieren Sie eigentlich (noch)? (Und wenn Sie selbst nicht auditieren, können Sie sich vielleicht in einer QM-Funktion oder als Führungskraft dazu positionieren und das „Sie“ auf Ihr Unternehmen beziehen.)

Spüren Sie – in welcher Rolle auch immer – Unbehagen im und mit dem Audit? Können Sie die Ursachen dafür benennen? Haben Sie sich mit anderen dazu einmal ausgetauscht? Auditieren Sie heute anders oder genauso, wie vor drei oder fünf Jahren? Haben Sie das Audit einmal ganz anders gestaltet? Was haben Sie daraufhin erlebt und über die Organisation erfahren?

Ist es eine Option, das Auditieren bei Ihnen auch einmal auszusetzen? Ist es eine Option, die Zertifizierung auszusetzen?

Ist Ihre Rolle als interne Auditorin oder interner Auditor mit Ihren anderen Rollen gut vereinbar? Falls Sie selbst diese Rolle nicht haben, wie sieht das für Ihre internen Auditorinnen und Auditoren aus? Warum lassen Sie interne Konformitäts- oder Complianceaudits, oder generell Audits mit Prüfungscharakter, nicht von externen Profis machen, die keine internen Rollenkonflikte bekommen?

Ist kluge Zurückhaltung für Auditierte nicht allermeist die beste Taktik im Audit? Ist, wer zu offen ist, im Audit letztlich nicht ganz dicht? Wissen Sie, dass viele Ihnen im Audit ein X für ein U vormachen? Merken Sie das? Wirklich? Immer und alles? Haben Sie nicht selbst schon geholfen, externen Auditoren ein X für ein U vorzumachen? Und wenn Sie das machen, merkt es dann keiner? Warum war das okay und wenn es die Kollegen bei Ihnen machen ist es das nicht?

Muss sich jedes Audit für die Auditierten gut anfühlen? Muss sich eine Steuererklärung, eine Darmspiegelung, eine Verkehrskontrolle gut anfühlen? Oder reicht es, wenn sich die jeweils kontrollierenden Personen höflich, professionell und sachgerecht verhalten?

Ist Ihnen stets klar, dass Ihre Wahrnehmung als Auditorin oder Auditor extrem selektiv ist? Ist Ihnen auch bewusst, dass wenn Auditierte Ihnen etwas sagen, dies allermeist wahr ist, aber nur einen für sie spezifisch formulierten Ausschnitt der Wahrheit wiedergibt? Dass die gleichen Auditierten jemand anderem im gleichen Audit oder Ihnen in einem anderen Setting etwas ganz anderes Wahres sagen würden? Und dass Ihre Schlussfolgerungen dann auch ganz andere sein würden? Ist Ihnen klar, dass Audits niemals objektiv sein können?

Sind Ihnen – insbesondere falls sie Auditorin oder Auditor sind – einige meiner Fragen regelrecht unangenehm? Welche finden Sie doof welche gut?

Ein drittes und letztes Mal komme ich nun auf meine Schlüsselfrage zurück, in der Hoffnung, dass sie hier eine interessante Diskussion eröffnet: Warum und wie auditieren Sie eigentlich (noch)?

Über den Autor: Benedikt Sommerhoff

Benedikt Sommerhoff leitet bei der DGQ das Themenfeld Qualität & Innovation. Er beobachtet, analysiert und interpretiert die Paradigmenwechsel und Trends in Gesellschaft und Wirtschaft sowie ihre Wirkungen auf das Qualitätsmanagement. Seine zahlreichen Impulse in Form von Publikationen und inspirierenden Vorträgen geben Orientierung in Zeiten des Wandels. Sie ermutigen zur Neukonzeption des Qualitätsmanagements und der Qualitätssicherung. Gemeinsam mit Expertinnen und Experten des DGQ-Netzwerks aus Praxis und Wissenschaft arbeitet Sommerhoff in Think Tanks und Pionierprojekten an der Entwicklung, Pilotierung und Vermittlung innovativer Konzepte und Methoden.

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