Brauchen wir einen „modernen“ Qualitätsbegriff?29 | 10 | 20

Die Diskussion um das Verständnis von „Qualität“ begleitet die Community, Experten und die Öffentlichkeit seit Jahrzehnten. Immer wieder tauchen unterschiedliche Interpretationen und Verständnisse auf, die mit verschiedenen Intentionen verfolgt werden.
Dabei sollte klar unterschieden werden, wie „Qualität“ definiert ist (Was verstehen wir unter Qualität?) und welche Ansprüche an „die Qualität“ von Objekten, Organisationen, Lebensbereichen etc. gestellt werden (Was ist eine gute oder schlechte Qualität von …?).

Es existieren diverse Ansätze, die erklären, was unter Qualität verstanden wird bzw. wie Qualität definiert wird. Weiterhin existieren viele Unterkategorien von Qualität wie beispielsweise Produkt-, Dienstleistungs-, Prozess-, Struktur-, Ergebnis-, Umwelt-, Luft-, Lebens-, Standort-, …qualität. In diesem Beitrag werden die Logik und der Anspruch der international für das Qualitätswesen und Qualitätsmanagement festgelegten Definition erläutert und Überlegungen zur Weiterentwicklung kommentiert.

Qualitätsbegriff in der Normung

Die Begriffsnormung hat die Aufgabe übernommen, eine Definition festzulegen, die geeignet ist, im Rahmen von Bewertungen, Prüfungen und im Rahmen des Qualitätsmanagements eindeutige Aussagen machen zu können, ob die Qualität des geprüften bzw. bewerteten Objekts bzw. die Qualitätsfähigkeit einer Organisation gegeben ist oder nicht. Vor diesem Hintergrund entstand die Definition von Qualität in der Norm ISO 9000:2015:

„Grad, in dem ein Satz inhärenter Merkmale eines Objekts Anforderungen erfüllt.“

Für den weiten Anwendungsbereich des Qualitätsmanagements benötigt man einen klaren Fachbegriff Qualität. Das ist auch deshalb nötig, weil die Auffassung dieses Grundbegriffs das Verständnis zahlreicher abgeleiteter Begriffe prägt, deren Benennung das Wort „Qualität“ enthält, zum Beispiel „Qualitätsprüfung“, oder in deren Definition der Begriff Qualität verwendet wird.

Der Fachbegriff Qualität ist international vereinheitlicht und in allen bisherigen terminologischen Festlegungen der ISO zum Qualitätsmanagement definiert, zuletzt in DIN EN ISO 9000:2015-11, 3.6.2. Man könnte schlagwortartig sagen: „Qualität ist die an der geforderten Beschaffenheit gemessene realisierte Beschaffenheit“, oder noch kürzer „Realisierte Beschaffenheit bezüglich Anforderung“. Das gilt für jedes beliebige Objekt, für das eine gedankliche oder praktische Qualitätsbetrachtung vorgenommen wird.

Der Qualitätsbegriff enthält kontinuierliche (stetige) und diskrete sowie in Stufen oder Noten ausdrückbare Bewertungsmöglichkeiten, zum Beispiel von „sehr schlecht“ bis „sehr gut“. Am Ende der Qualitätsbetrachtung einer Einheit wird ein ursprünglich für viele Qualitätsmerkmale erzieltes quantitatives Ergebnis oft zusammengefasst, indem man alternativ nur noch von „gut“ oder „schlecht“ spricht, oder von „zufrieden stellend“ oder „nicht zufrieden stellend“.

Qualität in der allgemeinen Umgangssprache

In der Öffentlichkeit und auch von diversen Experten und Interessengruppen wird oft (entgegen der Festlegung in DIN EN ISO 9000:2015-11) das Wort „Qualität“ für etwas „Gutes“ benutzt. Auch in der Gemeinsprache wird häufig von „das ist Qualität“ gesprochen, wenn man „das ist gute Qualität“ meint; oder „das ist keine Qualität“, wenn man „das ist schlechte Qualität“ meint. Damit ergibt sich am technisch-wirtschaftlich entscheidenden, meist stetigen Übergang zwischen „annehmbare Qualität“ und „nicht annehmbare Qualität“ eine störende Begriffsunstetigkeit. Zur Vermeidung von Missverständnissen kann die Benennung „Qualität“ des definierten Fachbegriffs zusammen mit Adjektiven wie schlecht, gut, mittelmäßig oder ausgezeichnet verwendet werden.

Die Qualität als Relation zwischen realisierter und geforderter Beschaffenheit kann bezüglich eines einzelnen Qualitätsmerkmals oder bezüglich mehrerer oder aller Qualitätsmerkmale interessieren. Entsprechendes gilt für die aufeinander folgenden Konkretisierungsstufen der Einzelanforderungen: Qualitätsprüfungen müssen meist schon lange vor dem Beginn der Realisierung (Produktion oder Dienstleistungserbringung) eines Objekts angesetzt werden. Man muss wissen, ob der Entwurf für das Objekt die vorausgesetzten und festgelegten Erfordernisse erfüllt.

Die generische Begriffsdefinition unterscheidet nicht zwischen den Arten von Anforderungen (welche implizit vorausgesetzt oder explizit formuliert sein können), reduziert auch nicht auf technische, rechtliche, personenbezogene, nachhaltigkeitsrelevante oder sonstige Kategorien.

Wichtig ist ebenfalls die Differenzierung der Objekte oder Ebenen, die hinsichtlich ihrer Qualität beurteilt werden können oder sollen. Hier unterscheiden wir z.B. Produkte und Dienstleistungen, Prozesse, Software, Arbeitsumfeld, Standorte, Systeme, Organisationen, Unternehmensführung, etc.

Ideen zur Modifizierung der Definition von Qualität

Wie sind Vorschläge zu Modifizierungen des Qualitätsbegriffs aus der Sicht der Konformitätsbewertung und Normung zu bewerten? Dazu gehen wir ein auf die nachfolgend dargestellen Vorschläge von Benedikt Sommerhoff aus seinem Beitrag „Nachhaltig ist eure Qualität aber nicht! – ein neuer Qualitätsbegriff.“:

  • Das Prinzip der Inhärenz, dass Qualität nur innewohnende Merkmale umfasst, ist zu stark einschränkend und für viele heutige Produkte nicht mehr tauglich. Eine moderne Qualitätsdefinition darf sich nicht auf inhärente Merkmale beschränken.
  • Das Prinzip der Anforderungserfüllung ist zumindest für Innovationen bestenfalls eingeschränkt tauglich, wenn diese neue Bedürfnisse adressieren oder bestehende Bedürfnisse neu adressieren, zu denen Nutzer keine Anforderungen formulieren können. Eine moderne Qualitätsdefinition darf sich nicht auf Anforderungen beschränken, sie muss auch Bedürfnisse adressieren.
  • Es gibt bezogen auf die Qualität eine globale ethische Dimension, die über Anforderungs- und Bedürfniserfüllung weit hinausgeht. Eine moderne Qualitätsdefinition muss die gesellschaftliche Gesamtbilanz und damit auch Aspekte der Nachhaltigkeit berücksichtigen.

Daraus werden folgende Modifikationen des Qualitätsbegriffs abgeleitet :

  1. „Erste Iteration: Wegfall „inhärent“.
    Qualität ist der Grad, in dem ein Satz von Merkmalen Anforderungen erfüllt.
  2. Zweite Iteration: Berücksichtigung der Bedürfnisse.
    Qualität ist der Grad, in dem ein Satz von Merkmalen Anforderungen und Bedürfnisse erfüllt.
  3. Dritte Iteration: Berücksichtigung der gesellschaftlichen Gesamtbilanz (Nachhaltigkeit).
    Qualität ist der Grad, in dem ein Satz von Merkmalen Anforderungen und Bedürfnisse erfüllt sowie eine günstige Gesamtbilanz für die Gesellschaft erzeugt.“

Welche Auswirkungen hätten die skizzierten  Änderungen der Begriffsdefinition von „Qualität“ für die Anwendung im Rahmen von Qualitätsmanagementsystemen?

Qualität ist der Grad, in dem ein Satz von Merkmalen Anforderungen erfüllt.

Wenn zugeordnete Merkmale wie beispielsweise ein dem Produkt zugeordneter Produktpreis oder bestimmte Herstellungsbedingungen zur Beurteilung der Qualität des Produktes herangezogen werden sollten, dann gibt es keine eindeutige Bewertung der Qualitätsfähigkeit bzw. Qualität mehr. Ist die Tatsache, dass der Preis für eine Kiste Wasser bei 1,99 Euro oder 10,99 Euro liegt oder ob er gar bei 0,00 Euro liegt, da es sich um ein Geschenk handelt, von positiver oder negativer Bedeutung für die Beurteilung der Qualität des Produkts „Kiste Wasser“? In welcher Weise ist die Tatsache, dass ein identisches Produkt entweder in China oder in Deutschland hergestellt wurde, für die Beurteilung der Qualität des Produkts von Bedeutung? Was ist besser oder schlechter? Wer entscheidet nach welchen Kriterien darüber?

Qualität ist der Grad, in dem ein Satz von Merkmalen Anforderungen und Bedürfnisse erfüllt.

Bedürfnisse sind nach ISO 9000:2015 3.6.4 eine Teilmenge der Anforderungen (Erfordernis oder Erwartung …).

In ISO 9000 3.6.4 Anmerkung 4 zum Begriff Anforderung wird erläutert: Anforderungen können von verschiedenen interessierten Parteien oder durch die Organisation selbst aufgestellt werden.

In ISO 9000 3.6.4 Anmerkung 5 zum Begriff Anforderung wird weiterhin erläutert: Zum Erreichen hoher Kundenzufriedenheit kann es erforderlich sein, eine Erwartung eines Kunden zu erfüllen, auch wenn diese weder festgelegt noch üblicherweise vorausgesetzt oder verpflichtend ist.

Insoweit wäre eine Erweiterung um „Bedürfnisse“ inhaltlich keine Erweiterung sondern lediglich eine redundante Hervorhebung einer bestimmten Teilmenge von Anforderungen. Redundante Aussagen in Definitionen von Begriffen sind jedoch zu vermeiden. Die Erhebung von Bedürfnissen, die üblicherweise individuell unterschiedlich sind, ist des weiteren eine anspruchsvolle Aufgabe, die eine entsprechende Kompetenz erfordert.

Qualität ist der Grad, in dem ein Satz von Merkmalen Anforderungen und Bedürfnisse erfüllt sowie eine günstige Gesamtbilanz für die Gesellschaft erzeugt.

Die Berücksichtigung einer (mehr oder weniger günstigen) Gesamtbilanz für die Gesellschaft (welche?) würde bedeuten, dass bei jeder Bewertung der Qualität eines Objektes eine gesellschaftliche Gesamtbilanz für das zu bewertende Objekt durchgeführt werden müsste. Abgesehen von fehlenden einheitlichen oder gesellschaftlich legitimierten Bewertungsmaßstäben ist das realistisch nicht durchführbar.

Was ist eine günstige Gesamtbilanz? Bilanzierungsansätze für die Wirkungsabschätzung von Produkten über deren gesamten Lebensweg existieren seit langem. Dies sind jedoch Methoden, die Informationen für eine Entscheidungsfindung bezogen auf die Auswirkungen auf Umwelt, Teilaspekte der Umwelt wie Klima oder Ökosysteme, auf Soziale Systeme oder ganz allgemein auf die „Nachhaltigkeit“ .

Die Schlussfolgerung zu den genannten Änderungsvorschlägen der Qualitätsdefinition lautet daher, dass es im Zusammenhang mit der Beurteilung der Qualität von Objekten zu unlösbaren (Bewertungs-) Problemen führen und damit das weltweit vereinheitlichte System der Konformitätsbewertung hinsichtlich Qualität nicht nur nachhaltig stören sondern unmöglich machen würde.

Fazit

Die existierende Definition von Qualität aus der Norm ISO 9000:2015 ist so generisch formuliert, dass sie auf alle Objekte anwendbar ist und geeignet ist, nachvollziehbare Bewertungen zu erzeugen. Eine Änderung ist unter dem Gesichtspunkt der Nutzung in Konformitätsbewertungsverfahren nicht erforderlich.

Die Verknüpfung von Qualität und bestimmten gesellschaftspolitischen Zielen und Anforderungen ist sicher in der öffentlichen Diskussion und Wahrnehmung von Bedeutung und kann gesellschaftliche, wirtschaftliche, ethische und sonstige Strömungen aufnehmen. Eine Diskussion um Anspruchsniveaus, die mit „Qualität“ verbunden werden, ist wichtig, um die Bedeutung von Qualität für Gesellschaft, Wirtschaft und Politik in der öffentlichen Diskussion zu stärken. Diskussionsbeiträge, die sich mit den verschiedenen Facetten wie Lebensqualität, Umweltqualität, Pflegequalität etc. auseinandersetzen sind bedeutsam, um den Stellenwert von Qualität in der gesellschaftlichen Entwicklung und Diskussion zu sichern.

 

Dieser Beitrag entstand in Zusammenarbeit mit Dipl.-Ing. Jürgen Jacob, DGQ-Normungsexperte und Mitglied in ISO TC 176 „Qualitätsmanagement“.

Über den Autor: Thomas Votsmeier

Dipl. Ing. Thomas Votsmeier ist Leiter "Normung/Internationale Kooperationen" und seit 1998 bei der DGQ tätig. Er engagiert sich in verschiedenen Fachgremien bei der European Organisation for Quality (EOQ), der International Personnel Certification Association (IPC), dem Deutschen Institut für Normung und International Standard Organisation (ISO). Unter anderem ist er Obmann des DIN NA 147 – 00 – 01 AA Qualtitätsmanagement und Mitglied bei ISO TC 176.

5 Kommentare bei “Brauchen wir einen „modernen“ Qualitätsbegriff?”

  1. d4725c58b86101b81ec6f10ba20f1a6a Florian Kern sagt:

    Super Arbeit! Super Job.

    Mein Q-Motto:

    0 Störfälle für 100% Kundenzufriedenheit.

    Echt Qool

    Gruss F.Kern

  2. 9fe10c7f77073fb943b7cb83f8d27969 Elke Sass sagt:

    Finde ich insgesamt schon sehr gut. Es sollte aber nicht der Begriff OBJEKT in der Definition vergessen werden.

    „Qualität ist der Grad, in dem ein Satz von Merkmalen EINES OBJEKTS Anforderungen und Bedürfnisse erfüllt sowie eine günstige Gesamtbilanz für die Gesellschaft erzeugt.“
    Laut der DIN kann sich dder Begriff OBJEKT auf ein Produkt/Dienstleistung, die Prozesse oder die gesamte Organisation beziehen. Bezogen auf die gesamte Organisation erhält die Aufgabe QM eine strategische Dimension.
    Hinter der Formulierung „günstige Gesamtbilanz für die Gesellschaft“ steckt vermutlich die CSR?

  3. 99055e8deb09f5c5c5556ccbe1bd6921 Christoph Bachem sagt:

    Es wäre ratsam im Sinne eines klaren Verständnisses von „Qualität“, eine leicht verständliche, prägnante und einprägsame Definition zu haben, weshalb mir der „Satz inhärenter Merkmale“ bisher wenig gefallen hat (da fehlt ja auch der Bezug, um wessen Merkmale es geht). Die Verwendung des Qualitätsbegriffes im allgemeinen Sprachgebrauch (in den letzten Jahren v.a. im Sport stark zunehmend) passt nur noch bedingt zur geltenden Begriffsdefinition, was diese letztlich selber verursacht hat. Warum also nicht einen Schritt in die Vergangenheit zurück wagen und wieder auf die Definition „Beschaffenheit einer Einheit, festgelegte und vorausgesetzte Erfordernisse (Anforderungen, Erwartungen, …) zu erfüllen“? Qualität wäre demnach die „Erfüllung expliziter und impliziter Anforderungen“ oder die „Beschaffenheit einer Einheit, explizite und implizite Anforderungen zu erfüllen“ (auch zwei mögliche Definitionen).

  4. Die Festlegung welche erwartete Eigenschaften ich im Rahmen meiner Produktentwicklung zum Qualitätsmerkmal erhebe und welche nicht, obliegt einmal dem Gesetzgeber im Sinner einer Mindestanforderung, zum zweiten mir als dem Produzenten bzw. Entwickler im Sinne der konkreten Gesamtübersetzung der Bedürfnisse in Merkmale. Ihre Frage, wer nach welchen Kriterien entscheidet, ob ein Produkt aus China besser ist als eines aus Europa, ist relativ leicht zu beantworten. Es ist die Zielgruppe und der Gesetzgeber, die in Ihrer Auswahl eines Produktes entscheiden, ob die Bedürfnisse in ihrem Sinne erfüllt oder nicht. Als Anbieter des Produktes oder der Dienstleistung entscheide ich dann, ob meine Ansprüche oder Bedürfnisse an meine Funktion als Anbieter erfüllt sind oder nicht. Die Einschränkung der Begrifflichkeit des „inhärent“, wie von Ihnen formuliert, gibt m.E. die Norm nicht her.
    tar

  5. Wolfgang Schlenzig sagt:

    Brauchen wir nicht!
    DIN EN ISO 9000 2.1 und 3.6 bieten alles was man dazu wissen muss und ausreichend Spielraum für objektspezifische Interpretationen.
    Warum soll dieser allgemeingültige Begriff zersplittert und verwässert werden?
    Zu 9000 2.1 kann man beliebige Annahme- und Rückweisekritierien benennen, die die Objektqualität charakterisieren.
    Das trifft auch auf den Artikel von Herrn Endres zum Qualitätsbegriff im Wandel der Digitalisierung zu.

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