Der Misstrauensbeweis des unangekündigten Audits – und warum wir ihn uns verdient haben12 | 10 | 16

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Ganz allgemein sollen Audits in Form von Stichproben untersuchen, ob Prozesse, interne oder externe Anforderungen und Vorgaben eingehalten werden. Spricht man von internen Audits, so überprüft sich die Organisation selbst und nutzt dafür interne Mitarbeiter, die vom auditierten Prozess unabhängig sind.

Bei regelmäßigen und angekündigten Kunden- und Zertifizierungsaudits nutzt man externes Wissen, um die Leistungsfähigkeit des Audit-Anwendungsbereiches (objektiv) nachzuweisen.

Letztendlich ist allen Arten von Audits gemein, dass sie dem auditierten „Objekt“ in gewisser Weise unterstellen, die gestellten Anforderungen nicht erfüllen zu wollen oder zu können. Denn würde alles sofort und perfekt umgesetzt, wofür bräuchte man dann noch Audits?

Eine neue Qualität dieses Misstrauens ist der Trend des „unangekündigten Audits“. Diesen Trend gibt es in immer mehr Branchen und in unterschiedlichsten Ausprägungen. Von tatsächlich unangekündigten Audits, bei denen der Auditor plötzlich vor der Tür steht, bis hin zu definierten Besuchs-Spannen, in denen mit der Auditierung gerechnet werden muss, sind der Kreativität fast keine Grenzen gesetzt.

Das Misstrauen ist teilweise gerechtfertigt

So kritisch diese Worte jetzt klingen mögen, die Organisationen haben einiges dafür getan, sich dieses Misstrauen zu verdienen. Die Erfahrung zeigt, dass viele Managementsysteme (egal ob Qualität, Umwelt, Energie oder andere Systeme) im Jahresverlauf nahezu brach liegen und bei anstehenden Audits mit immensem Aufwand oder nach dem „Minimalprinzip“ so aufgehübscht werden, dass sie der Überprüfung standhalten. Teilweise müssen die Unternehmen sogar Gebühren dafür bezahlen, dass die Androhung eines jederzeit möglichen Audit-Besuchs für ständige Alarmbereitschaft und Aktualität aller Systeme sorgt. Zertifizierungsgesellschaften und Kunden arbeiten dabei mit zwei negativen Gefühlen als Hebel: Angst und Zwang.

Vor der Erfindung unangekündigter Audits hatten wir die freie Wahl, unsere Systeme jederzeit auf Vordermann zu halten. Nun werden wir dazu gezwungen, weil man uns eigenverantwortliches Handeln (zu Recht?) nicht mehr zutraut.

Diese Audit-Praxis ist durchaus wirkungsvoll. Dabei bin ich der Ansicht, dass die eigentliche Wirkung nicht die Besuche an sich sind, sondern der Druck, ständig abrufbereit sein zu müssen, falls der „befürchtete Anruf“ kommt.

Trotz der omnipräsenten Gefahr haben sich viele Unternehmen noch nicht darauf eingestellt. Während sich vor allem Qualitätsmanager und –beauftragte auf die möglichen Spontanbesuche sehr schnell einstellen mussten, herrscht in sehr vielen Unternehmen wahre Krisenstimmung, wenn ein unangekündigter Besuch während der Urlaubszeit des QMBs stattfindet.

Gibt es noch Hoffnung?

Manche Branchen stehen erst am Anfang dieser Entwicklung. Und so werden wir vermutlich für die nächste Jahre mit dieser Art der massiven Fremdbestimmung leben müssen. Es besteht dennoch Hoffnung. Wenn es die einzelnen Branchen schaffen, dass Kunden, Handelspartner und Endverbraucher der Qualität und Leistungsfähigkeit dieser Unternehmen vertrauen, dann besteht auch kein Bedarf an unangekündigten Überprüfungen.

Vor allen Dingen müssen die Unternehmen zeigen, dass Sie alle Vorgaben zum größtmöglichen Kundennutzen dauerhaft einhalten WOLLEN. Das glaubhaft zu vermitteln, ist aber ein Prozess, der sehr lange Zeit in Anspruch nimmt. Denn Vertrauen ist leider wesentlich schneller verspielt, als dass es aufgebaut werden kann.

Über den Autor: Florian Frankl

Florian Frankl ist Personal Trainer für Qualitätsmanagement sowie Blogger und Podcaster unter der Marke Q-Enthusiast. Er ist außerdem Leiter Qualität bei der MILEI GmbH, einem Hersteller von milch- und molkebasierten Basisprodukten für Lebensmittel und Säuglingsnahrung.

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