Kann Deutschland noch Qualität? Wie wir unseren wichtigen Wettbewerbsfaktor wiederbeleben27 | 10 | 23
Das „Made in Germany“, die Qualität deutscher Produkte, deutsche Ingenieurskompetenzen waren legendär und die Legende wirkt noch nach – zum Glück. Wir waren Fußballweltmeister und Papst, das hat Herzen und Seelen gewärmt. Für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung war Exportweltmeister der wichtigere Titel. Diese auf Produktqualität und -zuverlässigkeit begründete Meisterschaft hat Unternehmen Wachstum beschert, den Menschen Arbeitsplätze gesichert, Steuern generiert und der Gesellschaft die Grundlagen für jahrzehntelanges Prosperieren in Wohlstand und Frieden verschafft.
Viele deutsche Unternehmen, vor allem des hier im weltweiten Vergleich enorm starken und innovativen Mittelstands, haben sich auf ihren Märkten nach wie vor Qualitätsführerschaft hart erarbeitet. Aber Deutschland als Ganzes? Es fällt global unangenehm auf mit mangelnder Digitalisierung, misslingenden Großprojekten, ausfallenden Regierungsfliegern, überbordender Bürokratie, der Anhängigkeit von gefährdeten gestrigen und dem Darben zukunftsfähiger Branchen, politischer Zögerlichkeit sowie gesellschaftlicher Veränderungsresistenz angesichts eskalierender globaler und nationaler Herausforderungen.
Innovations- und Businesszentren liegen außerhalb Europas
Zur fairen Situationsbeschreibung gehört auch zu konstatieren, dass die globalen Gesellschaften und Märkte unbeherrschbar komplex geworden sind. In verschiedenen Teilen der Welt eskalieren politische Destruktion und Autoritarismus. Extreme Klimaveränderungen und aus existenzieller Not resultierende Migration ziehen weitere, schwer zu bewältigende Folgen nach sich. Sie münden in neuen, noch längst nicht gelösten Herausforderungen für die deutsche Wirtschaft, die bundesrepublikanische Gesellschaft und staatliche Akteure.
Auch im Grunde positive Entwicklungen erschweren Deutschland das Geschäft, so haben viele Weltregionen und Nationen qualitativ rasant aufgeholt. Die dortigen Unternehmen sind neuerdings zu den deutschen in den Wettbewerb getreten. Die typisch deutsche Qualitätskompetenz für Stahl und Metallerzeugnisse, Eisenbahnen, Automobile, Elektronik war in der ersten, zweiten und dritten Industriellen Revolutionen entstanden. Doch heute treiben digitale und hybride Geschäftsmodelle und Produkte der vierten industriellen Revolution, der Industrie 4.0, die Weltwirtschaft an. Darin ist Deutschland, darin ist ganz Europa, vergleichsweise schwach. Deren Innovations- und Businesszentren sind in den USA und in Asien.
Weiteres Wirtschaftswunder bleibt aus
Erschwerend kommt hinzu: Saturierte Gesellschaften, wie die unsere, haben gegenüber aufstrebenden Gesellschaften offensichtlich ein Handicap. Sie verlieren an Ehrgeiz, Leistungs- und Leidensbereitschaft und -fähigkeit. Das Deutsche Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit belohnte überdurchschnittliche Anstrengungen mit persönlichem Aufstieg und den kollektiven Wiederaufbau nach zuvor selbstverschuldeter Zerstörung des eigenen Landes und großer Teile Europas mit einer weitreichenden Modernisierung. Dieses Wirtschaftswunder ging einher mit Annäherung, gar Versöhnung und Kooperation mit den einstigen Opfern und Gegnern. Vergleichbare Aufbauleistungen und Erfolgsgeschichten haben Menschen und Gesellschaften in anderen, vor allem asiatischen Ländern, gezeigt. Und dort dauern sie noch an, obwohl ihnen in bestimmten Regionen Repressionen und politische Fehlsteuerungen zunehmend hart entgegenwirken.
Qualität geht uns alle an
Wie werden wir als Gesellschaft und unsere Wirtschaft wieder qualitätsfähiger? Wie können wir den wachsende Qualitätskompetenzen der anderen eigenen Qualitätsfortschritt entgegensetzen?
Da es einfach ist aber wirkungslos bleibt, Forderungen an Regierungen, Parteien, staatliche Organe und Wirtschaftsverbände zu richten, möchte ich den Ansatz dort suchen, wo Aktion leichter fällt, bei mir selbst. Und daraus möchte ich ableiten und mir erlauben, Ihnen zu zeigen, was Sie, ja Sie, werte Kollegin, werter Kollege ganz individuell ebenso tun können.
Ich kann in meinem Alltag auf Qualität achten, bewusst Qualität auswählen und Nichtqualität ablehnen. Ich kann Qualität einfordern. Ich kann selbst Qualität erbringen. Ich kann andere ermutigen und ihnen dabei helfen, Qualität von Nichtqualität zu unterscheiden. All das können Sie auch, im Beruf und privat. Können das auch die, die wenig Ressourcen haben? Ich meine sie können und müssen. Denn sie leiden am meisten unter mangelnder Qualität: Wer billig kaufen muss und dann schlechtes bekommt, der hat für sein Geld keinen adäquaten Gegenwert bekommen.
Das Gesetz der Wirtschaft
John Ruskin erkannte schon im 19. Jahrhundert: „Es gibt kaum etwas auf dieser Welt, das nicht jemand ein wenig schlechter machen und etwas billiger verkaufen könnte. Und die Menschen, die sich nur am Preis orientieren, werden die gerechte Beute solcher Machenschaften. Es ist unklug zu viel zu bezahlen, aber es ist genauso unklug zu wenig zu bezahlen. Wenn Sie zu viel bezahlen, verlieren Sie etwas Geld, das ist alles. Bezahlen Sie dagegen zu wenig, verlieren Sie manchmal alles, da der gekaufte Gegenstand die ihm zugedachte Aufgabe nicht erfüllen kann. Das Gesetz der Wirtschaft verbietet es, für wenig Geld viel Wert zu erhalten. Das funktioniert nicht. Nehmen Sie das niedrigste Angebot an, müssen Sie für das eingegangene Risiko etwas hinzurechnen. Wenn Sie das aber tun, dann haben Sie auch genug Geld, um für etwas Besseres zu bezahlen.“
Es liegt an jeder und jedem von uns, unseren wichtigen Wettbewerbsfaktor Qualität wiederbeleben.
Drei alte Regeln des Qualitätsmanagements helfen uns dabei:
- Nimm Nichtqualität nicht an.
- Schaffe Qualität.
- Gib Nichtqualität nicht weiter.
Eine vierte Regel möchte ich ergänzen: Bestärke und unterstütze die um Dich herum, dies auch zu tun.
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