So sieht’s aus…wenn wir die QM-Blase verlassen28 | 07 | 21
Wenn Ethnologen auf das Qualitätsmanagement und seine Bewohner:innen schauten, welche sozialen Prozesse, kultischen Handlungen, Alltagsrituale, bedeutenden Artefakte würden sie entdecken? Welche Unterschiede zu anderen Stämmen, z. B. den Vertrieblern, Einkäuferinnen, Projektmanagern, Entwicklerinnen würden ihnen auffallen? Wieviel und welchen Austausch mit diesen würden sie wahrnehmen? Welche Dialekte haben sich ausgebildet? Mit welchen Initiationsriten nimmt der Stamm neue Mitglieder auf? Wen stellt er ins Abseits und warum? Wie geht er mit den massiven Veränderungen seiner Umwelt um?
Seit 1994, als ich in der Rolle eines Quality Engineers bei einem Automobilzulieferer in den Stamm der Qualitätsmanager und -managerinnen aufgenommen wurde, habe ich den Gebrauch seiner Werkzeuge, wie die FMEA, erlernt und praktiziert, wurde in Kulthandlungen, wie das Audit, eingeweiht und einbezogen. Seitdem stecke ich so tief drin, dass ich keine unbefangene externe Position, keinen neutralen Blick von außen auf das Qualitätsmanagement richten kann. Dennoch – und die, die meine Beiträge verfolgen, mögen es wahrgenommen haben – habe ich gerade in den letzten Jahren vieles in Frage gestellt, was wir traditionell tun und wie wir es tun. Ein Trick dabei ist, bewusst ethnologisch auf unser Tun („Was auffällig da ist“) und Unterlassen („Was auffällig fehlt“) zu schauen. Das bedeutet, sich das Staunen und Wundern zu erhalten, auch und gerade über das vermeintlich Vertraute. Es ist, wie wenn man ein Alltagswort wie „Kaffeetasse“ ganz schnell und oft hintereinander laut ausspricht und es sich auflöst, fremd wird, eigenartig klingt und eine neue Distanz ermöglicht.
Was ich selbst dabei erlebe und spüre und dann erkenne, wenn ich versuche, einen naiv distanzierten Blick aufs vertraute Fachgebiet zu werfen, ist die Existenz einer ausgeprägten Blase. Das Bild des Astronomen Camille Flammarion, zu Schulzeiten in meinem Geschichtsbuch abgebildet, kommt mir dann in den Sinn. Es mutet mittelalterlich an, ist aber eine Karikatur aus dem 19. Jahrhundert. Der Mensch durchbricht die Blase des (angenommenen) Firmaments, des Himmelsgewölbes und sieht erstmalig, dass dahinter neue und ungeahnte Realitäten liegen.
Sollten nicht auch wir unsere QM-Blase durchstoßen und unseren Blick auf die dahinterliegende Welt richten? Zumal es einsam in unserer Blase geworden ist und viele der traditionellen Rituale und Werkzeuge für die kommende Zeit und zukünftige Herausforderungen nicht genügen werden.
Stellen Sie in Abrede, dass es eine QM-Blase gibt? Oder können Sie die Blase auch erkennen? Würden Sie eine Blase sehen können, wenn Sie von außen darauf schauten? Oder gehören Sie zu denen, die nicht in ihr gefangen sind und die somit den anderen dabei helfen können, über den Rand der bisherigen QM-Welt zu schauen?
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