Qualität trifft Nachhaltigkeit: Sprechen wir bald ganz selbstverständlich von einer Abteilung QN?30 | 03 | 23
„Wir als Qualitätsmanager:innen haben genug zu tun. Wir können uns nicht auch noch um Nachhaltigkeit kümmern!“
Diese Einstellung ist eine mögliche Sichtweise bei der Frage nach der Bedeutung des Themas Nachhaltigkeit für das Qualitätsmanagement. Aber: Lassen Sie es uns doch auch einmal aus einer anderen Perspektive betrachten. Wo kommen wir Qualitäter:innen her und was gewinnen wir, wenn wir uns mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigen?
Uns im Qualitätsmanagement kommt zugute, dass wir uns aufgrund eines ständig wechselnden Umfeldes im Laufe der Zeit immer wieder selbst neu erfunden haben. Wir sind längst nicht mehr nur Normenverteidiger, sondern haben uns einen großen Methodenkoffer angeeignet. Wir agieren schnittstellen- und hierarchieübergreifend in der gesamten Organisation als Prozessmanager:innen. Wir moderieren und führen lateral multidisziplinäre Teams, um Verschwendungsarten aufzudecken und Potentiale zu heben. Wir agieren in einem sich schnell wandelnden Umfeld, unsere Organisation agiert in einem sich schnell wandelnden gesellschaftlichen und ökologischen Kontext.
Das alles ist längst kein Geheimnis mehr. Und vor allem: Das bleibt jetzt auch erstmal so. Wir können uns nun über die vermeintliche Last von außen beschweren oder wir können unser Ruder wieder selbst in die Hand nehmen und gestalten. Grundsätzlich haben wir als Qualitätsmanager:innen einen großen Gestaltungsspielraum und können uns mit unserer Position in der Organisation entwickeln – und unser Umfeld gleich mit.
Gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen
Am Thema Nachhaltigkeit kommt keine Organisation vorbei. Und das ist gut so. Organisationen als Teil der Wirtschaft haben eine gesellschaftliche Verantwortung (englisch: Corporate Social Responsibility, kurz CSR). Diese Verantwortung versteht sich als der „Wille, soziale und umweltbezogene Überlegungen in die Entscheidungsfindung mit einzubeziehen“ (ISO 26000, „Leitfaden der gesellschaftlichen Verantwortung“). Wir sind verantwortlich für unser unternehmerisches Handeln, für die Gesellschaft und für die Umwelt, verantwortlich für unsere Lieferkette und verantwortlich für unsere Produkte/Dienstleistungen. Und das nicht nur jetzt, sondern auch für die nächsten Generationen. Diese Haltung nennt sich Gemeinwohlorientierung.
Viele Unternehmen richten ihr Tun rein ökonomisch aus. Das ist nicht falsch. Aber es ist auch nicht alles. Denn Organisationen, die lediglich nach ständiger Gewinnmaximierung trachten, werden langfristig nicht zukunftsfähig sein. Immer mehr Organisationen befinden sich in einer Transformation und gestalten eine sozial-ökologische Marktwirtschaft mit. Die Frage, die sich stellt, lautet: Was können wir als Unternehmen beitragen? Wollen wir eine ‚Impact-First-Organisation‘ sein statt einer ‚Profit-First-Organisation‘? Und wenn ja: Wie geht das?
Die Einstellung der interessierten Parteien wandelt sich
Wer seine Stakeholder-Analyse gewissenhaft durchgeführt hat und nicht nur einmal im Jahr fürs Audit überarbeitet, wird längst gemerkt haben, was Kunden, Finanzgeber, Lieferanten und sonstige interessierte Parteien aktuell bewegt. Kunden kaufen Bio und Fairtrade und sie sind es müde, sich bei jedem Einkauf der Gewissenfrage stellen zu müssen: „Kaufe ich billig oder fair?“ Das kann nicht die alleinige Aufgabe des Einzelnen sein. Und das ist nichts, was der Markt von allein regelt. Dies steht vor allem in der Verantwortung der Politik und der Wirtschaft.
Hinzukommt: In Zeiten des Fachkräftemangels, der inzwischen zu einem Arbeitskräftemangel ausgewachsen ist, können sich Arbeitnehmer:innen zudem aussuchen, welchem Arbeitgeber sie ihre Lebenszeit, ihre Erfahrung und ihr Engagement zur Verfügung stellen wollen. Und wenn sie es sich aussuchen können, wählen sie möglicherweise die Organisation, die ihre Werte teilt und bei der sie das Gefühl haben, etwas „Sinnvolles“ tun zu können. Organisationen, die ihr ökonomisches Handeln in Bereich der sozialen und ökologischen Grenzen abstimmen, präsentieren sich automatisch als zukunftsfähige und attraktive Arbeitgeber.
Berufsbild Nachhaltigkeitsmanager Die Themen Nachhaltigkeit und Klimaschutz gehören zu den Megatrends unserer Zeit. Für Unternehmen wird es somit immer wichtiger, CSR-Maßnahmen umzusetzen und ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden. Mit dem größeren Fokus auf Nachhaltigkeit haben sich in den letzten Jahren eine Vielzahl an grünen Jobs entwickelt, wie beispielsweise der Job als Nachhaltigkeitsmanager. Antworten auf die wichtigsten Fragen finden Sie in unserem Berufsbild zum Nachhaltigkeitsmanager:
|
Mitgestalten und Standards setzen
Wer als Qualitätsmanager:in in einer großen Organisation beschäftigt ist, lehnt sich beim Thema Nachhaltigkeit vielleicht bequem zurück und verweist auf die entsprechende Abteilung oder den CSR Officer. Da sei angemerkt, dass wir gerne und zu Recht proklamieren: Für die Qualität ist nicht der Qualitätsmanager verantwortlich, sondern jeder einzelne. So ist es auch beim Thema Nachhaltigkeit. Die oben genannte ISO 26000 ist eine empfehlenswerte Einstiegsliteratur für normenliebende Qualitätsmanager:innen, die sich bisher wenig mit dem Thema beschäftigt haben.
Wer als Qualitätsmanager in einem KMU beschäftigt ist, bekommt sowieso alle Themen auf den Tisch, die irgendwie das Wort „Management“ oder „Audit“ beinhalten.
Beiden sei gesagt: Sie sind nicht allein. Und Nachhaltigkeit macht Spaß. Wir führen hier weiter, was wir längst können. Uns selbst neu erfinden. Mitgestalten. AM Unternehmen arbeiten, statt nur IM Unternehmen. Wer mitgestaltet, kann Standards setzen, das ist auch ein Teil von Nachhaltigkeit und zwar einer, den wir Qualitätsmanager:innen gut beherrschen. Also lassen Sie uns starten und neue Standards in der Wirtschaft setzen.
Mit Blick auf Ihre Organisation: Wo stehen Sie beim Umgang mit dem Thema Nachhaltigkeit und QM? Wie stehen die Bereiche Ökologie, Ökonomie und Soziales zueinander? Haben Sie Nachhaltigkeit bereits integriert: in Ihr Managementsystem, in Ihre Auditplanung, in Ihre Prozessbeschreibungen? Nutzen Sie gerne die Kommentarfunktion für eine kleines Stimmungsbild.
DGQ-Weiterbildungsangebote rund um Nachhaltigkeitsmanagement
In der Weiterbildung zum Nachhaltigkeitsmanager erlernen Sie die Kenntnisse, die Sie als Nachhaltigkeitsmanager benötigen, um Nachhaltigkeit ins Managementsystem Ihres Unternehmens einzuführen. Der Lehrgang vermittelt nicht nur Perspektiven nachhaltigen Denkens, sondern auch einen ganzheitlichen Blick auf die Integration von Nachhaltigkeit im Unternehmen. Sie verstehen Nachhaltigkeit im Zusammenhang von wirtschaftlicher Stabilität sowie ökologischer und sozialer Verantwortung und können das Thema in den Kontext Ihres Managementsystems einordnen. Jetzt anmelden »
Über die Autoren:
Sandra Paul, Textil-Ingenieurin, unterstützt als Beraterin der Gemeinwohl-Ökonomie (ecogood) Unternehmen auf dem Weg zur Gemeinwohl-Bilanzierung. Sie ist Transformations-Coach für den sozial-ökologischen Wandel. Mit ihrer Firma Visual Plot visualisiert sie außerdem wertebasierte Zukunftsbilder für Organisationen und Einzelpersonen als Mittel der Transformation. Sandra Paul war 25 Jahre im Bereich der Hygienemittel Produktion und im Gesundheitswesen tätig und verantwortet die Bereiche Qualitätsmanagement, Produktion und Lean Management.
Bei der DGQ ist sie Mitglied im Gründungsteam des zukünftigen Fachkreises Nachhaltigkeit.
Prof. Dr. Linda Chalupová ist Nachhaltigkeitsexpertin, Autorin und zertifizierte Aufsichtsrätin mit den Kernkompetenzen wie nachhaltiges Wirtschaften, Managementsysteme und Leadership. Mit Ihrer Professur für Umwelt- und Nachhaltigkeitswissenschaften an der Hochschule Fulda strebt sie an, die Wissenschaft und Praxis voneinander profitieren zu lassen und so möglichst zügig effektive Lösungen für eine nachhaltige Entwicklung bereitzustellen. Vor ihrem Ruf verantwortete sie als HSEQ-Direktorin die Positionierung eines global agierenden Konzerns im Bereich Nachhaltigkeit. Ihr Profil rundet branchenübergreifende Erfahrung unter anderem in der Verpackungs- und Lebensmittelindustrie. Prof. Dr. Chalupová engagiert sich in mehreren Berufsverbänden, Gremien und Arbeitskreisen. In ihren Veröffentlichungen beschäftigt sie sich insbesondere mit der Integration von Nachhaltigkeitsaktivitäten in Organisationen. Ihr Motto: Alle können und müssen einen Beitrag leisten – sei es auch einen Kleinen. Darüber hinaus ist sie auch Mitglied im Gründungsteam des künftigen DGQ-Fachkreises Nachhaltigkeit.
Wilhelm Floer hat als promovierter Maschinenbauingenieur und Qualitätsmanagement-Experte zahlreiche praktische Erfahrungen im Rahmen von Audits gesammelt: sowohl bei solchen, in denen er selbst von Kunden oder Zertifizierungsgesellschaften auditiert wurde, als auch bei der eigenen Durchführung von internen oder Lieferanten-Audits. Er war über zehn Jahre im QM-Bereich Automotive in den unterschiedlichsten Positionen bei verschiedenen Unternehmen (OEM und First Tier) tätig. Bei einem namhaften Haushaltsgerätehersteller hat er sich unter anderem für agiles QM und als Energie- und Umweltmanagementvertreter für Nachhaltigkeitsthemen eingesetzt. Derzeit arbeitet er als Digitaler Nomade und steht als Freelancer, Coach und Consultant für VDA-, QM-, UM-, EM- und Nachhaltigkeits-Themen zur Verfügung. Wilhelm Floer ist Mitglied des Gründungsteams für den Fachkreis Nachhaltigkeit.