Q-Wahl gelaufen – und jetzt?8 | 10 | 21
Die DGQ hat in den vergangenen Wochen die Bundestagswahl mit Artikeln, Umfragen und Veranstaltungen begleitet. Im Fokus standen dabei die Aussichten für die nähere politische Zukunft von Pflege und Qualität. Die Wahl liegt hinter uns und es ist Zeit für eine erste Bewertung. Denn obwohl die Verhandlungen der Parteien für eine Regierungsbildung noch in vollem Gange sind, so liefert das Wahlergebnis erste Hinweise dafür, wohin die Reise gehen wird.
Personell fällt die Wahlbilanz durchwachsen aus. Die im neuen Bundestag vertretenen Parteien schicken einige Pflegeexpert:innen ins Rennen. Darunter sind bekannte Gesichter der CDU, der Grünen und der FDP und auch wieder die einzige Abgeordnete aus der Altenpflege von der SPD. Bei CDU und vor allem der Linken haben aber auch Abgeordnete mit Pflegeexpertise den Wiedereinzug ins Parlament nicht geschafft. Insbesondere die Linke hatte in der Vergangenheit aus der Opposition heraus viele qualifizierte Anfragen zu den Vorhaben der Regierung im Bundestag gestellt und Impulse für den pflegepolitischen Diskurs geliefert. Wie sich die Partei in dem Themenfeld nun aufstellt, ist offen.
Inhaltlich stehen einige Tage nach der Wahl die Zeichen auf die „magische Drei“ mit einer Tendenz zur Ampel. Die Farben passen zu der Bandbreite, die sich in übertragenem Sinne aus den Wahl- und Parteiprogrammen von SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP ergibt: Einige Tabus, erhebliche Widersprüche, echter Fortschritt.
Woodward Ecke Michigan Avenue, Detroit (MI)
An dieser Ecke der Autometropole stand die erste rot-gelb-grüne Ampel. Ebenfalls an historischer Stelle befinden sich jetzt die potenziellen Koalitionäre, denn sie könnten die erste politische Ampel auf Bundesebene in Deutschland bilden.
Rot
In der Ampel-Konstellation gibt es einige „No-Gos“, also Bereiche, in denen sich sicherlich nichts tun würde. So hätte wohl eine große Pflegereform, die diesen Namen verdient, mit der Ampelkoalition keine Chance: Es wird keinen grundsätzlichen Systemwechsel geben. Den hat keine dieser Parteien im Vorfeld gefordert.
Gleichwohl wird sich bei der Finanzierung etwas tun, wobei hier die Richtung unklar ist. Die FDP steht für mehr Eigenleistung. Die beiden anderen Parteien wollen Einzelne eher entlasten. Finanzielle Auswirkungen hat auch die Forderung nach einer Stärkung der ambulanten Pflege und der häuslichen Versorgung. Wobei es in dem Fall auf die Details ankommt: Wenn das häusliche Setting gestärkt wird, so ergeben sich Effizienzpotenziale und es kommt sicher rasch zu einer Einigung zwischen den Koalitionären. Wenn es aber um die Stärkung alternativer Wohnformen geht, ist man aus dem Sparen schnell heraus und es wird sich zeigen, ob pflegefachliche Aspekte noch eine Rolle spielen.
Gewiss werden auch die Vorschläge zu Bürgerversicherung und Risikobegrenzung für Zündstoff sorgen, die von SPD und Grünen im Vorfeld gefordert wurden. Die decken sich nicht mit den Vorstellungen der FDP, wo die Zeichen eher auf Eigenbeteiligung und in der grundsätzlichen Finanzierung auf ein „Weiter so“ stehen.
Gelb
Die Farbe kann bei einer Verkehrsampel „loslegen“ (Gang rein) bedeuten, aber auch „Achtung halt!“. Dass Letzteres auf einen echten Systemumbruch in der Pflege zutrifft, ist bereits oben beschrieben. Aber in dem gelb steckt auch „jetzt kommt Veränderung“! Da gibt es so einiges, was die drei Parteien sich ins jeweilige Wahlprogramm geschrieben haben und wo nun die Details verhandelt werden müssten.
Das gelbe Spektrum der politischen Ampel mit Pflege-Themen, die politisch umstritten sind, ist groß. Das reicht von der Verantwortung des Einzelnen über das Solidaritätsprinzip bis hin zu emanzipatorischen Impulsen für das Pflegefach und die Pflegeklientel. Sollen Fachkräfte in der Langzeitpflege nach situativen Bedarfen eingesetzt werden (FDP) oder geht es eher in Richtung einer generellen Mindestvorhaltung an Fachpersonal? Wie sieht es mit den Budgetvorschlägen und den Klient:innenrechten aus: Haben die Bürger:innenversicherung und das Stimmrecht für Pflegebedürftigen-Vertretungen in den politischen Ausschüssen eine Chance? Wird eine Ampel den zuletzt festgefahrenen Weg verlassen und den Diskurs um die Rechte von Menschen in der palliativen und hospizlichen Versorgung konstruktiv weiterführen?
Vieles dreht sich in den Wahlprogrammen ums Geld. In diesem Punkt ist die Pflege ein Spiegel der anderen Politikbereiche: Hier gibt es die größten Unterschiede und das größte Konfliktpotential einer Ampel für die Zukunft. Die Vorschläge reichen von einer Begrenzung der Renditen großer Langzeitpflegekonzerne (SPD) über eine doppelte Pflegegarantie mit finanzieller Risikobegrenzung für pflegebedürftige Menschen (Grüne) bis hin zum Dreisäulen-Modell, das die Finanzierung der Pflegeversicherung an die Rentenversicherung angleichen soll (FDP) und starke Eigenleistungen fordert.
Es wird auch zu beobachten sein, wie sich eine mögliche Ampel zum Thema Leiharbeit in der Pflege positioniert. Die Personalüberlassung war eigentlich Ausdruck einer Deregulierung des Pflegemarktes, hat aber zu Demotivation des Stammpersonals und Kostenexplosion in allen Pflegesektoren geführt. Wird staatlich nun wieder mehr reguliert oder gibt es noch unbekannte Ideen, um dieser wachsenden Herausforderung zu begegnen?
Grün
Eine gemeinsame Grünphase erwischen die Ampelianer:innen, wenn es um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen, einen anstehenden Digitalisierungs- und Technisierungsschub sowie die Aufwertung des Berufsfelds geht. Die Attraktivität der Pflegeberufe muss gestärkt werden, da sind sich alle einig und können auf programmatische Schnittmengen zurückgreifen.
18° 15ˈ N, 77° 30ˈ W
Möge der Weg zu einer Koalition kurz und die Ergebnisse mit Fortschritt für die Pflege gespickt sein! Diese Hoffnung gäbe es genauso, wenn es zu dem alternativen Dreier-Bündnis käme: Jamaika. Es befördert bezogen auf den Zustand der Pflege ebenfalls viele Assoziationen.
Die Koordinaten einer derartigen Dreierkoalition nehmen sich allerdings nicht gerade fortschrittlich für die Pflege aus. Es käme im Vergleich zur Ampel nämlich nicht einfach nur zum Austausch der Pflege-Positionen der SPD gegen die der CDU/CSU. Vielmehr würden sich dann auch die politischen Grundannahmen verschieben zu Gunsten einer stärker marktorientierten Sicht und der weiteren Verlagerung der finanziellen Risiken auf Individuen. Spannend bliebe zu beobachten, wie die kleineren Partner mit ihrem ausgewiesenen Willen zur Veränderung gegen die in ihrem Pflege-Wahl-Programm biedere CDU ankämen.
Hoffentlich opfern die möglichen Regierungspartner die Pflege nicht anderen wichtigen Vorhaben und lassen die mannigfaltigen Herausforderungen liegen! Die DGQ wird in den kommenden Monaten die Sondierungen der Parteien, einen Koalitionsvertrag und das Regierungsprogramm analysieren und aus der Perspektive der Qualität die Vorschläge und Pläne für die Pflege kommentieren und in den öffentlichen Diskurs einbringen.
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