Organisationale Resilienz im strategischen Management – viel hilft viel?31 | 08 | 22

Viel hilft viel bei der organisationalen Resilienz im strategischen Management? Zusammengefasst: Nein.

Von vorne angefangen: Resilienz bezeichnet vereinfacht die Krisenfestigkeit von Organisationen bzw. wirtschaftenden Unternehmen. Insbesondere ein Blick in die jüngere Vergangenheit macht deutlich, warum Resilienz zu einer strategischen Erfolgsposition im neuen Wettbewerb wird – Gesetzesänderungen zum Klimaschutz, die Corona-Pandemie oder der Ukraine-Krieg sind nur einzelne Beispiele dafür, wie externe Einflüsse in zunehmender Frequenz das wirtschaftliche Handeln beeinflussen.

Mit Blick auf die regionalen und globalen Krisen der letzten Jahrzehnte wird schnell klar: Nach der Krise ist vor der Krise – und die Perioden der Erholung fallen dazwischen immer kürzer aus. Organisationale Resilienz oder Business Continuity Management (BCM) ist daher nicht als statischer Zustand zu verstehen, den es einmalig zu erreichen gilt, sondern als Zyklus, der kontinuierlich durchlaufen wird.

 

 

Dieser Zyklus lässt sich in fünf Phasen unterteilen: Vorbereitung auf mögliche Krisenereignisse (1. Prepare), Abwendung oder Abschwächung dieser (2. Prevent), das Verkraften der Auswirkungen bei deren Eintritt (3. Protect), der Umgang damit (4. Respond) und letztlich die Erholung davon (5. Recover). Entlang dieser Phasen gibt es unterschiedliche Fähigkeiten sowie Managementmethoden, die Unternehmen gestärkter aus Krisen hervorgehen lassen. So greift in den ersten beiden Phasen v.a. das Risikomanagement durch Antizipation und Bewertung von möglichen Gefährdungen sowie flexible Risikobewältigung ein. In den Phasen 3 und 4 ist im Sinne des Krisenmanagements insbesondere Robustheit und Agilität von Belang, während in der Phase 5 Regeneration und Lernfähigkeit im Zuge eines Sanierungsmanagements im Vordergrund stehen. Die Fähigkeiten lassen sich anhand von sogenannten Resilienzprinzipien gezielt ausbauen. Beispiele für solche Prinzipien sind Redundanz (z.B. hinsichtlich des Produktionssystems), Modularität (z.B. im Produktaufbau) oder Asynchronität (z.B. hinsichtlich der angestrebten Märkte).

Ähnlich wie beim Aufbau eines „intelligenten Unternehmens“ im Sinne von Industrie 4.0 kommt es auch bei Resilienz auf das unternehmensspezifische Umfeld und die strategischen Ziele an. So wie es nicht für jedes Unternehmen sinnvoll ist, ein „vollständig digitalisiertes und autonom-adaptives“ Wertschöpfungssystem aufzubauen, ist auch bei Resilienz mehr nicht automatisch besser. „Vollständige Resilienz“ gibt es ohnehin nicht. Organisationale Resilienz ist mehr als eine relative Zielgröße zu verstehen. Damit sie zu einem strategischen Vorteil wird, bedarf es einer Überlegenheit im Vergleich zu der strategischen Gruppe – also den erweiterten Wettbewerbern.

Empirische Beobachtungen zeigen, dass Unternehmen, die in Krisensituationen gezielt strategische Maßnahmen ergreifen (z.B. eine schnelle Anbahnung einer strategischen Partnerschaft mit einem anderen Unternehmen oder eine flexible Anpassung von Geschäftsmodell und Zahlungsmodalität), durch ihre temporär überlegene Resilienz auch über die Krise hinaus eine überdurchschnittliche Outperformance des Marktes erreichen können.

Letztlich geht es also darum, eine ökonomische Balance zu finden: Resilienz ist nicht umsonst und geht oft zulasten anderer strategischer Ziele. Im individuellen Unternehmenskontext müssen daher in unterschiedlichen Dimensionen die Positionierung gegeneinander abgewogen werden. So auch beispielsweise im hochrelevanten Fall der Lieferkettengestaltung: Hier steht ein robustes Lieferantennetzwerk in Konflikt mit Preisvorteilen im Single Sourcing. Ein weiteres Beispiel ist die flexible Anpassung des Geschäftsmodells als Reaktion auf kurzfristige Veränderungen im Marktgeschehen, welches wiederum in Konflikt mit Liquiditätszielen steht. Auch die Robustheit des eigenen Produktionssystems spielt eine immer größere Rolle, wie die aktuelle Krise der fossilen Energieträger zeigt. Wie flexibel kann meine Produktion auf kurzfristige Lieferengpässe oder -ausfälle reagieren? Welche Hemmnisse und Herausforderungen sind bei einer flexiblen Anpassung des Produktionssystems kurzfristig zu erwarten? Ein umfassender Blick ins Innere der eigenen Produktion ist somit zur Steigerung der gesamtorganisationalen Resilienz essenziell. Detaillierte Robustheitsanalysen in der Produktion inklusive Simulation der Auswirkungen in ausgewählten Szenarien können in der Bewertung und Ableitung von Maßnahmen besonders hilfreich für das Management sein.

Die kontinuierliche Abwägung von resilienzsteigernden Maßnahmen sind für die Widerstandsfähigkeit gegenüber aktuellen und kommenden Krisen somit ein notwendiger Schritt – auch wenn sie mit Einbußen an anderen Stellen verbunden sein können. Viel hilft also im Zweifel nicht unbedingt viel – aber ziemlich sicher ist haben besser als brauchen.

 

Weitere Informationen zum Thema „Organisationale Resilienz im strategischen Management“ erhalten Sie in folgenden Whitepapern und Konzeptpapieren des Fraunhofer IPT. Diese stehen kostenfrei zum Download zur Verfügung:

Über die Autoren:

Dr. Marc Patzwald (Abteilungsleiter), Leonie Budweiser (Gruppenleiterin) und Leonard Cassel (Wissenschaftlicher Mitarbeiter) arbeiten im Technologiemanagement des Fraunhofer IPT. In zahlreichen Industrie- und Forschungsprojekten untersuchen sie, wie Unternehmen sich im Sinne eines „Green Growth“ zukunftsfähig in Bezug auf technologische Innovation aufstellen können. Resilienz stellt neben der Zirkularität, dem Corporate Venturing und der Digitalisierung einen der vier wesentlichen Grundpfeiler hierfür dar.

Über den Autor: Marc Patzwald

Dr.-Ing. Marc Patzwald ist Abteilungsleiter Strategisches Technologiemanagement am Fraunhofer IPT in Aachen. In zahlreichen Industrie- und Forschungsprojekten untersucht er mit seinem Team, wie Unternehmen sich im Sinne eines „Green Growth“ zukunftsfähig in Bezug auf technologische Innovation aufstellen können. Resilienz stellt neben der Zirkularität, dem Corporate Venturing und der Digitalisierung einen der vier wesentlichen Grundpfeiler hierfür dar.

2 Kommentare bei “Organisationale Resilienz im strategischen Management – viel hilft viel?”

  1. Ganz am Anfang beteiligt sich der Auto leider an der Babylonischen Sprachverwirrung um die Begriffe Problem, Risiko, Gefahr, Zwischenfall, Störung, Notfall, Katastrophe und Krise – Begriffe, die gemeinhin ohne Rücksicht auf ihre etymologischen Wurzeln verwendet und untereinander ausgetauscht werden. da hat Auswirkungen auf den ganzen Blog.

    Was gemeinhin als Kriese bezeichnet wird, ist zumeist ein Zwischenfall öder eine Störung im Sinne der Aufrechterhaltung der Betriebsfähigkeit. Resilienz ist aus Sicht der Unternehmenssteuerung die Fähigkeit, Veränderungen in der Umgebung aufzunehmen und sich an diese anzupassen.

    1. Sehr geehrter Herr Dr. Herdmann,

      vielen Dank für Ihren Kommentar und die Anregung.

      Unser Blogbeitrag zielt darauf ab das Thema einer breiten Leserschaft zugänglich zu machen – insofern haben wir auf semantisch abgegrenzte Begriffsdefinitionen wie in einem wissenschaftlichen Paper bewusst verzichtet. Der Artikel ist letztlich das was er eben ist – ein populärwissenschaftlicher Blogbeitrag.

      Wenn Sie Interesse an wissenschaftlichen Artikeln und Begriffsdefinitionen haben, können Sie gerne einen Blick in meine Dissertation werfen – hier habe ich einige zweckdienliche Begrifflichkeiten im Kontext von Volatilität, Turbulenz sowie Resilienz erörtert.

      Herzliche Grüße aus Aachen
      Marc Patzwald

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