Organisationale Resilienz – ein wichtiges Thema für das Qualitätsmanagement27 | 07 | 22
Ein bisschen Krise konnte man in den letzten Jahren immer diagnostizieren. Je nach Weltregion und Branche mehr oder weniger. Die Covid-Pandemie und der Ukraine-Krieg haben aber auch das weltweit eher stabile Europa gründlich durchgerüttelt. Nicht einzelne Branchen, die gesamte Wirtschaft ist erheblich betroffen. Und der Klimawandel pausiert derweil nicht.
Im gemeinsamen Fachkreis „Controlling und Qualitätsmanagement“ von Internationalem Controllerverein und Deutscher Gesellschaft für Qualität haben wir uns ab 2020 intensiv mit dem Thema Resilienz befasst. Zuvor hatten wir unsere mehrjährige Arbeit zum Thema Integrative Unternehmenssteuerung abgeschlossen und wollten ohnehin einen neuen Themenfokus setzen. Ohne akute Pandemie wäre das Thema wohl nicht auf unserem Radar erschienen. Ist es deshalb ein temporäres, ein Hype- oder Modethema? Wir denken nicht – und sagen eher, neben all dem Elend und Leid, das die Pandemie brachte, war das eine Art Geschenk. Denn wir benötigen ganz dringend Wissen darüber, wie wir unsere Organisationen und Lieferketten resilient oder resilienter machen.
Schon bei der Klärung, was Resilienz ist, haben wir uns die Köpfe heißgeredet. Letztlich haben wir uns durchgerungen, eine Definition, die ursprünglich für die Resilienz des Individuums formuliert wurde, auch auf Organisationen zu übertragen: „Resilienz ist die Fähigkeit, Krisen zu überwinden und gestärkt aus ihnen hervorzugehen.“ Besonders der Nachsatz war im Fachkreis zunächst umstritten, setzt er die Latte doch noch etwas höher. In der Literatur fanden wir wenig Stoff über organisationale Resilienz. Einige Autorinnen und Autoren sehen sie als individuelle Resilienzen der Teams oder der Belegschaft. Das allein erschien uns nicht ausreichend. Zum Thema individuelle Resilienz wurde seit den Vierzigerjahren geforscht, dazu gibt es ein fundiertes Wissen. Und es ist leicht nachvollziehbar, dass es auch die organisationale Resilienz stärkt, wenn in der Organisation viele Menschen resilient sind. Doch organisationale Resilienz wird aus unserer Sicht darüber hinaus stark durch Strategien und Konzepte begründet und über das Managementsystem verankert. Deshalb sehen wir darin auch ein Thema, mit dem sich das Qualitätsmanagement befassen muss.
Als resilienzsteigernd identifizierten wir: Vereinfachung, Opulenz (Reserven, finanzielle Rücklagen, Redundanz), Vereinfachung, Robustheit, Diversifizierung und Diversität, Second und Multi Sourcing, hohe Agilität, Regionalisierung, Kontinuität.
Als resilienzreduzierend hingegen: Lean Konzepte, Komplexität, Kompliziertheit, Fokussierung und Spezialisierung, Single Sourcing, Starrheit (geringe Agilität), Globalisierung, Transformation (Innovation, Disruption).
Das heißt aber nicht, dass die einen Ansätze gut und die anderen schlecht sind. Lean ist gut für die Reduktion von gebundenem Kapital, lässt mir aber keine Puffer bei krisenbedingten Lieferausfällen. Multi-Sourcing schafft Flexibilität in den Lieferketten, reduziert aber die möglichen Verhandlungserfolge bei den Preisen und Lieferkonditionen. Spezialisierung lässt mich meine Ressourcen optimieren, bildet aber ein Klumpenrisiko in der Krise.
Tatsächlich sind auch eine laufende Transformation bzw. größere Innovationen resilienzreduzierend. Sie sind zwar gut für Kundenbindung und -gewinnung, machen mich zunächst aber verletzlich (wie bei allem Neuen, wo ich mich selbst noch im Lernprozess befinde).
Die Schlüsselfragen für jedes Unternehmen sind: Welchen Grad und welche Art von organisationaler Resilienz werden wir in Zukunft brauchen? Mit welchen Strategien und Konzepten erreichen wir sie? Welche Zielkonflikte entstehen zwischen Resilienz und anderen strategischen Zielen, welche Dysfunktionalitäten zwischen Konzepten für Resilienz und Konzepten für andere Stoßrichtungen? Welche Konzepte greifen stimmig ineinander, welche stören sich gegenseitig?
Sehen Sie bitte die notwendig gewordene Beschäftigung mit dem Thema organisationale Resilienz nicht als zusätzliche Belastung. Erkennen Sie darin die Möglichkeit, das Unternehmen zukunfts- und krisensicherer zu machen und auf diesem Wege auch Qualitätsresilienz herzustellen, d.h., die Qualitätsfähigkeit der Organisation auch in Krisen und bei schwankenden oder unvorhergesehenen Einflüssen stabil zu halten.
Weitere Fachartikel zum Thema Resilienz vom Fachkreis „Controlling und Qualitätsmanagement“ finden Sie in der Fachzeitschrift QZ und im Controller Magazin.
Für DGQ-Mitglieder ist die QZ, für ICV-Mitglieder das Controller Magazin frei zugänglich:
- Resilienz – mehr als nur ein schönes Wort (Was ist organisationale Resilienz und wie kommt sie ins Spiel? Teil 1), Fachzeitschrift QZ 12/21
- Resilienz – Wege aus der wirtschaftlichen Krise (Staatliche Infrastruktur als Voraussetzung organisationaler Resilienz, Teil 2), Fachzeitschrift QZ 01/22
- Organisationale Resilienz und wie sie erreicht werden kann, Controller Magazin 05/21
Über die Autoren:
Dipl. Ökonom Frank Ahlrichs ist Geschäftsführer der konsequent. Management Services GmbH und Spezialist für die Themen Prozessmanagement, Controlling und Innovationsmanagement. Er ist seit über 20 Jahren in diversen Unternehmen in Interims- und Projektaufgaben tätig. Als Lehrbeauftragter für Prozess- und Projektcontrolling sowie als Autor diverser Fachartikel und Bücher trägt er zur Weiterentwicklung der Fachthemen bei. Zudem ist er Leiter des gemeinsamen Fachkreises „Controlling und Qualitätsmanagement“ der DGQ und des ICV.
Holger Hildebrand ist selbstständiger Kaufmann, zudem Mitgründer einer Unternehmensberatung mit Fokus auf die sozialen Prozesse in Unternehmen, das Mitarbeiterengagement als nachhaltigen Erfolgsfaktor und die Behandlung des Mitarbeiters als Mensch und Individuum. Besonders wichtig ist ihm daher eine Firmenkultur, die Freiräume zur Entfaltung der Talente schafft – aber auch Fehler zulässt. Gerade ein konstruktiver Umgang mit Fehlern und eine positive Fehler- und Lernkultur sind für ihn ein Treiber von Innovation.
Benedikt Sommerhoff leitet bei der DGQ das Themenfeld Qualität & Innovation. Er beobachtet, analysiert und interpretiert die Paradigmenwechsel und Trends in Gesellschaft und Wirtschaft sowie ihre Wirkungen auf das Qualitätsmanagement. Seine zahlreichen Impulse in Form von Publikationen und inspirierenden Vorträgen geben Orientierung in Zeiten des Wandels. Sie ermutigen zur Neukonzeption des Qualitätsmanagements und der Qualitätssicherung. Gemeinsam mit Expertinnen und Experten des DGQ-Netzwerks aus Praxis und Wissenschaft arbeitet Sommerhoff in Think Tanks und Pionierprojekten an der Entwicklung, Pilotierung und Vermittlung innovativer Konzepte und Methoden.
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