Normungsaktivitäten der DGQ zu Pflege und Gesundheit, Teil III8 | 12 | 22

Krankheit und Pflegebedarf – hier liegen zwei neue Schwerpunkte in der Normungsarbeit der Deutschen Gesellschaft für Qualität (DGQ). Damit folgt sie einer integrierten Sicht der Qualität, die nicht nur nach Systemen und Prozessen, sondern auch nach den Anforderungen von Kundinnen und Kunden fragt. Sie stellt den Menschen damit in den Mittelpunkt. Diese Perspektive bringt sie in mehrere nationale und internationale Normungsgremien ein.

In einer Blog-Reihe stellen wir das Engagement des DGQ-Fachbereichs Pflege in der Normung vor. Mit Teil drei schließt diese kleine Reihe vorläufig ab. Diesmal geht es um die Standardisierung von Qualifikationsanforderungen für Menschen, die im Gesundheitsbereich Assistenzsysteme einsetzen.

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Technik und Pflege

Über den Mangel an Fachpersonal klagt mittlerweile fast jede Branche in Deutschland. Die Pflege macht keine Ausnahme. Hier reicht die angespannte Situation sogar bis in den Bereich der Angelernten mit Hilfstätigkeiten, sogenannte Pflegehelfer:innen. Die demographische Entwicklung führt zu einer sich immer weiter öffnenden Schere zwischen Leistungs-Bedarf und Angebot, was die Verfügbarkeit der Ressource Personal absehbar weiter verringert.

In diesem Dilemma scheint das Licht der Digitalisierung am Ende des Tunnels verheißungsvoll. Damit ist im Gesundheitsbereich insbesondere intelligente Technik in Form von Assistenzsystemen gemeint, die im Pflegeprozess an unterschiedlichen Stellen Routine-Aufgaben übernehmen, Ressourcen schonen und vielfach sogar das Potenzial für eine Leistungs- und Qualitäts-Verbesserung aufweisen.

Intelligente Technik muss entworfen, bedient, gewartet werden. Das erfordert Kompetenzen und Qualifikationen, die je nach dem Setting unterschiedlich ausfallen. Besonders sensibel ist der Einsatz von Assistenzsystemen im Zusammenspiel mit sozialen Dienstleistungen und wenn Menschen auf Grund von Behinderung, Pflegebedarf oder Krankheit auf Technik angewiesen sind.

Ein Beispiel

Bei der Pflege und Versorgung von Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind, spielen Alarmsysteme eine immer größere Rolle. Das Feld reicht vom Schwesternruf im Krankenhaus über die Sturzmatte am Pflegebett bis zum Hausnotruf. Diese klassischen Technologien werden durch die Digitalisierung ergänzt und aufgewertet. Die neuen Systeme liefern ein Vielfaches an Daten. Damit lassen sich Prävention, akute und dauerhafte Hilfestellung und Therapie verbessern.

Manchmal können solche Assistenzsysteme Leben retten. So wie der klassische Hausnotruf. Der bestand am Anfang aus einem Gerät, das die Größe eines Nachtschranks hatte und über Mikrofon und Lautsprecher verfügte. Das System ermöglichte über eine analoge Telefonverbindung das Hineinhören in die Wohnung und funktionierte wie eine Gegensprechanlage. Helfende waren bei der Einschätzung der Lage auf das angewiesen, was sie über das Mikrofon im Hausnotrufgerät eine:r Hilfesuchenden hörten.

Mit der Digitalisierung der Fernsprechnetze wuchs die Menge der übertragbaren Daten und die Möglichkeiten der Lageeinschätzung aus der Ferne erhöhte sich. Moderne Notrufgeräte liefern über Sensoren und Messgeräte ein Vielfaches an Informationen. Über Aktoren können sie sogar unmittelbar in das Geschehen vor Ort eingreifen. Gleichzeitig würden die analogen und elektronischen Bauteile nun ohne Wirkungsverlust in eine Zigarettenschachtel passen. Allerdings sind die Anforderungen an alle diejenigen gestiegen, die solche Systeme installieren, bedienen und die komplexen Informationen für ihre berufliche Praxis nutzen.

Die Helfenden verfügten als Ausbildung für den Hausnotrufdienst zu Beginn häufig nur über eine Erste-Hilfe-Schulung. Das hat sich geändert. Mittlerweile ist umfangreiches medizinisch-technisches und gegebenenfalls auch pflegerisches Know-how erforderlich, um die eingehenden Informationen situationsbezogen und individuell einzuschätzen und entsprechend zu reagieren.

Das gilt bereits bei der Installation der Notrufgeräte, die fachgerecht angebracht, eingerichtet und programmiert werden müssen. Sie müssen zudem mit zusätzlichen technischen Komponenten – wie zum Beispiel Sturzsensoren oder intelligenten Weglaufanzeigern – gekoppelt werden.

Kompetenzen für das soziale Dienstleistungs-Setting

Der Notruf ist ein Assistenzsystem der ersten Stunde. Längst gibt es solche, die an Komplexität weit umfangreicher sind. Das geht bis hin zu Robotern. Das Prinzip ist aber immer dasselbe: Menschen treffen im Zusammenhang mit der Erbringung sozialer Dienstleistungen auf Technik. Mit dem Einsatz dieser Assistenzsysteme wird dabei das Ziel verfolgt, den Versorgungsprozess besser, sicherer und effizienter zu machen.

An allen Punkten in dem oben geschilderten Dienstleistungsprozess – von der Installation über die Notrufzentrale, den Einsatzdienst bis hin zur Wartung – besteht Kund:innenkontakt. Das können die versorgten Menschen selbst sein, in deren Häuslichkeit ein solches System für mehr Sicherheit sorgt. Vielfach handelt es sich auch um Angehörige, die zum Beispiel in die Pflege eingebunden sind und Assistenzsysteme verstehen und anwenden müssen oder sie wie im Falle des Notrufs selbst auslösen.

Aus dieser besonderen Situation im sozialen Versorgungssetting mit hilfebedürftigen Menschen, ergeben sich weitreichende Anforderungen an das Ausbildungsprofil derjenigen, die auf der Leistungserbringerseite die Technik anbieten, einbauen und bedienen. Die dafür erforderlichen Kompetenzen und Fähigkeiten werden in Ausbildungsstandards beschrieben und festgelegt, für die es Vorgaben aus dem Bereich der Normungsarbeit gibt. Damit werden Mindeststandards für die fachliche, pädagogische und auf die Kommunikation bezogene Qualifikation gesetzt.

AAL-Qualifikationen

Intelligente Assistenzsysteme sind inzwischen zu einem eigenen Fachbereich in der Sozialwirtschaft gereift. Sie werden unter dem Akronym „AAL“, „Actice Assisted Living“, zu Deutsch „technikunterstütztes Leben“ zusammengefasst. An dieser Stelle ist der Fachbereich Pflege der DGQ in der International Electrotechnical Commission (IEC) und deren nationalen Spiegelgremien in der Deutschen Kommission Elektrotechnik (DKE) aktiv, um pflegefachliches Know-how in die Vorgaben für Ausbildungen einfließen zu lassen, die im Zusammenhang mit intelligenten Assistenzsystemen stehen.

Konkret geht es zum Beispiel um die Anforderungen an die Qualifikation von AAL-Beratenden. Sie müssen über Kompetenzen im Umgang mit Menschen verfügen, den Hilfebedarf abschätzen und voraussehen sowie technisches und sozialfachliches Know-how mitbringen. Das sind Voraussetzungen, um für Betroffene die besten individuell abgestimmten Lösungen zu finden.

Neben der Beschreibung der Anforderungen geht es bei der Festlegung entsprechender Ausbildungsprofile auch um die Einordnung in bestehende nationale (DQR) und europäische (EQF) Qualifikationsrahmen. Für den AAL-Beratenden ist das der Level 4 (DQR/EQR), wo Berufe mit drei- bis dreieinhalbjähriger Ausbildung auf Fachhochschul-Niveau angesiedelt sind. Darüber hinaus sind weitere Ausbildungsprofile im AAL-Bereich definiert. Dazu gehören AAL-Technik-Expert:innen mit noch weitreichenderen Kompetenzen als die Beratenden, die AAL-Technikassistent:innen sowie die AAL-Versorgungs-Assistent:innen.

Fazit

Der Einsatz intelligenter Technik in sozialen Dienstleistungen, sogenannten AAL-Systemen, birgt Herausforderungen an die Qualifikation der Handelnden. Das Feld reicht von ethisch-moralischen Aspekten, unterschiedlichen fachlichen Anforderungen bis hin zur Kenntnis von Gesetzen. Die DGQ bringt sich bei der Standardisierung der Vorgaben von Qualifikationen und deren internationaler Harmonisierung im AAL-Bereich ein. Dabei finden insbesondere die Integration der Kund:innen-Sicht sowie die Pflege-Perspektive Berücksichtigung.

 

Über den Autor: Holger Dudel

Holger Dudel ist Fachreferent Pflege der DGQ. Er ist gelernter Krankenpfleger und studierter Pflegepädagoge und Pflegewissenschaftler. Er hat zuvor Leitungsfunktionen bei privaten, kommunalen und freigemeinnützigen Trägern der Langzeitpflege auf Bundesebene innegehabt. Qualität im Sozialwesen bedeutet für ihn, dass neben objektiver Evidenz auch das „Subjektive“, Haltung und Beziehung ihren Platz haben.