Marketing für Qualitätsmanagement7 | 09 | 17
Wenn Arbeitsgruppenaufträge oder Veranstaltungen so überschrieben sind, kommt mancher in der QM Community ins Grübeln über das eigene Selbstverständnis. Braucht’s das denn? Qualität (Anforderungen erfüllen) und Management (Organisationen dahin Leiten und Lenken) sind doch positiv belegt. Der Nutzen liegt doch auf der Hand – tatsächlich?
Seit langem selbstverständlich – und daher kaum hinterfragt
Die Märkte haben sich zu Käufermärkten entwickelt, die Spezifikationen erfüllt zu bekommen ist nicht Glückssache oder nur wahrscheinlich, sondern wird als Hygienefaktor vorausgesetzt. Die Anforderungen zu erfüllen wird vom internen oder externen Kunden nicht als Leistungs- oder Begeisterungsfaktor wahrgenommen, sondern einfach als selbstverständlich verlangt. Damit sind auch die Voraussetzungen der Zufriedenheit selbstverständlich geworden, aus dem Blick geraten, vergessen worden (bis einmal der ‚Hygienefall‘ eintritt). Es wird gemessen und geprüft, es werden Prozesse beherrscht, es wird begleitend kommuniziert, bis hin zu Service und Entsorgung klappt alles – aber eine positive Wahrnehmung der Managementsystemleistung dahinter bleibt oft aus. Zum Vergleich: Wer denkt beim unkontrollierten Grenzübertritt innerhalb der EU an die vorausgegangenen Verhandlungsnächte? Fehlerraten sind so gering, dass bei Netzausfall (Strom, Wasser, Gas, Internet…) tatsächlich echte Überraschung herrscht und die Reihe ‚Wie helfe ich mir selbst?‘ nur noch Oldtimerfreunde anzieht. Also: Qualität hoch, aber Anerkennung für Qualitätsanstrengungen niedrig?
Trittbrettfahrereffekt
Leitplanken, Ampeln, Schranken im Straßenverkehr, Kontrolle in der U-Bahn, Ausweispflicht, Gebote, Verbote– sie alle haben eines gemeinsam: Rational wird ihre Daseinsberechtigung bejaht, aber der direkte Kontakt doch eher gemieden. Warum? Weil man die von ihnen ausgehenden Vorteile auch genießt, wenn man die empfundenen Nachteile als Objekt deren Ordnungsfunktion nicht selbst spürt. Formalisierten Managementsystemen und deren Protagonisten geht es ähnlich. Oberflächlich wahrgenommen, reflexhaft angesprochen zum Stichwort QM werden kaum Kundenzufriedenheit, Fehlervermeidung, Rechtssicherheit, KVP sondern Doku, Audit, Umstände, Kosten von Regeln und ritualisierten Prozeduren. Daher rührt doch die Notwendigkeit, ‚Marketing für QM‘ machen zu müssen. Wobei sich die ‚Marktbearbeitenden‘ auch schon einig sein sollten, was sie unter QM verstehen. Manch einer sagt ‚Werbung für QM‘ und meint seine Doku, sein Zertifizierungsprogramm oder sein EDV-Tool. In Abgrenzung bietet es sich an, nicht für ‚QM als Sonderlocke‘ zu arbeiten, sondern für systematisches Leiten und Lenken im Regelkreis insgesamt, gepaart mit Alltagsverstand und Konsequenz. Für manche/n von uns bitter, das ‚Q‘ weglassen zu müssen, um nicht auf Formalien reduziert zu werden, wenn es um das Managementsystem geht.
Das Qualitätswesen als Zombie
„Dort sitzt das Qualitäts-Wesen… einmal im Jahr kommt es herausgestürmt und sucht seine Opfer…“. Wer immer nur argumentiert ‚Der Kunde/der Gesetzgeber verlangt „Die Pappe an der Wand“ ‘ leistet dem Aufbau eines Parallelsystems Vorschub. Dann wird eben nur gemacht, was für das formelle Ziel nötig ist. Das Audit wird so für das QM-System, was der Laborprüflauf für den Abgastest wurde: statt Mittel zum Zweck leere Hülle mit nervigem Eigenleben. Leider sind formelle Managementsysteme schon so lange ‚erfolgreich‘ mit ihrem Zombie-Dasein, dass etliche Fachleute sie in ihrer beruflichen Sozialisation nur rein formal erlebt haben, manche gerade davon angezogen und zur Berufswahl gebracht worden sind. Was den Effekt noch verstärkt. Für diese Situation gibt es einen Schnelltest, der mit der Normenrevision 2015 noch einfacher geworden ist. Wer bspw. die Forderungen zum Prozessmanagement (ISO 9001:2015, 4.4.1) vorträgt erlebt, dass binnen Sekunden die versammelten Fachleute entweder in Papier- oder EDV-Kategorien denken. Eingaben für den Prozess werden so zu Bulletpoints, Verantwortliche zu Verknüpfungen mit dem Organigramm, Leistungs-Indikatoren zu möglichst großen formalen Aggregaten hochgerechnet (letztlich sind doch alle Prozesse über ‚Kundenzufriedenheit‘ zu steuern, oder?). Wer sich den Hinweis erlaubt, dass die Norm mit ‚Prozess‘ die Arbeit in der Halle oder im Büro meint (und deren analoge oder digitale Doku nur in einem ganz kleinen einfachen Punkt 4.4.2 nachrangig erwähnt wird) erntet Staunen, auch in der QMunity, sogar manchmal in DGQ-Erfa-Gruppen. Soweit haben sich viele von der Lebenswirklichkeit entfernt, soweit sind wir oft in die reine Formalienbefriedigung abgeglitten.
Ein Problem in der Werkstatt kann man nicht durch Meetings im Büro lösen
Sie kennen die Geschichte des Bäckers, der den Nachbarn auf Zahlung verklagt, weil dieser immer gratis den guten Duft der Backstube einsaugt? Jener aber vom Kadi als Schadenersatz nur das Geräusch der klingenden Münze in der Schüssel auf der Richterbank zugesprochen bekommt? Ein Bisschen so ‚luftig‘ geht es im QM leider auch oft zu. Wird der Prozess besser, wenn wir die Swim-Lane verziehen? Ist der Kunde begeisterter, wenn aus der Abweichung durch halbstündige Diskussion ein Hinweis geworden ist? Wird die Zuverlässigkeit wirklich besser, wenn auf Ebene 16 noch ein weiteres Dokument eingehängt wird? Kontrollfrage: ist es eine harte Kennzahl, wenn der Drittpapst in Avignon die zulässige Anzahl Engel auf einer Nadelspitze neu festlegt?
Wer ein formelles Paralleluniversum managt bekommt zurecht nur formelle Anerkennung
Wer im Trainingsanzug Sportschau guckt – ist noch kein sportlicher Typ. Wer Prozesse in Visio malt – managed noch lange keinen Prozess. Lückenlos getrackte Dokumente garantieren kein fehlerfreies Produkt. Was tun, um aus der nur-formellen Welt zu entkommen? Halten wir uns ans QM, überdenken wir die Kundenorientierung. „Für wen machen wir das eigentlich alles?“ ist ein guter Einstieg. Ist bei Ihnen die Antwort „für den externe Auditor“ könnte das ein Ansatzpunkt für Veränderung sein. Ein QM-System, das den Mitarbeitern bei der Arbeit (hochsprachlich: in den Prozessen) hilft, wird nicht in Frage gestellt. Dokumente, die aktuelle und wertvolle Informationen beinhalten, werden geschätzt (noch mehr, wenn sie dynamisch sind, die ‚vielgefragten‘ Items vorne haben…). Müssen bei Ihnen die Kollegen „das QM-System“ neben den Programmen, die sie für die Arbeit brauchen, extra starten? Und das soll das echte Leben sein? Wer sich zu Hause mit einem (1) Log-In auf Rechner, Tablet, Cloud, Heizungsanlage und Garagentor einlogged erwartet das zurecht im Büro auch. Wer einen QR-Code auf dem Glas zu allen Informationen über seinen Senf gewöhnt ist, erwartet das zurecht auch von der Doku zu den Gegenständen des von ihm genutzten betrieblichen Anlagevermögens (vom Bürostuhl bis zum Radlader). Wer beim Senfkauf im Internet seine Erfahrungen zu wahrgenommener Qualität des Prozesses und Reaktions-Geschwindigkeit abgefragt bekommt erwartet das sicher auch vom internen Audit. Kollegen legen die Speisenkarte der Kantine im DV-Tool des QM-Systems ab, um die Klickraten zu erhöhen, manche gar Fußball-Tipp-Spiele? Die Idee, dort (und nur dort) alle relevanten aktuellen Informationen bereit zu halten liegt doch nicht so fern. Apropos Wiki: Kann man dort Informationen ergänzen, bereichern und ggf. ergänztes, bereicherndes, gute Praxis dort finden wird die Nutzungsrate kaum Wünsche offen lassen. Und wenn die Kollegen erst zufrieden sind – vielleicht macht das Qualitätswesen dann tatsächlich auch etwas für die Entscheider? Die Fehlerraten sind im Normalbereich, die Versicherung zahlt ja den Rest – aber würden nicht die internen Aufwände und deren Begrenzung interessieren? Und wenn schon alles klappt: auf die Digitalanzeige in den Meetingräumen für (Anzahl MA x ⊘-Verrechnungssatz in € x Minuten Wartezeit/Meetingdauer) warten viele immer noch. Dann hätte ‚Marketing für QM‘ sogar Leuchtreklame. Na dann…
Über den Autor: Kai-Uwe Behrends
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