Manifest für Agiles Qualitätsmanagement11 | 10 | 16

QMB

Agilität ist in dynamischen Märkten unter turbulenten Rahmenbedingungen ein probates Mittel, ein Unternehmen ergebnisfähig aufzustellen

Agilität bedeutet, in autonomen, interaktiven Netzwerken in schneller Reaktion auf aktuelle und in Proaktion auf antizipierte Bedürfnisse Lösungen und Produkte zu kreieren und zu realisieren. Das klassische Qualitätsmanagement ist in Phasen entstanden und ausgereift, als Unternehmen deutlich stabiler waren oder dafür gehalten wurden. Es wird den heute agierenden agilen Organisationen nicht gerecht. Das ist schädlich, weil das Qualitätsmanagement dort an Akzeptanz und Wirksamkeit verliert und somit auch Defizite bei der Produktqualität entstehen können. Wir brauchen ein agiles Qualitätsmanagement.

Das Manifest für Agile Softwareentwicklung hat einen Entwicklungsschub für die Agilisierung von Unternehmen ausgelöst, nicht nur bei Softwareentwicklern, sondern zunehmend in weiteren Branchen. Methoden wie Scrum und Design Thinking erweisen sich als kulturtransformierend und stark agilitätsförderlich.

Es ist an der Zeit, sich Gedanken zu machen, wie das Qualitätsmanagement für eine Unterstützung agiler Unternehmenskulturen und -strukturen fit gemacht werden kann. Ein erster Schritt als Beitrag zur Diskussion und zur Kommentierung und Ergänzung durch die Fachgemeinschaft ist die Formulierung agiler Grundsätze entlang derer der ISO 9001.

Kundeninteraktion

Das klassische Qualitätsmanagement erkennt die Bedeutung des Kunden an. Es erfragt die Anforderungen und arbeitet auf ihre Befriedigung hin. Im Extremfall gibt es auch nur zwei Kontaktpunkte, beim Erfragen der Anforderungen und beim Erfragen der Zufriedenheit.

Das agile Qualitätsmanagement sucht und managt die kontinuierliche Interaktion mit heutigen und möglichen zukünftigen Kunden. Eng verknüpft mit dem Grundsatz der Iteration beteiligt das Unternehmen die Kunden oder geeignete Repräsentanten großer Zielgruppen aktiv in den Phasen der Ideenfindung, Entwicklung, Realisierung und Nutzung von Produkten.

Dienende Führung

Das klassische Qualitätsmanagement ist für sehr hierarchische Organisationen maßgeschneidert. Agile Organisationen sind hochgradig selbstorganisiert.

In agilen Organisationen lösen sich Hierarchien weitgehend auf. Interdisziplinäre Teams übernehmen entscheidende Rollen und Aufgaben, die Führungskräfte innehatten oder zuwiesen. Kompetenz, Kommunikation und wirkungsvolle Vernetzung in und zwischen Teams machen in agilen Organisationen die enorme Reaktionsgeschwindigkeit bei hoher Ergebnisqualität aus. Dienende Führung stellt Ressourcen, Strukturen und eine Kultur dafür bereit. Verantwortlichkeiten klärt das agile Team situativ.

Interdisziplinäre Vernetzung

Die Einbeziehung von Personen hat das klassische Qualitätsmanagement typischerweise als das Einbeziehen von Experten mit definiertem Kompetenz- und Befugnisportfolio geregelt.

Interdisziplinäre Vernetzung zieht ihre Wirksamkeit aus einem hohen Vernetzungsgrad vieler Organisationsinterner und -externer, unabhängig von ihrer Funktion oder Stellung in Organigrammen. Agile Teams wissen und ziehen hinzu, wen immer sie gebrauchen können. Diese Aktivität ist kaum plan- und steuerbar. Das agile Qualitätsmanagement muss Vernetzung stimulieren und unterstützen.

Evolutionärer Ansatz

Der prozessorientierte Ansatz des klassischen Qualitätsmanagement ist wirkmächtig – für Prozessorganisationen. Projektorganisationen und agile Organisationen haben weitere, zusätzliche Bedürfnisse, um Qualität liefern zu können.

Der evolutionäre Ansatz des agilen Qualitätsmanagement bedeutet, die Balance zwischen Prozessorientierung, klassischem Projektmanagement und agilem Arbeiten auf evolutionärem Weg immer neu zu finden und eine agilitätsförderliche Kultur zu entwickeln. Er unterstützt einen kontinuierlichen Wandel und ermöglicht, Umbrüche zu meistern.

Iteration

Das Bild der schiefen Ebene, auf der ein PDCA-Rad nach oben rollt und KVP-Keile es am Herabrollen hindern, ist eines der am stärksten verankerten Bilder im klassischen Qualitätsmanagement. Darin gibt es kein Zurück.

Iteration heißt, immer wieder bis zu dem Punkt zurückzugehen, ab dem eine Lösung oder Verbesserung überhaupt oder besser möglich ist. Iteratives Vorgehen des agilen Qualitätsmanagement kann mit dem Scheitern gut umgehen, ist sehr experimentell. Es produziert immer wieder ganz neuartige Lösungen.

Knackpunktbasierte Lösungsfindung

Die faktenbasierten Entscheidungsfindung des klassischen Qualitätsmanagement ist ein schöner Traum. Meistens fehlen Fakten oder sie werden bewusst ausgeblendet oder auf eine gewünschte Aussage hin designt. Das Ergebnis erscheint dann wissenschaftlicher, als es ist.

Fakten, Verstehen und Beobachten sind für Lösungen natürlich sehr bedeutend. Am wichtigsten für die Lösungsfindung im agilen Qualitätsmanagement ist es aber, den maßgeblichen Knackpunkt zu finden, der die Designherausforderung benennt, von der ausgehend eine großartige Lösung entstehen kann.

Menschenzentrierung

Beziehungsmanagement ist ein starker Grundsatz des klassischen Qualitätsmanagements, der die Bedeutung der Beziehungen zu den Interessengruppen der Organisation erkennt.

Unternehmen mit agilem Qualitätsmanagement richten sich ganz und gar auf die Bedürfnisse der Menschen aller Interessengruppen aus, wollen jederzeit deren Qualitätsbedürfnisse verstehen und aus diesem Verständnis heraus Qualität in allen relevanten Aspekten erzeugen.

Autoren: Benedikt Sommerhoff und DGQ-Fachkreis Qualitätsmanagement & Organisationsentwicklung, 26. September 2016

 

Weiterbildungsangebote rund um Agiles Qualitätsmanagement

Die DGQ-PraxisWerkstatt: Agiles Qualitätsmanagement zeigt Ihnen, wie Sie als Qualitätsmanager agile Methoden zur Verbesserung der Reaktions- und Leistungsfähigkeit des Qualitätsmanagements einsetzen. Dazu bedarf es ein eingehendes Verständnis agiler Prinzipien und der Kenntnis, die richtigen agilen Methoden und Werkzeuge zur Zielerreichung auszuwählen. Sie verstehen aus Sicht von Qualitätsverantwortlichen das Thema Agilität und die Kernelemente agiler Methoden. Jetzt anmelden »

Über den Autor: Benedikt Sommerhoff

Benedikt Sommerhoff leitet bei der DGQ das Themenfeld Qualität & Innovation. Er beobachtet, analysiert und interpretiert die Paradigmenwechsel und Trends in Gesellschaft und Wirtschaft sowie ihre Wirkungen auf das Qualitätsmanagement. Seine zahlreichen Impulse in Form von Publikationen und inspirierenden Vorträgen geben Orientierung in Zeiten des Wandels. Sie ermutigen zur Neukonzeption des Qualitätsmanagements und der Qualitätssicherung. Gemeinsam mit Expertinnen und Experten des DGQ-Netzwerks aus Praxis und Wissenschaft arbeitet Sommerhoff in Think Tanks und Pionierprojekten an der Entwicklung, Pilotierung und Vermittlung innovativer Konzepte und Methoden.

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