DIN, EN, ISO: Wozu brauchen wir eigentlich Normung?14 | 02 | 23

DIN, EN, ISO, Normung

Erfolgreich sind sie auch, wenn sie unbemerkt bleiben: Normen stellen die Weichen für unseren Alltag, sorgen dafür, dass die Schraube in die Mutter und das Blatt Papier in den Briefumschlag passt. Sie fallen dadurch erst wirklich auf, wenn sie fehlen. Im Alltag wird ihre Bedeutung daher mancherorts unterschätzt. Dabei handelt es sich bei Normen schon immer, aber auch heutzutage – in Zeiten von Megatrends wie Digitalisierung und Nachhaltigkeit – um ein mächtiges Instrument. Stand zu Beginn der Normungstätigkeit im 20. Jahrhundert in erster Linie die Sicherheit von Produkten und Dienstleistungen im Vordergrund, so hat sich die Dimension mittlerweile erweitert: Heute ist Normung auch Wettbewerbsvorteil und Innovationsförderer.

Normung als Innovationskatalysator

Normen setzen Leitplanken für Wirtschaft und Gesellschaft. So dienen sie als eine Art Katalysator für Neuerungen, indem sie einerseits verbindliche Anforderungen und vereinheitlichte Messmethoden vorgeben. Gleichzeitig halten sie aber selbst mit den Neuerungen Schritt und müssen gegebenenfalls entsprechend angepasst werden: So hat etwa der durch die Corona-Pandemie angestoßene Digitalisierungsschub zahlreiche neue Formen der Zusammenarbeit ermöglicht, die nun der Standardisierung bedürfen. Ein Beispiel hierfür ist das Remote Audit, das sich aus ganz praktischen Gründen auch über die Zeit der Pandemie hinaus großer Beliebtheit erfreuen dürfte – und entsprechend der Normierung in Form der Erstellung eines Leitfadens bedarf. Das Normungsvorhaben startete im September 2022.

Gleichermaßen sind auch zahlreiche neue digitale Produkte in den vergangenen Jahren entwickelt worden – Stichwort „Künstliche Intelligenz“ – die nun erst einmal genormt werden wollen. Im Zuge dessen kommt Normungsverfahren auch die Rolle zu, bei Markt und Verbrauchern von Anfang an Vertrauen gegenüber dem Neuem zu schaffen. Schließlich sorgt Normung dafür, dass neue Produkte von hoher Qualität und kompatibel mit bestehenden Systemen sind. Dies steigert die Nutzerfreundlichkeit – und damit auch die Kundenzufriedenheit.

Normung als Instrument für Unternehmen

Unternehmen, die sich in Normungsarbeit einbringen, befinden sich an einer zentralen wichtigen Schnittstelle zwischen Innovation und Wettbewerb: Indem sie einerseits eigene Interessen in die Normungstätigkeiten einbringen und den Markt damit auf eigene Innovationen vorbereiten, steigern sie ihre Wettbewerbsfähigkeit maßgeblich. Umgekehrt werden Unternehmen in dieser Schlüsselposition frühzeitig auf neue technologische wie auch gesellschaftliche Trends aufmerksam. Die Folge: Normung wird zu einem strategischen Instrument. Für Unternehmen bedeutet das: Wer sich in der Normung einbringt, setzt nicht nur Maßstäbe für den Markt im Allgemeinen, sondern investiert auch in den Unternehmenserfolg.

Normung als Weichensteller für den Handel

Aus gutem Grund empfiehlt die Welthandelsorganisation (WTO) in ihrem „Übereinkommen über technische Handelshemmnisse“ die Übernahme internationaler Normen, um den freien globalen Handel zu gewährleisten: Über die Schaffung einer einheitlichen „Wirtschaftssprache“ senkt Normung Handelshemmnisse. Ein komplexes System miteinander harmonisierter nationaler Normenwerke bildet die Grundlage für den funktionierenden Handel auf europäischer wie internationaler Ebene. Mit Blick auf die Wirtschaftskraft einzelner Länder heißt das: Die so hergestellte Kompatibilität neuer Produkte und Dienstleistungen erweitert deren Exportmöglichkeiten um ein Vielfaches.

Das System und die Akteure – Normung in Deutschland

„Mit Normung Zukunft gestalten“ lautet die Vision des Deutschen Instituts für Normung (DIN). 1917 unter dem Namen „Normenausschuss der Deutschen Industrie“ gestartet, steuert das DIN die meisten Normungsprozesse in Deutschland. Rund 36.000 Expertinnen und Experten aus Wirtschaft und Forschung, von Verbraucherseite und der öffentlichen Hand arbeiten gemeinsam in verschiedenen Gremien daran, marktgerechte Normen und Standards zu relevanten Themen zu erarbeiten – und bei Bedarf zu überarbeiten. Gemäß der Grundsätze der Normungsarbeit haben sämtliche interessierten Kreise die Möglichkeit, sich an der Normungsarbeit beim DIN zu beteiligen. Zuletzt bestand das Deutsche Normenwerk aus insgesamt rund 34.000 Normen.

2016 hat das DIN die Deutsche Normungsstrategie verabschiedet. Die Mission lautet: „Normung und Standardisierung in Deutschland dienen Wirtschaft und Gesellschaft zur Stärkung, Gestaltung und Erschließung regionaler und globaler Märkte.“ An der Entwicklung dieser Normenstrategie hat die DGQ im Rahmen eines öffentlichen Konsultationsprozesses mitgewirkt.

Ergänzt wird die Normungsarbeit des DIN durch die Deutsche Kommission Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik (DKE): Während letztere fachlich spezialisiert ist, ist das DIN als Generalist für alle weiteren Normungsvorhaben zuständig.

Neben weiteren Akteuren unter anderem aus Prüfdienstleistern, Akkreditierung und Zertifizierung bilden die deutschen Normungsorganisationen DIN und DKE einen wesentlichen Bestandteil der nationalen Qualitätsinfrastruktur (QI). Aktuelle Bestrebungen, diese in eine digitale QI zu überführen, werden von DIN und DKE sowie der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM), der Deutschen Akkreditierungsstelle (DAkkS) und der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) orchestriert.

Normung auf europäischer Ebene

Vergangenes Jahr hat die Europäische Kommission eine neue Normungsstrategie vorgestellt. Neben der Stärkung der globalen Wettbewerbsfähigkeit der EU zielt sie auf die Förderung einer nachhaltigeren und digitaleren Wirtschaft ab. Normung hat für die Europäische Kommission einen hohen Stellenwert, weil sie die Harmonisierung des Europäischen Binnenmarktes und damit dessen Funktionieren gewährleistet. Auf europäischer Ebene verantwortet das Europäische Komitee für Normung (CEN) die Normungstätigkeiten, gemeinsam mit dem Europäischen Komitee für elektrotechnische Normung (CENELEC) und dem Europäischen Institut für Telekommunikationsnormen (ETSI).

In allen drei genannten Institutionen entsendet Deutschland Vertreter, um die nationale Position in die europäischen Normungsvorhaben einzubringen. Die Stimmgewichtung bei der Abstimmung über europäische Normen geht nach Bevölkerungszahl des entsendenden Landes. Tritt eine europäische Norm in Kraft, sind die CEN-Mitglieder verpflichtet, diese in ihr jeweiliges nationales Normungswerk zu übernehmen; etwaige nationale Normen, die den europäischen entgegenstehen, müssen zurückgezogen werden.

Normung auf internationaler Ebene

Eine Ebene darüber steht die 1947 gegründete Internationale Organisation für Normung (ISO) in der Normungsverantwortung. Die ISO ersetzte nach der Unterbrechung durch den zweiten Weltkrieg die Vorgängerorganisation ISA (International Federation of the National Standardizing Associations). Neben der ISO sind zudem die Internationale Elektrotechnische Kommission (IEC) und die Internationale Fernmeldeunion (ITU) mit der internationalen Normungsarbeit betraut. Äquivalent zur Expertenentsendung ins CEN benennt das DIN auch deutsche Expertinnen und Experten für die Normungsarbeit auf internationaler Ebene an ISO.

Die Zusammenarbeit zwischen europäischer und internationaler Normung, also zwischen CEN und ISO, basiert auf der Wiener Vereinbarung: Diese soll vermeiden, dass es durch parallele Normungsvorhaben zu Doppelarbeit kommt. Stattdessen soll die Facharbeit auf einer Ebene stattfinden. Ziel ist die gleichzeitige Anerkennung einer neuen Norm als ISO- und EN-Norm.

Anders als bei europäischen Normen müssen internationale Normen nicht von den ISO-Mitgliedern in nationale Normen übersetzt werden; die Entscheidung darüber treffen die zuständigen Normungsausschüsse beim DIN.

 

Lesen Sie auch den zweiten und dritten Teil unserer Blogreihe rund um die Normungsarbeit:

Normungsarbeit – wie und warum beteiligen? »

Engagement und Zielsetzung in der Normungsarbeit – welchen Beitrag leistet die DGQ? »

 

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Über den Autor: Thomas Votsmeier

Dipl. Ing. Thomas Votsmeier ist Leiter "Normung/Internationale Kooperationen" und seit 1998 bei der DGQ tätig. Er engagiert sich in verschiedenen Fachgremien bei der European Organisation for Quality (EOQ), der International Personnel Certification Association (IPC), dem Deutschen Institut für Normung und International Standard Organisation (ISO). Unter anderem ist er Obmann des DIN NA 147 – 00 – 01 AA Qualitätsmanagement und Mitglied bei ISO TC 176.