Digital Leadership – Neue Anforderungen an die Führung?27 | 09 | 22
An der Digitalisierung kommt niemand vorbei
An der Digitalisierung und ihren Auswirkungen kommt heutzutage fast niemand mehr vorbei. Neue Technologien und digitale Trends halten Einzug in unsere Gesellschaft und in unsere Wirtschaft. Die Digitalisierung, die auf der IT-, Produkt- oder Prozessebene ansetzt, zeichnet sich dabei durch neue, technologisch getriebene Entwicklungen aus, ohne dabei die Produkte oder Prozesse grundlegend zu verändern. Bekannte Beispiele sind die Einführung von Online-Banking oder von elektronischen Büchern (E-Books). Die mit der Digitalisierung einhergehenden Kernthemen wie Automatisierung, Vernetzung, Big Data oder künstliche Intelligenz sind zentrale Treiber für die digitale Transformation, die unter Nutzung digitaler Technologien tiefgreifende Veränderungen von Prozessen, Produkten und Geschäftsmodellen sowie den dazugehörigen Wertschöpfungsprozessen und damit zusammenhängenden Organisationsstrukturen nach sich zieht. Gleichzeitig entsteht aus der digitalen Transformation ein erheblicher Einfluss auf die Art, wie Menschen in Organisationen (zusammen-) arbeiten. Auch die Art, Unternehmen und Mitarbeiter zu führen, unterliegt dabei einem Wandel. Vor diesem Hintergrund sind Führungskonzepte, die Lösungsansätze für die erfolgreiche Führung in der digitalen Transformation aufzeigen, sehr gefragt.
Digital Leadership in der Literatur
In diesem Zusammenhang wird häufig auf Digital Leadership als adäquates Modell verwiesen, welches aufzeigen soll, wie Führung in Zeiten der digitalen Transformation gestaltet werden kann. Diese vermeintliche Allround-Lösung macht neugierig. Vor allem in den Jahren 2017 bis 2019 wurden – überwiegend deutschsprachige – Bücher und Artikel auf den Markt geschwemmt, die fast ausschließlich aus der Feder von Beratern, Coaches oder Leadership-Experten stammen und sich dem Thema Digital Leadership widmen. Ein Mangel an einschlägiger Literatur herrscht also nicht vor. Aber geht aus der Fülle der Bücher auch hervor, was Digital Leadership genau ausmacht? Welche neuen Erkenntnisse und Entwicklungen aus der Führungsforschung verbergen sich hinter dem Konzept Digital Leadership? Auf Basis einer qualitativen Inhaltsanalyse wurden im Rahmen eines Forschungsprojektes 52 Quellen untersucht und die hierin vertretenen Führungsansätze mit aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen abgeglichen. Je nach Definition und Betrachtungswinkel des Begriffs Digital Leadership wurde auf unterschiedlichste Führungskontexte, Führungsansätze, Management Tools und Führungskompetenzen verwiesen, die wenig trennscharf voneinander betrachtet werden. Die durchgeführte Inhaltsanalyse konzentrierte sich daher auf die digitale Mitarbeiterführung.
Partizipative und beziehungsorientierte Führungsansätze gefragt
Die Ergebnisse der Analyse zeigen, dass sich für das Konzept Digital Leadership noch keine allgemeingültige Definition durchgesetzt hat und verschiedene Quellen verschiedene Führungsansätze mit Digital Leadership in Verbindung bringen.
Häufig wird im Sinne eines „One Size Fits All“-Ansatzes der Eindruck erweckt, dass Führungskräfte im Rahmen von Digital Leadership in der Lage sein müssen, sich auf das gesamte Spektrum der Führungskontexte und alle möglichen Führungsansätze gleichzeitig einzustellen. Diese Anforderungen überfrachten Führungskräfte mit nicht realisierbaren Erwartungen und sind wenig geeignet, hilfreiche Orientierung zu bieten.
Dennoch lassen sich Schwerpunkte erkennen, da die Handlungsempfehlungen sich mehrheitlich an partizipativen und beziehungsorientierten Führungsansätzen, wie der geteilten Führung und der Theorie der transformationalen Führung, ausrichten. Die Führungsansätze, die gemäß Literatur im Rahmen von Digital Leadership empfohlen werden, sind nicht neu. Aktuelle vielversprechende Ansätze der Führungsforschung finden sich hingegen kaum oder gar nicht in der analysierten Literatur wieder. Dabei lohnt es sich, diese neueren Ansätze der Führungsforschung in das Führungsrepertoire aufzunehmen. Dazu gehören insbesondere die Soziale Identitätstheorie der Führung und das Super Leadership Modell.
Soziale Identität als Startpunkt für Digital Leadership
Die bewusste Schaffung einer sozialen Identität für das Team steht im Mittelpunkt des Führungsansatzes „Soziale Identitätstheorie“. Pragmatisch werden vier Prinzipien genannt, mit denen es gelingt, ein Wir-Gefühl zu schaffen und damit Werte zu transportieren. Dank dieser gemeinsamen Werte ist es dann nicht mehr notwendig, einzelne Handlungen zu kontrollieren, da alle Teammitglieder sich engagiert dafür einsetzen. Stattdessen ist es Aufgabe der Führungskraft, mit team- und vertrauensbildenden Maßnahmen das Team zu unterstützen und arbeitsfähig zu halten.
Über die Autoren:
Prof. Dr. Patricia Adam ist Professorin für International Management und Expertin für Organisationsentwicklung. Sie ist Mitglied der DGQ und nebenberuflich als ISO 9001-Auditorin der DQS GmbH sowie EFQM-Assessorin weltweit unterwegs, um Organisationen und deren Managementsysteme zu begutachten. In ihrem letzten Forschungsprojekt hat sie bewiesen, dass Agilität gut in ein Managementsystem nach ISO 9001 passt, wie im essential „Agil in der ISO 9001“ nachlesbar.
Joana Kapsalis ist bei der Airbus Aerostructures GmbH in Hamburg tätig. Im Produktionsbereich der A320-Familie ist sie verantwortlich für die Leitung einer Montagelinie in der modernsten Strukturmontagehalle Europas. Der Umgang mit neuen Technologien und ihren Auswirkungen zählt zu ihren täglichen Handlungsfeldern.