Das QM und die Perfektion4 | 06 | 25

Das QM und die Perfektion

Perfektion heißt Vollkommenheit, Vollendung. Endstation und Ziel aller kontinuierlichen Verbesserung? Perfektion ist gleichzeitig Überheblichkeit und Sehnsucht. Was ist so perfekt, dass es nicht noch besser werden könnte? Was ist so perfekt, dass alles Optimieren endlich ein Ende hat?

Jeder Mensch hat hoffentlich schon mindestens einmal einen perfekten Tag erlebt, ein perfektes Date genossen, ein perfektes Frühstück eingenommen, das perfekte Spiel gespielt. Es ist weitgehend unsere Entscheidung, ob Perfektion ein „Moving Target“ bleibt, ein nie erreichbares Ziel, oder ob wir etwas, ein Ding, eine Situation, eine Beziehung, ein Erlebnis als vollkommen bewerten wollen. Perfektion besteht subjektiv auch dann, wenn wir mit dem Guten, was wir haben, glücklich und zufrieden sein können. Perfektion ist im doppelten Sinne Einstellungssache.

Geben wir alles, um ein Ergebnis perfekt zu machen? Sind wir bereit, etwas Hervorragendes als perfekt wertzuschätzen?

Das Auswahlparadox oder warum zu viel Gutes unglücklich macht

Stehen viele Alternativen zur Wahl, fällt uns eine Entscheidung schwerer oder gar unmöglich oder wir bereuen eine getroffene Entscheidung eher, ja, sie kann uns sogar unglücklich machen. Das bezeichnet man als Auswahlparadox, die englischen Bezeichnungen sind Overchoice oder Choice overload. Und in unserer vernetzten Welt ist es zu allem und jedem ganz einfach möglich, die Alternativen kennen zu lernen. Nicht nur bei Urlaubszielen, Automobilen, Arztpraxen und Restaurants. Auch bei der Partnersuche. Wie viele Menschen können sich nicht binden, weil sie nicht aufhören, nach jemand hübscherem, jüngerem, sportlicherem, reicherem und – natürlich – jemand mit noch mehr und besseren inneren Werten zu suchen. Das Auswahlparadox entsteht auch aus einer Suche, die nie endet, nach einer Perfektion, die nie erreicht wird.

Gut genug ist nicht perfekt

Dennoch müssen wir uns davor hüten, gut genug mit perfekt zu verwechseln. So weise, wie es in vielen Lebenssituationen ist, das erste Beste zu wählen, so wichtig ist es zu wissen, wann und warum wir darüber hinausgehen wollen oder müssen. Einige Prozesse und Produkte müssen – nach heutigem Stand der Technik – perfekt sein. Dazu zählen Premiumprodukte sowie auch sicherheitsrelevante Produkte. Deren Perfektion erfordert einen enormen Aufwand und große Disziplin.

In Management und Qualitätsmanagement kam vor einigen Jahrzehnten der Begriff „Excellence“ in Gebrauch, insbesondere in den Kombinationen „Operational Excellence“ und „Business Excellence“. Die EFQM, die ursprünglich European Foundation for Quality Management hieß, brachte den Begriff Excellence ins Qualitätsmanagement ein. Perfektion hin, Excellence her: Im Qualitätsmanagement sollten wir klar unterschieden, wann wir etwas gut genug oder so gut wie möglich machen müssen.

Lob der Einfachheit

Manches ist einfach perfekt. Vieles heute ist aber gar nicht einfach, so völlig überzogen, dass es keine Chance auf Perfektion hat. Wobei, überzogen sagt ja niemand zu seinen Produkten und Prozessen, das heißt dann komplex. Wenn es denn nicht anders geht, dann können Produkte und Prozesse durchaus zu Recht komplex werden. Aber so manches, das erst verkompliziert und dann verkomplexiert wurde, hätte einfach bleiben können und wäre mindestens gut genug gewesen oder sogar einfach perfekt.

 

Meine DGQ-Blogserie 2025 „Das QM und die …
Das Qualitätsmanagement betritt viele unterschiedliche Felder, behandelt viele verschiede Themen und benötigt Wissen aus vielen Gebieten. In meiner DGQ-Blogserie „Das QM und die …“ sinniere ich über zwölf Begriffe und ihre Bedeutung für das QM und im QM. Dabei möchte ich immer auch auf die Bedeutung für Praxis und Umsetzung im Unternehmen eingehen. Eines ist klar, die wenigen Zeilen eines Blogs können interessante Impulse setzen, doch die Themen nie umfassend behandeln. Deshalb werden wir vertiefende Ausarbeitungen in DGQ Impulspapieren, den DGQ Mitgliederwebinaren der Reihe „Chili-con-Q“ und QZ Artikeln publizieren.

Über den Autor: Benedikt Sommerhoff

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Benedikt Sommerhoff leitet bei der DGQ das Themenfeld Qualität & Innovation. Er beobachtet, analysiert und interpretiert die Paradigmenwechsel und Trends in Gesellschaft und Wirtschaft sowie ihre Wirkungen auf das Qualitätsmanagement. Seine zahlreichen Impulse in Form von Publikationen und inspirierenden Vorträgen geben Orientierung in Zeiten des Wandels. Sie ermutigen zur Neukonzeption des Qualitätsmanagements und der Qualitätssicherung. Gemeinsam mit Expertinnen und Experten des DGQ-Netzwerks aus Praxis und Wissenschaft arbeitet Sommerhoff in Think Tanks und Pionierprojekten an der Entwicklung, Pilotierung und Vermittlung innovativer Konzepte und Methoden.