Customer Intelligence – Kunden auf Basis von Online-Bewertungen besser verstehen17 | 06 | 20

Customer Intelligence

Digitalisierung als Chance für das Qualitätswesen

Wenn der ominöse Begriff der Digitalisierung im Qualitätswesen auftaucht, denken viele sofort an die Vielzahl an Herausforderungen, die mit dem Thema verbunden sind. „Welche Fähigkeiten und Fertigkeiten benötigen wir zukünftig, wenn die Digitalisierung Einzug in QM und QS gefunden hat? Welche Technologien und Werkzeuge müssen wir als Unternehmen einführen, um mit der Digitalisierung Schritt zu halten?“

Einer der zentralen Aspekte der Digitalisierung rückt dabei leider oftmals zu schnell in den Hintergrund, nämlich warum wir uns überhaupt mit den großen digitalen Datenmengen im Qualitätswesen beschäftigen sollten: Es ist die Vielzahl an Chancen! In erster Linie soll die Digitalisierung in unserem Unternehmen doch dazu dienen, Prozesse zu vereinfachen, zu beschleunigen oder zu stabilisieren, um übergeordnete unternehmerische Ziele zu erreichen. Liegt der Fokus eines Unternehmens beispielsweise darauf, den operativen Gewinn zu steigern, so sollte es diejenigen Chancen der Digitalisierung verfolgen, die zu höheren Umsätzen bzw. reduzierten Kosten führen.

Customer Intelligence – Sprachrohr für die digitale Stimme des Kunden

Belassen wir den Fokus einmal auf den wirtschaftlichen Chancen der Digitalisierung, indem wir uns eine Möglichkeit der Digitalisierung anschauen, die im Qualitätswesen langfristig dazu führen kann, Umsätze zu steigern. Dieses Ziel lässt sich beispielsweise dadurch erreichen, dass Kundenzufriedenheit und Kundenbindung durch eine aktive Analyse und Verbesserung von Online-Bewertungen gesteigert werden: immer mehr Kunden schildern ihre sowohl positiven, als auch negativen Erfahrungen mit Produkten und Dienstleistungen auf unterschiedlichen Online-Plattformen. Zudem teilen sie der Welt ihre Emotionen und persönlichen Wertungen mit. So führt die Digitalisierung in einem ersten Schritt zunächst einmal dazu, dass die Gesamtheit an einzelnen Kunden zu Influencern wird, welche neue Kaufinteressenten als „Follower“ beeinflussen und deren Produkt-, Marken- oder Unternehmenswahrnehmung prägen.

Diverse Studien unterstreichen die Bedeutung von Online-Bewertungen auf die Kaufentscheidung von Kunden: Eine im Jahr 2019 veröffentlichte Untersuchung von SPLENDID RESEARCH zeigt beispielsweise auf, dass über 90% aller Kunden beim Vergleich unterschiedlicher Angebote auf Online-Bewertungen zurückgreifen. Kundenrezensionen in Textform sind dabei mit 74,5% das wichtigste Medium, wenn es um die Kaufentscheidung geht, und damit überraschenderweise wesentlich wichtiger als Sterne- oder Skalenbewertungen, die nur von 59,2% als explizit wichtig erachtet werden.

Online Bewertungsformen

Abbildung 1: Bedeutung unterschiedlicher Formen von Online-Bewertungen auf die Kaufentscheidung (Quelle: SPLENDID RESEARCH)

Die Digitalisierung führt einerseits zu mehr verfügbaren Online-Stimmen der Kunden. Andererseits bietet sie gleichzeitig aber auch dem Qualitätswesen die Möglichkeit, diesen Stimmen im Unternehmen Gehör zu verschaffen. Letzteres lässt sich mithilfe eines Customer Intelligence Ansatzes lösen: Hierdurch wird das Qualitätswesen (oder auch andere Fachbereiche wie Marketing, PR oder Produktmanagement) in die Lage versetzt, Bewertungsdaten und Rezensionstexte von Kunden aus externen (z.B. Online-Bewertungsplattformen) und internen Datenquellen (z.B. Beschwerde-Emails) übergreifend zu analysieren, um im Unternehmen ein besseres Bild von den Erwartungen und Anforderungen der Kunden entstehen zu lassen.

Als Datengrundlage für einen Customer Intelligence Ansatz eignen sich insbesondere Texte und Bewertungen, die Nutzer auf diversen Online-Plattformen hinterlassen und die offen für alle zugänglich sind. Hierbei ist es wichtig zu erkennen, dass es, anders als früher, nicht mehr die Unternehmen sind, welche die Kommunikationskanäle bestimmen. Vielmehr suchen sich die Kunden nach eigenen Vorlieben die Kanäle aus, auf denen sie über Unternehmen und Produkte sprechen wollen. Diese Kanäle können „klassische“ Social-Media-Kanäle (wie z.B. Facebook, Twitter & Co.), aber auch Handelsplattformen oder Fachforen sein.

Wenn ein Unternehmen also mithilfe eines Customer Intelligence Ansatzes in der Lage ist, der Vielzahl an digitalen Online-Stimmen zuzuhören und daraus geeignete Maßnahmen zur Steigerung von Kundenzufriedenheit und Kundenbindung abzuleiten, dann besteht durch die Digitalisierung die langfristige Chance, Umsätze zu steigern und einen Vorsprung gegenüber Wettbewerbern zu wahren.

DSCMI – Ein methodischer Customer Intelligence Ansatz in 5 Phasen

Zum Aufbau eines Customer Intelligence Ansatzes im Unternehmen benötigen wir im Qualitätswesen zunächst ein standardisiertes Vorgehen, um Online-Bewertungen und Texte systematisch zu identifizieren, extrahieren und analysieren zu können. Dies ist erforderlich, damit die verschiedenen Abteilungen im Unternehmen aus den Erkenntnissen geeignete Maßnahmen zur Steigerung von Kundenzufriedenheit und Kundenbindung ableiten können.

Ein geeignetes methodisches Rahmenwerk für einen Customer Intelligence Ansatz stellt der sogenannte DSCMI-Zyklus dar. Dieser baut auf der bekannten Vorgehensweise aus dem Six Sigma Verbesserungsmanagement auf und umfasst den gesamten Prozess von der Zielsetzung einer Analyse von Online-Kundenstimmen bis hin zur Ableitung von Maßnahmen zur Steigerung von Kundenzufriedenheit und Kundenbindung.

DSCMI-Zyklus

Abbildung 2: Der DSCMI-Zyklus als standardisierte Vorgehensweise einer Customer Intelligence

(1) Define: Zielsetzung definieren

Im ersten Schritt werden zunächst die Zielsetzung sowie der Umfang der Analysen definiert. „Zu welchen Produkten sollen Bewertungen untersucht werden? Sollen auch Bewertungen von Wettbewerbern analysiert werden? Welche Sprachen sind relevant?“ Diese und weitere Fragen helfen in einem ersten Schritt herauszufinden, was man denn eigentlich mit dem Customer Intelligence Ansatz herausfinden möchte.

(2) Search: Plattformen identifizieren

„Wo wird denn überhaupt über mein Unternehmen gesprochen?“ Diese Frage lässt sich im Rahmen der Search-Phase beantworten, indem untersucht wird, auf welchen Plattformen verschiedene Online-Bewertungen zum Produkt bzw. zum Unternehmen zu finden sind. Die einfachste Herangehensweise ist hier: Google aufrufen, Produktname + „Bewertung“ eingeben und Suchergebnisse durchforsten.

(3) Crawl: Daten extrahieren

Um bei der Vielzahl an Bewertungsplattformen nicht den Überblick zu verlieren, ist es hilfreich, die Bewertungen und Bewertungsdaten in eine auswertbare Datenbasis zu überführen. Bei wenigen Bewertungsdaten auf einer Webseite kann dies per Kopieren und Einfügen in eine Excel-Tabelle geschehen. Bei größeren Datenmengen kann auf sogenannte Scraping-Algorithmen und Tools zurückgegriffen werden.

(4) Mine: Daten analysieren

Anschließend geht es darum, die extrahierten Bewertungsdaten zu analysieren. „Wie viele Bewertungen wurden in den letzten Monaten verfasst? Welche Themen sprechen die Kunden in Ihren (insbesondere negativen) Bewertungen an? Wie hoch ist die Quote negativer Bewertungen?“ Diese und noch viele andere Fragen können nun datenbasiert anhand der vorliegenden digitalen Online-Stimmen beantwortet werden.

(5) Improve: Verbesserungen einleiten

Auf Basis der zuvor gewonnenen Erkenntnisse und des erweiterten Kundenverständnisses können im letzten Schritt gemeinsam mit unterschiedlichen Abteilungen Verbesserungen eingeleitet werden. Beispielsweise kann gemeinsam mit der Produktentwicklung oder dem Produktmanagement überlegt werden, wie sie die Produkte des Unternehmens noch besser auf die Wünsche und Erwartungshaltungen der Kunden abstimmen können. Hierdurch besteht die eingangs angesprochene Chance, die Kundenzufriedenheit und Kundenbindung zu erhöhen und somit höhere Umsätze zu erzielen.

Customer Intelligence – Tools und Know-How dürfen nicht fehlen

Die methodische Vorgehensweise nach dem DSCMI-Modell ist allgemein durchführbar, unabhängig davon, wie umfangreich die zu analysierende Datenmenge ist. Geht es jedoch darum, größere Mengen an Online-Bewertungen mit Texten von unterschiedlichen Plattformen zu untersuchen, benötigt man geeignete Werkzeuge, um die Datenflut zu beherrschen. Hier gibt es eine Vielzahl an neuen Technologien aus den Bereichen Web-Scraping, Text Mining und Computerlinguistik, die es erlauben, große Mengen an Texten und Bewertungen übergreifend auszuwerten. Hierzu zählen beispielsweise Topic Modeling Algorithmen zur Analyse von Gesprächs- und Diskussionsthemen in großen Textsammlungen oder auch automatisierte und KI-gestützte Verfahren zur Bestimmung des sogenannten Sentiments, sprich: Ist ein Kommentar als positiv, neutral oder negativ einzustufen.

Die vorgenannten Werkzeuge machen schnell deutlich, dass wir zum erfolgreichen Aufbau einer Customer Intelligence nicht nur Technologien benötigen, sondern auch entsprechend qualifiziertes Personal, welches die Analysen durchführt und die einzelnen Tools bedienen kann. Hier zeichnet sich in Ansätzen ab, wie sich das Aufgabengebiet (und damit auch die notwendigen Kompetenzen) im Qualitätswesen zukünftig verändern, wenn man die Chancen der Digitalisierung nutzen möchte. Die Fertigkeit, relevante Informationen aus großen Datenmengen zu extrahieren und für unternehmerische Zwecke aufbereiten zu können, spielt dabei gewiss eine zentrale Rolle. Somit entstehen dann auch die eingangs angesprochenen Herausforderungen, die jedoch nun im Lichte der Chancen betrachtet werden können, die sich aus der Digitalisierung im Qualitätswesen ergeben.

Fazit

In der digitalen Online-Welt schwirrt eine Menge qualitätsrelevanter Erkenntnisse unserer Kunden umher. Wir müssen sie nur finden, mit vertretbarem Aufwand auswerten und die richtigen Schlüsse daraus ziehen. Ein moderner Customer Intelligence Ansatz stellt hierfür einen wichtigen Baustein dar. Erste Schritte sind vergleichsweise schnell gemacht. Auch muss das QM hier nicht auf sich allein gestellt agieren – viele Marketingbereiche oder PR-Abteilungen nutzen zunehmend derartige Quellen. Gemeinsam mit Ihnen können sich Qualitätsmanager hier ein wichtiges digitales Lern- und Entwicklungsfeld erschließen.

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Customer Intelligence im Unternehmen gemacht? Welche Potenziale sehen Sie?

Sie sind DGQ-Mitglied und möchten noch mehr zu dem Thema erfahren? Auf DGQaktiv finden Sie die Aufzeichnung eines Webinars mit Dr. Jan Kukulies.

Über den Autor: Jan Kukulies

Dr. Jan Kukulies ist Geschäftsführer der PRS Technologie Gesellschaft, die an der RWTH Aachen neue Ansätze aus dem Forschungsbereich Qualität in praktische Lösungen überführt. Dabei geht er mit seinem Team von social.you der Frage nach, wie neue Ansätze aus den Bereichen Text Mining, Computerlinguistik und künstliche Intelligenz dazu beitragen können, große Mengen an Online-Bewertungen und Kommentaren zu analysieren, damit Unternehmen ein besseres Bild von ihren Kunden erhalten. Jan Kukulies hat Maschinenbau an der RWTH Aachen studiert und anschließend am Aachener Lehrstuhl für Fertigungsmesstechnik und Qualitätsmanagement promoviert.