Fragen zur Arbeitssicherheit im QM-Audit22 | 08 | 18

Darf der das?

Von „Im QM-Audit haben Fragen zur Arbeitssicherheit nichts zu suchen!“ bis „Arbeitssicherheit gehört zum Managementsystem und wird auditiert!“ gehen die Positionen in der Fach-QMunity auseinander. Zertifizierungsgesellschaften schwören ihre Auditoren ein und loben sich selbst entweder dafür, dass Fragen zur Arbeitssicherheit „selbstverständlich“ oder gerade „selbstverständlich nicht“ im QM-Audit berücksichtigt werden. In beiden Lagern finden sich ausgewiesene Experten, es geht also nicht wie sonst oft um formale Checklisten-Fans auf der einen und freiheitsgradorientierte Normeninterpretatoren auf der anderen Seite.

Versuch einer Annäherung

Managementsystemstandards sollen (wie andere Normen auch) eindeutig und widerspruchsfrei sein. Das wird auch durch einen klar formulierten Geltungsbereich erreicht: Keine Norm soll regeln dürfen, was schon in einer anderen Norm enthalten ist. Das spürt man in der Regelwerksdiskussion häufig, wenn etwa Wünschenswertes (z.B. ISO 9001 sollte sich auch mit finanziellen oder personalen Aspekten der Unternehmensorganisation beschäftigen) formuliert wird – aber die Gremien auf den engen Scope verweisen (ISO 9001 | 1: beständig Produkte und Dienstleistungen bereitstellen zu können, die die Anforderungen der Kunden und die zutreffenden gesetzlichen und behördlichen Anforderungen erfüllen und die Kundenzufriedenheit zu erhöhen). Liegt der Scope einmal fest, ist er schwerlich zu verändern, weil die Regelwerke sich oft aufeinander beziehen, einander ergänzen. Drehen an einem Rad hätte vielfältige Bewegungen zur Folge. ISO 9001 stellt klar (0.4 drittletzter Absatz): Diese Internationale Norm enthält keine spezifischen Anforderungen anderer Managementsysteme, z. B. Umweltmanagement, Arbeitsschutzmanagement oder Finanzmanagement. Und: Die in dieser Internationalen Norm festgelegten Anforderungen an ein Qualitätsmanagementsystem ergänzen die Anforderungen an Produkte und Dienstleistungen. (ISO 9001 | 0.1 Mitte). Die Forderung ‚behördliche Anforderungen‘ zu berücksichtigen bezieht sich aus dem Geltungsbereich heraus (ISO 9001:2015 Abschnitt 1 a + b) ausschließlich auf das Produkt/die Dienstleistung der Organisation (also nicht etwa auf ‚alle‘ geltenden Vorschriften). Bis hierhin gilt: Fragen zur Arbeitssicherheit haben erstmal nichts im QM-Audit nach ISO 9001 zu suchen. Außer, Sie erstellen personenbezogene Dienstleistungen (etwa Weiterbildung), bei denen Arbeitssicherheitsaspekte Teil der Leistung sind (z.B. Maschinenscheine im Holzhandwerk, Staplerschein). Aber auch in diesem Fall richten sich die behördlichen Aspekte auf ‚das Produkt‘ und dem Wesen nach nicht auf die innere Organisation. Auch wenn sie auf diese wirkt trägt der unterweisende Meister Sicherheitsschuhe nicht ‚wegen ISO 9001‘ sondern aus Gründen der Glaubwürdigkeit und Akzeptanz. Also:

ISO 9001 fordert keine spezifischen Arbeitssicherheitsaspekte

Allerdings kann der Umgang mit den (öffentlich-rechtlichen oder auch betrieblich gewillkürten) Vorgaben des Arbeitsschutzes starke Aussagen zum Funktionieren eines Managementsystems beinhalten.

Der ‚Produktionsfaktor operative Arbeit‘ kann in abstrakten Betrachtungen der Betriebswirte vielleicht eingekauft werden wie Rohstoffe, Halbzeuge oder Anlagenteile. Im wirklichen Leben ist seit Bismarcks Zeiten bekannt, dass er einer gesonderten Betrachtung bedarf. Das Zusammenwirken mehrerer Arbeitnehmer war eine frühe Erscheinungsform von Emergenz in den Unternehmen, betriebliche Mitbestimmung und Sozialpartnerschaft die Antwort in unserer Gesellschaftsordnung darauf. Zunehmende Produktivität hat den kleiner werdenden Teil operativer Arbeit in jedem Produkt immer wertvoller gemacht (was wir auch mit der relativen Verteuerung von Dienstleistungen erleben – in 40 Stunden wird ein kompletter Golf montiert oder ein Viertel nötiger Pflegezeit bei Pflegebedürftigen abgedeckt). Zwingende ökonomische Gründe für eine gesonderte Betrachtung des Faktors ‚Arbeit‘ wie der Fachkräftemangel resp. der Druck, als guter Arbeitgeber erscheinen zu müssen um attraktiv zu bleiben, werden zurzeit stärker wahrgenommen. Werte-orientierte Unternehmen gehen schon länger davon aus, dass man es im Betrieb mit Menschen, und nicht nur einem besonderen Produktionsfaktor zu tun hat. Zu deren besonderen Bedürfnissen gehören Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit, daher sind diese auch Bestandteil jeder ernsthaften Betrachtung von Wirksamkeit und Angemessenheit des Systems zum Lenken und Leiten der Produktionsprozesse hinsichtlich Erfüllung der Anforderungen (kurz: ‚Audit‘).

Die Arbeitsbedingungen gehören zum Produktionsprozess

Sicherheit und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer (SGA) sind ein gutes Beispiel für Erwartungen interessierter Parteien (ISO 9001 | 4.2). Sind diese erkannt, sind sie bewertet worden? Das kann man auch anhand der Umsetzung von SGA-Forderungen herausfinden. Nicht, weil ISO 9001 Arbeitssicherheitsaspekte forderte, sondern weil Gesundheitsschutz bei der Arbeit eine wesentliche Anforderung mehrerer interessierter Parteien (Arbeitnehmer, deren Familien, Behörden, reputationsabhängige Gesellschafter) sein kann.

Die gesetzlichen Vorgaben für ausführende Tätigkeiten sind ein gutes Beispiel der ‚Eingaben für einen Prozess‘ (ISO 9001 | 4.4.1 a). Bspw. darf vor einer Gefährdungsbeurteilung (inkl. psychischer Belastungen) in Deutschland keine Tätigkeit aufgenommen werden (§5 Arbeitsschutzgesetz). Wird diese Prozessvorgabe auch eingehalten? Mit dieser Frage beleuchtet man indirekt zwar den Arbeitsschutz, im Wesentlichen aber die Norm-Frage nach der Zusammenstellung der Prozessinputs.

Die oberste Leitung muss relevante Führungskräfte unterstützen, deren Verantwortungsbereich deutlich machen (ISO 9001 | 5.1.1. j). Zum Verantwortungsbereich eines Vorgesetzten gehört in Deutschland auch die Gefährdungsermittlung, Gefährdungsbeseitigung, Unterweisung, Korrektur, Wirksamkeitsprüfung im Arbeitsschutz (DGUV Vorschrift 1, Grundsätze der Prävention). Funktioniert diese Führungsarbeit? Das kann man sehr gut mit der Frage nach Gefährdungsbeurteilung oder Pflichtunterweisung oder Hautschutzplänen herausfinden. Auch anhand von Arbeitssicherheitsaspekten kann man also im Audit erfahren, ob Führungskräfte ihre Verantwortung wahrnehmen.

Arbeitssicherheitsaspekte können Auskunft geben, ob die Organisation funktioniert

In Planung/Risiken (ISO 9001 | 6.1.1 c) fordert die Norm, unerwünschte Auswirkungen zu verhindern – das kann man auch nachweisen mit Antworten auf Auditfragen zu Unfällen und berufsbedingten Fehltagen. Selbstverständlich kann hier nach Umsatzeinbußen, Reklamationen, Fluktuation, Wissensverlust gefragt werden – aber auch nach dem betrieblichen Unfallgeschehen.

ISO 9001 | 7.1.4 beinhaltet die Prozessbedingungen (von Stress über Temperatur, Licht, Luft und Hygiene), den Stand der Technik dazu bilden die nationalen Arbeitsschutzregeln. Nach den Prozessbedingungen zu Fragen deckt sich unmittelbar mit einer Normforderung.

ISO 9001 | 7.1.6 Wissen der Organisation: Die Organisation muss das Wissen bestimmen, das benötigt wird, um ihre Prozesse durchzuführen… – das können Verfahren, Methoden, Rezepturen… aber auch Gesundheitsschutzvorgaben sein. Ebenso kann man die Umsetzung der Forderungen zur dokumentierten Information (ISO 9001 | 7.5) natürlich auch anhand Betriebsanweisungen zu Sicherheitsaspekten prüfen.

Bei extern bereitgestellten Prozessen, Produkten und Dienstleistungen (ISO 9001 | 8.4) sind Aspekte der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes bei der Arbeit vielleicht nicht vorrangig im Fokus – aber irgendwann trotzdem ‚mal dran‘? Oft zu beobachten ist ein unredlicher Preisvergleich beim Outsourcen, weil die internen Vorgaben zu SGA einen höheren Ressourceneinsatz erzwingen als bei externen Dienstleistern, die den Arbeitsschutz vernachlässigen/missachten.

Zur Beherrschung der Prozesse (ISO 9001 | 8.5.1 e) gehört auch die Benennung kompetenter Personen einschließlich jeglicher erforderlicher Qualifikation (also auch Befähigungen und Erlaubnisse, die Ihren Ursprung in Arbeitsschutzforderungen haben) sowie (g) die Durchführung von Maßnahmen zur Verhinderung menschlicher Fehler. Ein weites Feld…

ISO 9001 (9.3.2 e) fordert vom Management, die Wirksamkeit der Maßnahmen zum Umgang mit Risiken zu bewerten – das kann man doch sehr gut auch anhand Gesundheitsrisiken für die Arbeitnehmer nachweisen.

In einem prozessintegrierten Managementsystem stellt sich die Frage nicht

Es gilt also zu unterscheiden, ob im Audit nach spezifischen Forderungen eines Managementsystems zu Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit gefragt wird – oder nur anhand solcher Aspekte die Wirksamkeit des QM-Systems betrachtet wird. Angebracht ist letzteres wohl eher in reifen Systemen, wenn die Q-Kernforderungen lange erfüllt sind und weiterer Nutzen gesucht wird. Das weiterzudenken führt zu folgendem Ansatz: ISO 45001 (Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit) passt heut besser zu den Managementsystemen von Qualität, Umwelt, Energie, Datensicherheit als noch die abgelöste BS OHSAS 18001. Da fällt die Entscheidung für ein prozessintegriertes Managementsystem leicht. Die High-Level-Structure macht es Betrieben von der Interpretation über die Auditierung bis zur Dokumentation damit viel einfacher, von parallelen Welten zu einem Managementsystem zu kommen. Und die Verschwendung, sich mit der Frage zu beschäftigen, ob im Audit nach einem irgendeinem Aspekt gefragt werden darf, hat dann ein für alle Mal ein Ende… Na, dann!

 

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Über den Autor: Kai-Uwe Behrends

Kai-Uwe Behrends ist seit 2005 Leiter der DGQ-Landesgeschäftsstelle Nord in Hamburg. Vorher war der studierte Diplom-Volkswirt und -Sozialökonom Fachbereichsleiter und Qualitätsmanagement-Beauftragter einer Bildungseinrichtung mit 100 Mitarbeitern. Er ist Auditleiter der DQS für ISO 9001 und AZAV.

kb@dgq.de 0 40 85 33 78-60

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