Innovation: Hauptsache neu29 | 01 | 16

Fisch

In einer Verlautbarung über die wichtigsten Ergebnisse des Treffens der Mitglieder des ISO/TC 176/SC 2 in Litauen im inzwischen schon fernen Februar 2015 stand zu lesen, dass man sich u. a. darüber einig geworden sei, die Häufigkeit der Anwendung des Begriffs „Innovation“ innerhalb von ISO 9001 im Zug der Revision zu reduzieren. Wenn sich schon die neue Norm mit den „Innovationen“ ausdrücklich zurückhält, dann heißt es: Aufgemerkt!

Ob sich die Mitglieder des Gremiums allerdings seinerzeit dasselbe gedacht haben wie eine Reihe von Sprachbeobachtern, nämlich dass der bereits seit längerer Zeit überbordende, bisweilen fast lustige Gebrauch des Wortes (innovative Neuerungen – neue Innovationen!) mal ein wenig zurückgefahren gehört, ist allerdings nicht überliefert.

Längst fälliger Change

Das Schöne an dem Schumpeter-Begriff „Innovation“ ist, dass man damit gleich drei Sprachen abdeckt, wenn man einmal von der Kleinschreibung der englischen und französischen Versionen absieht. Das weniger Schöne ist in der Tat seine inflationäre Nutzung. Es gibt inzwischen kaum eine Organisation, die nicht für sich in Anspruch nehmen würde, innovativ zu sein. Allerdings: Bei genauerer Betrachtung erweisen sich viele so genannte Innovationen, wenn überhaupt, eher als längst fälliger „Change“ – was unter einem anderen Blickwinkel betrachtet aber gar nicht schlecht ist. Die notwendige Anpassung oder Veränderung von Strukturen, Produkten oder Dienstleistungen an die Erfordernisse des Marktes muss man schließlich erst einmal unfallfrei hinbekommen.

Die „wahre“ Innovation bleibt hingegen rar. Das liegt u. a. daran, dass Innovation in ihrer Wechselwirkung mit der dafür notwendigen Kompetenz als reichlich komplexer Prozess aufgefasst werden muss. Der beginnt mit einer Idee, die über viele Entwicklungsstufen zunächst z. B. in eine Erfindung mündet. Das allein reicht aber nicht hin, um als echte Neuerung reüssieren zu können. So richtig innovativ wird diese Erfindung nämlich erst, wenn sie auch einen entsprechenden Anwendernutzen hat. Weshalb sich das Innovative bei manchen Organisationen auf die oft aufwändige Außendarstellung beschränkt. Dazu wird der Begriff „Innovation“ nebst seinem Adjektiv gern zur Verschleierung von Banalitäten missbraucht. Was im Übrigen auch dadurch begünstigt wird, dass die tatsächliche Innovationsfähigkeit eines Unternehmens nur schwer zu messen ist.

Innovative Geschäftsfelder besetzen

Wenn von innovativen Prozessen die Rede ist, ist das bisweilen nicht mehr als Imponiergehabe, mit dem eine Organisation ihre Wettbewerbsfähigkeit zu versichern sucht (zu sichern versucht?), ohne dass das Innovative dabei belegt würde. Wem z. B. das ausdrucksstarke Wort „Erfindergeist“ als wesentliche Eigenschaft seiner Organisation zu konkret ist, weil da regelmäßig etwas Neues und gleichzeitig Sinnvolles, Praktikables hervorgeholt werden muss, der greift besser zur „innovativen Kompetenz“. Wer nicht selbst intensiv forscht und entwickelt, sondern eher von anderen forschen und entwickeln lässt, besetzt eben die „innovativen Geschäftsfelder“ oder deckt „innovative Marktkategorien“ ab – was immer dahinterstecken mag.

Dass es bei alldem auch noch zu veritablen Sprach-Crashs kommt, was soll’s. Die bereits angedeutete, gleichfalls nicht seltene Behauptung, man würde mit „innovativen Neuerungen“ den Markt aufmischen, ist ja nicht der einzige Ausrutscher. Auch die „erfolgreichen Innovationen“ führen direkt aufs Glatteis, weil eine erfolglose Innovation ja gar keine Innovation darstellt – denn einer Innovation wohnt der Erfolg gleichsam inne. Am besten ist es ohnehin, wenn man sich mit Adjektiven im Zusammenhang mit den Innovationen zurückhält.

Wie umgehen mit dem ursprünglich lateinischen Terminus? Auch wenn der Begriff samt seiner Derivate häufig den Charakter einer Worthülse hat: Eine gewisse Innovationsfähigkeit ist, auf der Basis eines klugen Innovationsmanagements, durchaus eine wichtige Voraussetzung für dauerhaften Erfolg, wenn nicht eine der wichtigsten. Dass aber so viele Organisationen unentwegt vor Innovation nur so strotzen, ist ebenso unwahrscheinlich wie die Vorstellung, dass sie einen tatsächlich kontinuierlichen Verbesserungsprozess leben könnten. Weshalb z. B. die Autoren von ISO 9001:2015 für die Charakterisierung dieses Prozesses nun lieber zu dem treffenderen Adjektiv „fortlaufend“ gegriffen haben: FVP statt KVP.

Den Begriff „Innovation“ nicht zu verheizen, würde jedenfalls mehr Glaubwürdigkeit schaffen und auch mehr Aufmerksamkeit für den Fall, dass einer Organisation etwas tatsächlich Innovatives gelingt.

Sehr gefragt: Innovations-Rankings

Was sagen eigentlich die einschlägigen Rankings zum Thema Innovation in Deutschland? Wenn es nach dem 2015er Innovations-Ranking von Bloomberg geht, steht Deutschland mit einem dritten Platz hinter Japan und dem Spitzenreiter Südkorea eigentlich noch ganz gut da. Der „Global Innovation Index 2015“ sieht Deutschland dagegen nur auf Platz 12. Der aktuelle „Global Competitiveness Report“ des Weltwirtschaftsforums (WEF), der ebenfalls die Innovationskraft einer Volkswirtschaft in den Vordergrund stellt, führt Deutschland im weltweiten Ranking auf dem 5. Platz.

Und was meinen die deutschen Unternehmen selbst? Die wähnen sich laut „Industrie-Monitor: Innovation 2015“, einer Studie der Staufen AG, weltweit ganz oben, jedenfalls noch. Die Antworten auf die Frage, welches aus ihrer Sicht derzeit das Land mit dem höchsten technologischen Innovationspotenzial sei und wie es im Jahr 2020 möglicherweise aussehen könnte, ergaben für 2015 folgendes Bild: Platz 1 für Deutschland, gefolgt von den USA und China. Die Prognose für 2020: Deutschland tauscht bis dahin seinen Platz mit China, die USA bleiben auf dem zweiten Platz.

 

 

Über den Autor: Peter Blaha

Peter Blaha, geboren 1954 in Frankfurt am Main, ist freier Journalist mit Spezialisierung auf „Managementsysteme“ und „Weinwirtschaft“ und DGQ-Mitglied. Er widmet sich neben der Erstellung von Fachbeiträgen seit jeher (und mit Vorliebe) dem nach seiner Meinung oft viel zu wenig beachteten Phänomen unklarer bis kurioser Formulierungen und Schreibweisen in der deutschen (Q-)Sprache. Wer dabei eine gewisse Nähe zur Argumentation des bekannten Journalisten Wolf Schneider zu erkennen glaubt, liegt nicht ganz falsch.

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