Chefs müssen jetzt (mehr) QM lernen10 | 11 | 15

Leadership

Die Revision von ISO 9001 hat eine Reihe von Änderungen gebracht, nach allgemeiner Einschätzung vor allem Positives, und daran soll hier auch gar nicht gerüttelt werden – im Gegenteil. Auf eines kann man aber gespannt sein: Es ist im Moment noch nicht so recht vorstellbar, wie eine oberste Leitung (im Folgenden: der Chef) mit den neuen, sehr konkreten, vor allem auch stark erweiterten Forderungen aus Kapitel 5 der neuen Norm umgehen will – oder kann.

Es geht um die „Rechenschaftspflicht“ für das Qualitätsmanagementsystem, das nun auf der obersten Leitung „lastet“. Jemand, der Rechenschaft ablegen muss, sollte natürlich genau wissen worüber. Wird nun der (formal abgeschaffte) QMB künftig nicht mehr der einzige sein, der sich mit dem QM-System des Unternehmens so richtig auskennt? Was muss der Chef tatsächlich wissen oder tun, damit er die neu erworbene „Rechenschaftspflicht“ erfüllen kann?

Natürlich ist das erst einmal eine Unterstellung, nämlich dass sich Chefs mit ihrem QM-System nicht wirklich auskennen; jedenfalls war aber das Interesse an diesem Thema, zumindest in der Vergangenheit, oft nicht eben überschwänglich. Vielleicht ist es gut, erst einmal zu schauen, was mit „Rechenschaftspflicht“ möglicherweise gemeint ist:

“Top management shall demonstrate leadership and commitment with respect to the quality management system by … a) taking accountability for the effectiveness of the quality management system;”

„To take accountability“ heißt auf Deutsch zunächst „Verantwortung übernehmen“; „accountability“ meint aber im Englischen (nicht übersetzt auch immer mehr im Deutschen) eine Verantwortung, die man nicht delegieren kann, die man qua (exponierter) Position oder Funktion hat und damit für Fehler, selbst wenn man sie nicht persönlich begangen hat, auch gerade stehen muss. Im Gegensatz zur Verantwortung, die mit „responsibility“ bezeichnet wird, die mehr eine Art Zuständigkeit ist, die jemandem für einen bestimmten Bereich übertragen wird. Wenn da etwas schiefläuft, muss der Verantwortliche (Zuständige) nicht zwingend den Kopf hinhalten.

Ob übrigens „Rechenschaftspflicht“ – was eigentlich auf eine rein juristische Verantwortung zielt – nun tatsächlich das geeignete deutsche Wort für das ist, was die Autoren der Originalfassung gemeint haben, sei einmal dahingestellt, immerhin haben die Forderungen von ISO 9001:2015 keinen rechtlichen Charakter. Auf jeden Fall aber muss der Chef die Verantwortung für das QM-System übernehmen und – das wird mit „Rechenschaft ablegen“ gemeint sein – einem Auditor im Zuge eines Zertifizierungsaudits nachweisen müssen, dass er den Pflichten nachkommt, die sich aus den einschlägigen Forderungen ergeben – anhand von Unterlagen, im persönlichen Gespräch, wie auch immer.

Wenn man sich die nach a) folgenden neun Einzelforderungen (b bis j) aus Kapitel 5.1.1 ansieht, stellt man fest, dass da ganz schön viel „sichergestellt“ werden muss. Das „Sicherstellen“ deutet zwar daraufhin, dass delegiert werden kann. Allerdings ist, um überhaupt delegieren und nachher dem Auditor Rechenschaft über das Ergebnis ablegen zu können, eine ordentliche inhaltliche Durchdringung dieser Forderungen in Bezug auf das eigene QM-System notwendig – es muss in der Chefetage also deutlich mehr gewusst werden, als es nach der alten Norm gefordert wurde.

Wie und woher soll der Chef auf die Schnelle das notwendige Wissen über sein QM-System herbekommen? Wenn man davon ausgeht, dass die Betroffenen ohnehin unter chronischem Zeitmangel leiden und das geforderte Wissen nicht an einem Nachmittag erworben werden kann, wird das vielleicht gar nicht so einfach werden. Kann sich dieser Umstand eventuell sogar als Stolperstein auf dem Weg zum neuen Zertifikat erweisen? Was bietet sich an? Interne Schulungen beim eigenen Qualitätsmanager? Wenn das die Hierarchie zulässt, warum nicht?

 

 

Über den Autor: Peter Blaha

Peter Blaha, geboren 1954 in Frankfurt am Main, ist freier Journalist mit Spezialisierung auf „Managementsysteme“ und „Weinwirtschaft“ und DGQ-Mitglied. Er widmet sich neben der Erstellung von Fachbeiträgen seit jeher (und mit Vorliebe) dem nach seiner Meinung oft viel zu wenig beachteten Phänomen unklarer bis kurioser Formulierungen und Schreibweisen in der deutschen (Q-)Sprache. Wer dabei eine gewisse Nähe zur Argumentation des bekannten Journalisten Wolf Schneider zu erkennen glaubt, liegt nicht ganz falsch.

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