Normung für die Qualität in der Pflege1 | 10 | 25
Während die Nachfrage nach professioneller Pflege steigt, wächst die Zahl der Menschen kaum, die sie leisten können. Technische Assistenzsysteme gelten seit längerem als Hoffnungsträger und könnten eine Schlüsselrolle übernehmen, wenn es um die Qualität und Zukunftsfähigkeit der Pflege geht.
Bereits 2008 veranstaltete der VDE mit dem damaligen Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) den ersten Kongress zu dem Thema. Das Akronym „AAL“ stand damals für Ambient Assisted Living, also Technologien, die insbesondere ältere Menschen in ihrer Umgebung unterstützen. Das Kürzel AAL ist geblieben, doch die Bedeutung hat sich erweitert: Heute geht es nicht mehr nur darum, Senior:innen länger ein selbstbestimmtes Leben zuhause zu ermöglichen.
Das Produkt-Portfolio ist breit und reicht von SmartHome-Anwendungen über Teilhabe-Apps, vernetzte Sensorik für die Pflege bis zu Lebensrettern wie dem intelligenten Hausnotruf. Passenderweise spricht man heute von „alltagsgerechten Assistenz-Lösungen“. Denn sie bieten Unterstützung unabhängig vom Alter – und sind damit weit mehr als reine „Senioren-Technologien“.
Alltagsgerechte Technologien für die Pflege-Praxis
Der Erfindungsreichtum und die Innovationskraft in dem Feld spiegeln die Erwartungen und Bedarfe, die mit dem demographischen Wandel steigen. Das hat seinen Preis: Viele intelligente Systeme können nicht miteinander kommunizieren und sind dadurch Insellösungen oder wurden ohne Einbeziehung der Pflegenden entwickelt. Dadurch stoßen sie im Alltag auf Widerstände – und ihr Potenzial bleibt häufig ungenutzt.
An dieser Stelle kommt die Normung ins Spiel. Sie bringt die unterschiedlichen Player, wie Hersteller, Dienstleister, Nutzer:innen, Forschung, an einen Tisch und bietet einen neutralen Knotenpunkt, an dem paritätisch nach guten Lösungen gesucht wird. Ein gemeinsamer Sprachraum entsteht, in dem Standards definiert und Lösungen entwickelt werden, die praktikabel und alltagstauglich sind. Oft beginnt dieser Prozess mit simplen Fragen: „Sprechen wir eigentlich von demselben? Verwenden wir die gleichen Begriffe?“ So banal das klingt, genau hier entscheidet sich, ob ein System später auch Akzeptanz findet.
Woher kommt das Geld?
Einige Assistenzsysteme mögen die Erwartungen der Anwender:innen erfüllen, den Pflegeprozess unterstützen und die Qualität verbessern. Aber sie kosten Geld und es mangelte bisher an der dauerhaften Finanzierung. Dafür wären eigentlich die Pflegekassen zuständig, die Pflegebedürftige mit den erforderlichen Hilfsmitteln versorgen. Doch im Katalog für Pflegehilfsmittel klaffte bisher bei den Assistenzsystemen eine Lücke. Ausnahmen waren nur Hausnotruf-Systeme und Sturzmatten.
Die Gründe dafür, dass es die AAL-Systeme nach beinahe zwei Jahrzehnten noch immer nicht in den Pflegehilfsmittel-Katalog der Kassen geschafft hatten, sind vielfältig. Eine Ursache ist, dass Technik, Pflege und Gesundheitspolitik unterschiedliche Sprachen sprechen, vor allem wenn es um niedrigschwellige Assistenzsysteme geht. Das hat zum Beispiel dazu geführt, dass es trotz gesetzlicher Grundlage bisher keine Digitale Pflegeanwendung (DiPA) in die dauerhafte Finanzierung durch die Kassen geschafft hat. Als Alternativen gibt es nur den zweiten Gesundheitsmarkt, der aber keine dauerhafte und nachhaltige Finanzierung sicherstellen kann.
Eine Meile mit Steinen
Anders sieht es im Bereich der Pflegehilfsmittel aus. Seit diesem Jahr bewegt sich endlich etwas. In Normungsgremien der Deutschen Kommission Elektrotechnik (DKE) wird derzeit eine Vornorm für AAL-Systeme erarbeitet, an der auch die Deutsche Gesellschaft für Qualität (DGQ) beteiligt ist. Die dort entwickelten Konzepte sind auch für die Pflegekassen verständlich – und genau das zeigt Wirkung:
Auf Initiative der DGQ wurden modulare Assistenzsysteme in das Pflegehilfsmittelverzeichnis aufgenommen. Damit gibt es nach fast 20 Jahren erstmals eine echte Chance, dass Leistungserbringer in der Pflege eine dauerhafte Kostenübernahme mit den Kassen regeln können. Parallel sorgt die entstehende Norm für klare Qualitätskriterien, die den Markt transparenter machen und Sicherheit und Vertrauen schaffen.
Das sind zwei Meilensteine für die Qualität in der Pflege. Außerdem unterstützt die Normung den Markt durch das Zusammenbringen der Player und verbessert damit die Akzeptanz von Assistenzsystemen. Das ist schließlich die Voraussetzung dafür, dass sie überhaupt im Markt angenommen werden. Der Weg dahin war steinig.
Wenn alle dieselbe Sprache sprechen
Normung kann nach wie vor und sogar für die Pflege viel bewirken. Das Beispiel der Assistenzsysteme zeigt, dass „Integration“ dabei ein Erfolgsfaktor ist: Das Zusammenwirken der System-Partner, das die DGQ mit der „integrierten Sicht der Qualität“ vertritt. Sie bezieht neben Systemen, Strukturen und Prozessen auch die Anforderungen aller Anspruchsgruppen ein. Das ist ein entschieden demokratischer Prozess.
Und schließlich ist es mit der Normung wie mit den Assistenzsystemen: Sie entwickeln die größte Wirkung, wenn an den Schnittstellen die Verständigung passt.
Teilnahme am DGQ-Fachkreis Qualität in der Pflege Der DGQ-Fachkreis Qualität in der Pflege hat sich zum Ziel gesetzt, die interdisziplinäre Vernetzung und den sektorenübergreifenden Austausch zu aktuellen fachbezogenen Themen zu fördern. Der Fachkreis versteht sich als engagierte und dynamische Gemeinschaft von DGQ Mitgliedern, die sich leidenschaftlich für die Förderung von Qualität und Innovation in der Pflege einsetzen. Er vertritt eine integrierte Sicht der Qualität, indem die Bedürfnisse der Menschen in den Mittelpunkt gestellt werden. Wenn Sie Interesse an einer Mitarbeit im DGQ-Fachkreis Qualität in der Pflege haben, informieren Sie sich hier. |
Über den Autor: Holger Dudel
