Zum Status und den aktuellen Herausforderungen der Konformitätsbewertungsstellen in Deutschland aus Sicht des Verbands der akkreditierten Zertifizierungsstellen e.V.26 | 09 | 25
Dieser Text soll sich mit den Herausforderungen beschäftigen, denen sich Konformitätsbewertungsstellen (KBS) für Managementsysteme in Deutschland im Jahr 2025 stellen müssen und wie der Verband akkreditierter Zertifizierungsstellen e.V. (VAZ e.V.) seine Mitglieder dabei unterstützt.
Einleitend soll noch einmal das Ziel, das mit akkreditierter Zertifizierung von Managementsystemen erreicht werden sollte, in Erinnerung gerufen werden:
Akkreditierte Zertifikate sollen den Marktteilnehmern einen objektiven Nachweis an die Hand geben, dass das zertifizierte Unternehmen die Anforderungen der Norm (zum Beispiel ISO 9001:2015 oder ISO 45001:2018) umgesetzt hat und Produkte und Dienstleistungen in einem geeigneten Umfeld produziert bzw. erbracht werden.
Unternehmen sollen in die Lage versetzt werden, ihre Dienstleistungen und Produkte zu vermarkten, ohne, dass ihre Kunden vor Vertragsunterzeichnung ein Lieferantenaudit oder eine Prüfung vor Ort durchführen mussten.
Man kann es so formulieren, dass akkreditierte Zertifizierung den internationalen Waren- und Dienstleistungsverkehr, wie wir ihn heute kennen, mindestens erleichtert, wenn nicht überhaupt ermöglicht hat.
Wertigkeit von akkreditierten Zertifikaten
Damit dieses Ziel erreicht werden kann, braucht es das Vertrauen in alle am Zertifizierungsprozess beteiligten Personen und Organisationen, dass diese übergreifend nach gleichen Kriterien arbeiten. Dieses sollte durch die entsprechenden Normen (zum Beispiel: ISO 17021-1:2015), internationalen Regeln für akkreditierte Zertifizierung (zum Beispiel EA 1/22 oder IAF MD 5) und das Zusammenspiel von Auditierung, Zertifizierung, Akkreditierung und Peer Evaluation geschaffen werden.
Leider muss festgestellt werden, dass dieses Vertrauen über die Jahre erodiert ist. Zeitgleich waren folgende Sachverhalte zu beobachten:
- Die Normen sind nicht mehr so präskriptiv, wie sie es am Anfang waren. Deswegen gibt es deutlich mehr Interpretationsspielraum und -bedarf, der eben auch zu unterschiedlichen Erwartungen führen kann.
- Die Anzahl der Abweichungen, die in Audits geschrieben werden, hat über die Jahre abgenommen, obwohl viele Kunden das Gefühl haben, dass die unter den Zertifikaten hergestellten Produkte und Dienstleistungen nicht besser geworden sind.
- Der Notwendigkeit der Beachtung nationaler Gesetze durch die Akkreditierungsstellen wird ein höherer Stellenwert als der internationalen Harmonisierung der Regeln eingeräumt.
Der VAZ e.V. informiert seine Mitglieder über nationale und internationale Entwicklungen, damit diese stets neue Normen und Regeln kennen, ohne in allen Gremien selbst aktiv sein zu müssen. Hierzu sind Vertreter des Verbands und seiner Mitglieder, wie Thomas Votsmeier, Leiter Normung DGQ, zum Beispiel in den Gremien von DIN, ISO/CASCO, EA (European Co-Operation for Accreditation) und IAF (International Accreditation Forum) vertreten und arbeiten an Normen und Regeln mit.
Branchenstandards
Bereits seit einigen Jahren ist eine Entwicklung zu beobachten, die mit dem Rückgang der Wertigkeit der ISO 9001-Zertifikate zeitlich zusammenzufallen scheint. Je stärker die Erwartungen der Kunden der zertifizierten Unternehmen von den Interpretationen der Anwender und der KBS zu bestimmten Normforderungen abweichen, desto mehr Branchenstandards wurden entwickelt. Diese Entwicklung widerspricht zwar dem zu Beginn des Artikels genannten Ziel, ist aber nicht mehr zu übersehen.
Jeder zusätzliche Branchenstandard belastet nicht nur die Unternehmen, da sie oftmals mehr als ein Zertifikat haben müssen. Jeder Kunde verlangt schlicht eines nach dem von ihm bevorzugten Standard (zum Beispiel gibt es in der Lebensmittelindustrie neben ISO 22000 oder FSSC 22000 auch noch IFS und BRC).
Auch die KBS müssen für jede Norm eine eigene Akkreditierung haben, die Auditorinnen und Auditoren qualifizieren und die entsprechenden Kosten tragen.
Personal
In den letzten Jahren zeigt sich, dass nicht nur die Branchenstandards höhere Anforderungen an die Kompetenz aller Beteiligten im Auditprozess stellen. Besonders bei der Deutschen Akkreditierungsstelle (DAkkS) wird zunehmend verlangt, dass die Auditteams von Managementsystemaudits die gleichen Kompetenzanforderungen erfüllen wie die von Produktaudits. Grund scheint zu sein, dass man die KBS als mitverantwortlich für die Produktqualität sieht. Dies führt zu einer massiven Verknappung der Ressourcen und damit zu wirtschaftlichen Konsequenzen auch für die auditierten Unternehmen.
Last but not least darf man nicht vergessen, dass Audits in der Regel bei den Kunden vor Ort stattfinden und die Tätigkeit somit mit Reisen verbunden ist. Dies ist nicht mehr für jeden Mitarbeitenden ein Benefit.
Eine Umfrage von Anfang dieses Jahres unter den Mitgliedern des VAZ e.V. hat belegt, was jeder in der Branche bereits vermutet hat: Die überwiegende Anzahl der Auditorinnen und Auditoren in Deutschland ist über 50 Jahre alt und nur ganz wenige unter 30 Jahre. Hier versucht der VAZ e.V., seine Mitglieder bei der Qualifizierung von neuen Auditorinnen und Auditoren zu unterstützen. Denn neben der grundlegenden Berufserfahrung braucht es Schulungen und diverse Trainingsaudits, die es zu organisieren gilt.
Auch bemühen wir uns, auf die Akkreditierungsstellen und Programmeigentümer einzuwirken, damit die Kompetenzanforderungen nicht überzogen sind, denn ohne Auditorinnen und Auditoren gibt es keine Zertifizierungen.
Berufsbild Auditor Für die Integrität und Zuverlässigkeit von Unternehmen ist das Einhalten von gesetzlichen, behördlichen und normativen Vorgaben und Anforderungen essenziell. Neben dem Feststellen der Konformität können im Rahmen eines Audits unter anderem bewährte Praktiken erkannt, Lücken identifiziert und Optimierungspotenziale aufgedeckt werden. Auditoren können so einen entscheidenden Beitrag für das Unternehmen leisten und haben gute Karriereaussichten in den verschiedensten Branchen. Antworten auf die wichtigsten Fragen finden Sie in unserem Berufsbild zum Auditor:
|
Zusätzlich stellen die gestiegenen Anforderungen an die Abgrenzung von selbstständiger Tätigkeit zu Scheinselbständigkeit in Verbindung mit den stringenten Vorgaben zur Vertragsgestaltung und Auftragsabwicklung der DAkkS die KBS vor Herausforderungen, die die Verfügbarkeit von freiberuflichen Auditorinnen und Auditoren nicht positiv beeinflussen werden.
Wie bereits ausgeführt ist eine regelwerkskonforme Auditdurchführung ohne den Einsatz freiberuflicher Auditorinnen und Auditoren nicht möglich, denn die Anforderungen sind zu umfangreich. Das einzige Positive an der Thematik der Scheinselbständigkeit ist, dass diese auch ausländische KBS und ihre deutschen Tochtergesellschaften trifft, da das SGB IV für alle gilt, die in Deutschland tätig sind.
Der VAZ versucht mit der Grundsatzabteilung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und der Deutschen Rentenversicherung ins Gespräch zu kommen, um die Besonderheiten unserer Branche darzulegen und die sozialversicherungsrechtlichen Rahmenbedingungen genau zu verstehen.
Auch der Einsatz von Angestellten aus der Industrie würde das Problem nicht lösen, da es sich auch hierbei um eine freiberufliche Tätigkeit handelt. Alles, was die Auslastung von festangestellten Auditorinnen und Auditoren erschwert, wird zu einer weiteren Verlagerung in Richtung Freiberufler oder einer Konsolidierung der Branche führen.
Wettbewerbssituation
Der deutsche Zertifizierungsmarkt war schon immer davon geprägt, dass internationale Prüfkonzerne den deutschen KBS Konkurrenz gemacht haben. Dies hat sich mittlerweile noch verschärft, da auch kleinere ausländische KBS hier aktiv sind und diese sich nicht den erhöhten Anforderungen der DAkkS stellen müssen, was zu einer Wettbewerbsverzerrung führt.
DGQ-Qualitätspodcast Folge 50: System unter Druck? Die Realität akkreditierter Zertifizierungsgesellschaften Wie sieht die Realität hinter den Kulissen akkreditierter Zertifizierungsgesellschaften aus? Rolf Percy Herberg gibt im Gespräch mit Natalie Rittgasser Einblicke in ein System, das zunehmend unter Druck gerät. Zunehmende juristische Anforderungen, regulatorische Verschärfungen, Fachkräftemangel und wirtschaftlicher Druck erschweren die Auditpraxis und führen zu immer problematischeren Rahmenbedingungen. Erfahren Sie, welche Auswirkungen diese Entwicklungen auf die Branche haben – und warum ein Umdenken zwingend nötig ist. Jetzt reinhören » |
Wirtschaftlichkeit
Dieser zusätzliche Wettbewerb in Verbindung mit deutlich gestiegenen Akkreditierungskosten setzt den deutschen KBS erheblich zu. Dies wäre normal, wenn die Branche es geschafft hätte, wie andere Dienstleistungsbereiche (zum Beispiel Rechtsanwälte und Berater) ihre Tagessätze kontinuierlich zu erhöhen. Wer sich aber die Entwicklung der Tagessätze seit Beginn der 2000er ansieht, wird erkennen, dass die Tagessätze bis vor wenigen Jahren nicht einmal mit der Inflationsrate gestiegen sind und erst in den letzten Jahren angezogen haben. Diese Preissteigerungen hatten in den meisten Fällen nur das Ziel, die gestiegen internen Personal- und Akkreditierungskosten auszugleichen, sodass die Tagessätze der freiberuflichen Auditorinnen und Auditoren kaum gestiegen sind. Ausgenommen sind hier die Bereiche, in den die Auditoren-Ressource sehr knapp ist, und so deutliche Steigerungen durchgesetzt und an Kunden weitergegeben werden konnten.
Für alle andere Normen führt die Kombination aus steigenden Kosten und stagnierenden Tagessätzen zu einer deutlichen Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der KBS, die bereits einige kleinere Stellen zur Aufgabe gezwungen hat.
Ein Sterben der kleinen und spezialisierten KBS ist weder für die Branche noch die Kundschaft förderlich, denn wir brauchen Spezialisten, damit die generischen Standards angemessen interpretiert werden können. Auch eine Abwanderung von der akkreditierten zur nicht akkreditierten Zertifizierung, so verlockend sie auch sein mag, kann nicht im Interesse der Kundschaft sein, denn dies widerspricht erneut dem Ziel des freien Waren- und Dienstleistungsverkehr.
Rechtliche Anforderungen
Mittlerweile werden nicht nur Zertifikate nach ISO 14001 oder ISO 45001 als Nachweis der Rechtskonformität des zertifizierten Unternehmens gesehen, sondern immer öfter auch durch Kunden und Behörden diese Forderung in ein ISO 9001 Zertifikat hereininterpretiert. Das führt dazu, dass die DAkkS bei Audits im Ausland einen Kompetenznachweis fordert bzgl. der dort geltenden nationalen Gesetzen und Verordnungen, die auf den Geltungsbereich des Zertifikats anzuwenden sind.
Fazit
All diese Herausforderungen zusammen zeigen auf, in welchem Spannungsfeld akkreditierte Zertifizierung in Deutschland angeboten wird. Ein im Juni dieses Jahres von 33 Verbänden unterzeichnetes Positionspapier zeigt deutlich, dass es nicht nur die KBS sind, die sich Gedanken über die Notwendigkeit einer Neuausrichtung der Akkreditierungspraxis in Deutschland machen, sondern dass diese von vielen Verbänden geteilt werden. Das Positionspapier ist auf der Homepage des VAZ e.V. veröffentlicht.
Wie jedes Jahr führt der VAZ e.V. im April 2026 seine Mitgliederversammlung durch, die neben Vorträgen und Workshops zu bestimmten Fachthemen auch erstmalig eine Podiumsdiskussion umfassen wird, die sich mit der Zukunft der akkreditierten Zertifizierung in Deutschland beschäftigen wird. Wir freuen uns, dass wir schon erste Zusagen aus Politik und Industrie haben.
Über den Autor: Rolf Percy Herberg
