Compliance in der Pflege – verstehen wir uns?11 | 09 | 24

Compliance in der Pflege

Sprache verbindet, aber sie gibt uns gelegentlich auch Rätsel auf. Das kennt jede:r: Wir nutzen Worte, von denen wir glauben, dass sie von den Zuhörenden „begriffen“ werden, wenigstens im Kontext. Und dann stellt sich Stirnrunzeln beim Gegenüber ein. Oder es gibt zunächst Kopfnicken, aber die anschließende Frage oder Diskussion zeigt, der Begriff ist vom Zuhörenden ganz anders verstanden, bzw. interpretiert worden.

Kommunikation ist ein soziales Ereignis und Sprache und Wortwahl sind das Vehikel, mit dem man viele Bedürfnisse offenbart.

Mehr als nur ein Wort

Im täglichen – privaten – Leben spiegeln sich also in den gewählten Worten sozialer Status und individuelle psychische Bedürfnisse. Da wir nun einmal Menschen sind, fällt es uns aber schwer, diese Spielregeln für die Sprache im formalen Leben zu reflektieren und entsprechend anzupassen. In der Pflege ist das sprachliche Regelwerk ganz besonders ausgeprägt, ohne dass wir uns darüber immer im Klaren sind. Wer dort einen Begriff zu salopp benutzt, outet sich als fachfremd.

Der pflegebedürftige Mensch ist im Krankenhaus ein Patient, im Hospiz ein Gast und wird in der pflegerisch betreuten Wohnanlage zum Bewohner. Es wäre töricht, diese Person im Pflegeheim Patient:in zu nennen. Und obwohl die meisten Leistungen in der Klinik von Pflegekräften erbracht werden, ist der im Krankenhaus versorgte Mensch in der Pflegesprache dort kein:e Pflegebedürftige.

Kompetenz – vom Können und Dürfen

Auch Qualitäter:innen haben eine eigene Sprache und nutzen Begriffe, die aus deren Fachperspektive eindeutig sind. Das Konzept „Kompetenz“ ist beispielsweise sogar in Normen beschrieben und bedeutet, dass eine Person über Wissen und Erfahrungen verfügt, eine Aufgabe erfolgreich zu lösen. Kompetenz in der Sprache der Qualitäter:innen erwirbt man. Im Rechtsdeutsch ist der Begriff hingegen mit der Bedeutung „Erlaubnis“ belegt. Kompetenzen werden aus juristischer Perspektive also verliehen und Personen mit mehr davon haben folglich weitergehende Befugnisse. Etymologisch gibt es ein – hier lateinisches – Ur-Konzept, aus dem sich dann in den jeweiligen Disziplinen und Fachgebieten eigenständige Bedeutungen geformt haben.

Compliance – vom Wollen und Müssen

So verhält sich das auch mit dem Begriff „Compliance“. Im fachlichen Kontext der Juristerei, von wo der Begriff auch in den allgemeinen Sprachgebrauch gewandert ist, bedeutet Compliance die Befolgung normativer Vorgaben und Gesetzestreue. Ein Verhalten oder Taten, die in diesem Sinne nicht regelkonform sind, stellen gewöhnlich ein Vergehen dar und werden bestraft oder führen zu Maßregelung. Wobei Informelles und Regelverstoß eines gemeinsam haben: sie halten den sozialen Laden zusammen und sind eine Voraussetzung für Innovationen.

Im Gesundheits-Jargon hat sich in Bezug auf die Konsequenzen eine mildere Bedeutung durchgesetzt. Compliance bedeutet dort, dass Menschen bei einer für sie individuell erstellten Therapie mitmachen, dass sie kooperativ sind. Im Kern hat das denselben Ursprung. Es geht um das Erfüllen von Erwartungen.

Unterschiedliche Folgen des Regelverstoßes

Aber im Gesundheitswesen und in der Pflege kommen die Folgen des nicht regelkonformen Handelns eher einer Selbstbestrafung gleich, weil das Nichtbefolgen der Therapie im Normalfall zu einer Verzögerung, Behinderung oder sogar Schädigung der eigenen Gesundheit führt. Darüber hinaus hat es keine Folgen, weder für Freiheit, den Ruf, noch für die Karriere. Eine Maßregelung findet gewöhnlich nicht statt. Die Pflegekraft oder die Ärzt:in wird eventuell sogar die Mühe verstärken oder die Methodik wechseln, um die Compliance bei ihr oder ihm zu erhöhen und schließlich einen besseren Therapieerfolg zu erzielen.

Advantage Q

Qualitäts-Beauftragte haben in Situationen, in denen Begrifflichkeiten wegen ihrer unterschiedlichen Bedeutungen für Verwirrung sorgen, einen Vorteil. Denn sie verfügen über die Kompetenz, die Ursache auch in einem übergreifenden Kontext zu analysieren und zu benennen. Wenn sie die Beteiligten auch noch unterstützen, das gegenseitige Verständnis für die jeweilige Perspektive zu verbessern, profitieren nicht nur Prozesse. Es gibt dann sogar die Chance, die Compliance zu erhöhen.

Über den Autor: Holger Dudel

Holger Dudel ist Fachreferent Pflege der DGQ. Er ist gelernter Krankenpfleger und studierter Pflegepädagoge und Pflegewissenschaftler. Er hat zuvor Leitungsfunktionen bei privaten, kommunalen und freigemeinnützigen Trägern der Langzeitpflege auf Bundesebene innegehabt. Qualität im Sozialwesen bedeutet für ihn, dass neben objektiver Evidenz auch das „Subjektive“, Haltung und Beziehung ihren Platz haben.