Was die Norm nicht revidiert: Unternehmenskultur ist ihr wirksames Korrektiv10 | 10 | 25

Meeting mit drei Personen an einem Tisch

Die ISO-Gremien arbeiten an der Revision der ISO 9001 und viele von uns sind gespannt auf das Ergebnis. Ende 2026 soll es vorliegen. Die Anforderungen an ein Qualitätsmanagementsystem in einer Norm darzulegen, das war 1987 eine echte Innovation. Vier Revisionen gab es seitdem, die fünfte ist im Gange.

Es gibt Themen, über die die Norm spricht und andere über die sie nicht spricht: Kultur gehört zu letzteren. Einmal fällt das Wort kulturell, einmal der Begriff Kultur, und zwar in zwei Anmerkungen des Abschnitt 4.1 „Verstehen der Organisation und ihres Kontextes“. Es zeugt von Klugheit, dass die Autorinnen und Autoren sich der Relevanz Unternehmenskultur bewusst sind und von Weisheit, dass sie das Thema in der Norm nicht vertieft und vor allem nicht mit Anforderungen unterlegt haben.

Ohnehin darf man die 9001 nicht überfrachten, die hat wichtige Funktionen, soll und kann aber nicht alles behandeln oder gar erklären, was bei der Gestaltung und dem Betrieb von Qualitätsmanagementsystemen zu beachten ist. Ihre wichtigste Funktion ist, in globalen, vernetzten Lieferketten die Kompatibilität der kettenübergreifenden Produktentstehungsprozesse und somit deren Qualitätsfähigkeit zu verbessern. Vor 1987 hat da so manches Unternehmen sein eigenes QM-Süppchen gebraut und größere Kundenunternehmen haben versucht, eigene Standards durchzusetzen. Dies führte zu einem Chaos für Lieferanten, die mehreren dieser Kunden dienten. Die gleichen Anforderungen, die gleichen Begriffe, das gleiche Grundverständnis von Qualität und Qualitätsmanagement, die heute in wichtigen Brachen herrschen, sind ein Verdienst dieser Norm.

Um sein individuelles, reifes alltagslebendiges QM-System zu gestalten, kann und muss ein Unternehmen über die Anforderungen der Norm meistens hinausgehen. Unter anderem spielt die Unternehmenskultur eine maßgebliche Rolle für seine Qualitätsfähigkeit. Das wissen wir alle; was nicht alle wissen, ist, welches die genauen Zusammenhänge zwischen dem Managementsystem und der Kultur sind und wie wir auf die Kultur einwirken können.

Die Grafik, fast schon ein Managementsystem-Wimmelbild, stellt einige wichtige Zusammenhänge dar:

Individuelle und kollektives Handeln als Default Systems, Notfallsysteme bei versagendem formalen Managementsysteme

Abb. 1: Individuelle und kollektives Handeln als Default Systems, Notfallsysteme bei versagendem formalen Managementsysteme (© Benedikt Sommerhoff, DGQ)

Die anforderungsbasierten Regeln des Governance-Systems und seiner einzelnen Teilsysteme sowie auch die Menschen der Organisation prägen die Kultur. Wer Aufbau- oder Ablauforganisation, Kommunikations- und Berichtswege ändert, wer Personen austauscht, nimmt damit Einfluss auf die Kultur, die sich daraufhin verändert. Besonders die Kontroll- und Feedbacksysteme sowie Ziel- und Inzentivierungssysteme wirken stark auf kollektives und individuelles Verhalten. Und Verhalten, also Tun und Lassen der Menschen, ist das, worauf es für Qualität ankommt, denn dadurch entstehen gewollte und ungewollte Effekte – oder eben nicht. Das Doset ist dabei wichtiger als das Mindset“.

Revisions-Warm-up: Die Verflechtung von Kultur und Managementsystem

Im kostenlosen Webinar zeigt Benedikt Sommerhoff am 18. November, auf welche Weisen Kultur und Managementsystem miteinander verflochten sind und welche Stellhebel wir haben, um kulturelle Entwicklungen und Veränderungen zu stimulieren. Zu ihnen gehören auch die Regeln des QM-Systems und die Gestaltung der Prozesse, wenn wir lernen, ihre Wirkungen auf die Kultur zu verstehen. Zur Anmeldung »

Fehlanreize („Abreize“), Zielkonflikte, Regelbruch und ungewollte Effekte sind qualitätshemmende Faktoren; positive Anreize, gute Regeln, kollektive und individuelle Werte, klare konfliktarme Ziele und „brauchbarer Regelbruch“ sind wichtige qualitätsfördernde Faktoren.

Versagt das formale System einmal, erzeugt es dysfunktionale, unbrauchbare Regeln oder Zielkonflikte, erzielt es gewollte Effekte nicht oder ungewollte Effekte, sind Kultur und Individuen in der Lage, das zu kompensieren und zu heilen, zwei Schutzebenen, ein Default System I und II zu bilden. Brauchbarer Regelbruch bedeutet Regeln zu brechen, um Qualität zu erzeugen und Regeln nicht einzuhalten, die Qualität beeinträchtigen. Wird das nötig, gilt es die Regeln oder Umstände, unten denen sie versagten zu analysieren und das Formalsystem an diesen Stellen zu reparieren. Denn Regelbruch soll eine Ausnahme bleiben und selbst nicht zur Regel werden.

Wer also, bald neu inspiriert durch die kommende Revision der ISO 9001 sein Qualitätsmanagementsystem an neue Anforderungen anpasst, soll unbedingt dessen Rückkopplung mit kollektivem Verhalten, der Kultur, und dem individuellen Verhalten der Mitarbeitenden beachten.

 

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Normung und Standardisierung setzen Leitplanken für Gesellschaft und Wirtschaft. Als Fachgesellschaft hat die DGQ sich zum Ziel gesetzt, das Know-how und die Methoden im Bereich Qualität und Qualitätsmanagement weiterzuentwickeln, über neueste Erkenntnisse zu informieren und deren praktische Umsetzung zu fördern. Über die Entsendung haupt- und ehrenamtlicher Vertreter wirkt die DGQ sowohl in der nationalen als auch der internationalen Normungsarbeit zum Thema Qualität und Qualitätsmanagement aktiv mit. Weitere Informationen finden Sie dazu auf unserer Themenseite Normung »

Über den Autor: Benedikt Sommerhoff

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Benedikt Sommerhoff leitet bei der DGQ das Themenfeld Qualität & Innovation. Er beobachtet, analysiert und interpretiert die Paradigmenwechsel und Trends in Gesellschaft und Wirtschaft sowie ihre Wirkungen auf das Qualitätsmanagement. Seine zahlreichen Impulse in Form von Publikationen und inspirierenden Vorträgen geben Orientierung in Zeiten des Wandels. Sie ermutigen zur Neukonzeption des Qualitätsmanagements und der Qualitätssicherung. Gemeinsam mit Expertinnen und Experten des DGQ-Netzwerks aus Praxis und Wissenschaft arbeitet Sommerhoff in Think Tanks und Pionierprojekten an der Entwicklung, Pilotierung und Vermittlung innovativer Konzepte und Methoden.