Vergessen Sie’s! – Kundenzufriedenheitsbefragungen24 | 06 | 20
Die Ambition hinter Kundenzufriedenheitsbefragungen ist grundlegend und unverzichtbar.
Mit Produkten und Dienstleistungen müssen wir Kunden zufrieden machen, heißt es. Auch, aber nicht nur, sage ich. Aber dazu später mehr.
Eine alte Qualitätler-Weisheit besagt: „Was Du nicht messen kannst, kannst Du nicht verbessern“. Was jedoch nicht stimmt: wenn ich das gleiche tue, erziele ich die gleiche Verbesserung, ob ich messe, oder nicht. Aber schon gut, ich stehe ja auch dazu, dass Messen fundamental wichtig ist, um zielgerichtet zu verbessern. Doch ich bleibe frech und sage: Die bisherige weit verbreitete Praxis der Kundenzufriedenheitsbefragungen können wir vergessen – und uns wird so gut wie nichts fehlen. Denn Kundenzufriedenheit ist für vieles nicht die richtige Messgröße und oft messen wir sie nicht richtig. Dann können wir es auch direkt lassen. Denn das Falsche falsch gemessen ist schlimmer als nutzlos. Es ist gefährlich. Es verleitet uns dazu, ungeeignete Schlussfolgerungen zu ziehen und uns entweder zu unangemessener Tatenlosigkeit zu verleiten oder dazu, Ressourcen für nutzlose oder gar schädliche Maßnahmen zu verschwenden.
Doch ich will konstruktiv sein und aufzeigen, was uns stattdessen weiterhilft. Wir müssen:
- Das Richtige messen
- Richtig messen
- Quantitative Methoden um qualitative ergänzen
1. Das Richtige messen
Wir müssen das Richtige messen. Kundenzufriedenheit darf nicht die alleinige Stellgröße sein. Ökonomisch relevanter ist meistens die emotionale Kundenbindung. Und die ist nicht gleichzusetzen mit Kundenzufriedenheit. Es gibt langjährige Forschungsergebnisse von Roman Becker und Gregor Daschmann, die das in aller Deutlichkeit aufzeigen [s. Buchempfehlung unten]. Emotionale Kundenbindung korreliert nämlich im Vergleich mit Kundenzufriedenheit überhaupt oder signifikant stärker mit dem Unternehmenserfolg. Die Gruppe der Kunden, die überdurchschnittlich zufrieden ist, aber unterdurchschnittlich gebunden, erfordert völlig andere Maßnahmen als die unterdurchschnittlich zufriedene aber überdurchschnittlich gebundene. Die erste Gruppe vernachlässigen viele Unternehmen sträflich, halten sie sie doch für saturiert, dabei ist sie trotz Zufriedenheit hochgradig wechselbereit.
2. Wir müssen richtig messen
Unsere Methoden sind oft völlig ungeeignet, mindestens fragwürdig. Viele zur Kundenzufriedenheitsmessung eingesetzte Fragebögen, Befragungstechniken und Analysen sind methodisch nicht fundiert und nicht valide. Hinzu kommt, dass sie allzu oft von diesbezüglich methodischen Laien gestaltet werden, die nicht den nötigen Grad an Know-how und Professionalität aufweisen. Ihnen fehlt es häufig schlichtweg an sozialwissenschaftlichen und mathematischen Kompetenzen, um gute Befragungen zu konzipieren und sie korrekt auszuwerten. Ein Gutteil halbherziger, schlecht gemachter, unprofessionell interpretierter Befragungen sind den Normforderungen nach Kundenzufriedenheitsmessungen geschuldet. Und auch die meisten Auditoren können nur das Vorhandensein, aber nicht die Validität einer solchen Messung bewerten. Fazit: Hier müssen Profis ran oder wir, die sich mit Kundenzufriedenheitsmessungen beschäftigen, müssen viel mehr über die richtige Befragungs- und Auswertemethodik lernen.
3. Quantitative Methoden um qualitative ergänzen
Selbst gut gemachte, sozialwissenschaftlich fundierte Messungen und mathematisch valide Auswertungen liefern uns nur ein unvollständiges Bild der Lage. Zudem sind sie reine Rückschau, oft mit großer Verzögerung erhoben (Feedback). Die Veränderung zukünftiger Bedarfe und Einschätzungen (Feedforward) der Kunden können sie nicht erkennen. Daher liegt eine große Chance darin, die quantitativen Methoden durch qualitative zu ergänzen. Es gilt, bahnbrechende Einsichten über Kundenverhalten, Kundenbedürfnisse, Sorgen und Schmerzen der Kunden zu gewinnen. Dazu sind ganz besonders extreme und abweichende Aussagen und Verhaltensweise geeignet, die in Massenbefragungen untergehen. „Poweruser“ einerseits und „naive User“ andererseits, die unsere Produkte in ungeahnter Weise gebrauchen und missbrauchen, verschaffen uns ganz neuartige Einsichten. Das im letzten Monat in diesem Blog aufgezeigte Expertendilemma gilt es dabei zu überwinden. Es führt uns, die wir vermeintlich oder wirklich das Produkt und seine korrekte Anwendung besser kennen als die Kunden, dazu zu glauben, besser als die Kunden zu wissen, was diese brauchen und nicht brauchen. Ansätze wie Design Thinking oder Leans Startup, sogar SCRUM, setzen eine Vielzahl sehr guter qualitativer Methoden ein, mit denen wir die Kundenperspektive kennen lernen. Dazu gehören Verhaltensexperimente (Stichwort „Behavioural Insights“), Experimente mit Prototypen, teilnehmende Beobachtung, die Formulierung von User Cases und User Stories sowie das Arbeiten mit Personas, letzteres eine sinnvolle Alternative zu der alle Extreme nivellierenden Fokussierung auf Zielgruppen. Jedoch sind dies keine Ansätze für einen einzelnen Fachbereich im Unternehmen. Hierfür ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit vieler Experten aus Entwicklung, Marketing, Strategie, Qualitätsmanagement, Kundendienst usw. erforderlich. Qualitative Methoden ermöglichen einzigartige und neue Einsichten und sind strategisch hochrelevant, führen zu Produkt-, Prozess- und Geschäftsmodellinnovationen. Und zu mehr Qualität. Das wäre doch schön.
Welche Erfahrungen haben Sie gemacht? Führen Sie selbst Kundenzufriedenheitsbefragungen durch und welche bahnbrechenden strategischen und operativen Maßnahmen konnten Sie daraus ableiten? Diskutieren Sie unter diesem Beitrag mit Roman Becker, und mir.
Für DGQ-Mitglieder gibt es zu diesem spannenden Thema bald auch ein Webinar:
„Vorsicht vor den zufriedenen Kunden: Warum es nicht reicht, wenn Kunden nur zufrieden sind“ – mit Fan-Forscher und Buchautor Roman Becker von 2HMforum.
Webinar am Donnerstag, den 02. Juli 2020
Termin 1: 15:00 – 15:55 Uhr Jetzt anmelden »
Termin 2: 16:15 – 17:10 Uhr Jetzt anmelden »
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Buchtipp: Roman Becker, Gregor Daschmann; Das Fan Prinzip – Mit emotionaler Kundenbindung Unternehmen erfolgreich steuern; Verlag Springer Gabler, Wiesbaden, 2016
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